Kunstsinnig
Aus Karottentreue
Von Claudia Aigner
Man muss Nachsicht mit mir haben. Denn ich bin auf
Diät, was bekanntlich jener Zustand ist, in dem das Essen nicht genossen,
sondern ertragen wird. Und hier hab' ich nicht nur bereits das Stadium des
Autokannibalismus erreicht, der Selbstaufjausnung (des hingebungsvollen
Nägelkauens und inbrünstigen Beißens auf die Unterlippe), sondern schon
die Phase des Futterneids über die Artengrenzen hinweg. Wie bin ich dem
Hund Soundso doch neidig um sein langanhaltendes Kauerlebnis von Pedigree!
(Fernsehwerbung ist ja wirklich ununterbrochene Essensfolter für uns
Verzweiflungsnägelkauer und Lippenbeißer.) Und drum (weil ich also dauernd
von ganzen Fünf-Gänge-Menüs verfolgt, eingekreist und - erlegt werde,
Letzteres zumindest wohl bald, wenn mein Naturjoghurtwille gegenüber der
Eispalatschinke und dem Marsriegel den Widerstand aufgibt) muss ich
notgedrungen auch diese Woche übers Orale sinnieren. Ach, wie tät ich
doch gern mit dem "Speisepflug", einer einstigen Besteckinnovation des
Herrn Attersee, fröhlich agrikulturell und zünftig jodelnd in einer
Riesenmegaschlaraffenportion auf dem Schlemmerteller herumackern, anstatt
auf meinen magern Teller zu starren und mir mit an Surrealismus grenzendem
Optimismus zu suggerieren (in Anlehnung an Magritte, den Meister im
Verleugnen der Tatsachen - Zitat: "Das ist keine Pfeife", "das ist kein
Apfel" etc.): "Das ist nicht schon wieder ein Karottenpuffer." Und
natürlich ist mir in meinem derzeitigen Zustand (und diätierende Personen
verdienen mindestens dieselbe Rücksichtnahme und Toleranz und Milde wie
schwangere Frauen, deren Geschmack ebenfalls in anderen Umständen ist, die
aber freilich einen hermetischen, eben schwangeren Gusto haben bzw. ein
total liberales Essverhalten zeigen und nicht von einem autoritären
Diätplan gezüchtigt werden), natürlich ist mir also nun, da es in meinem
Kopf nur noch schmatzt und knuspert und gluckst, nicht die geheime
Wahlverwandtschaft entgangen zwischen einem Bild vom Christian Ludwig
Attersee und einer Eierspeis. Und zwischen einem Pollock und - einem
gefoltertem Heringsalat, der schon viel hinter sich hat, ergo dem
Heringsalat einer Bulimikerin zum Beispiel (nein, das war jetzt gemein).
Gegen Arcimboldos gesunde, vitamin- und ballaststoffreiche Gesichter,
die aussehen wie volle Obstschüsseln oder wie volle Gemüsefächer im
Kühlschrank, bin ich immerhin resistent. Nicht eher würde mein Kauapparat
lüstern vibrieren und die Zunge begehrlich zucken, bevor die Porträtköpfe
nicht Basedow-Augen aus zartschmelzenden Mozartkugeln und knackige Lippen
aus Schokobananen haben. (Und zum Glück ist man nicht wirklich, was man
isst, sonst hätte ich derzeit Karottenpufferwangerln und Haarschuppen aus
Weizenkleie.) Tatsache bleibt: Künstler essen. Seit Anbeginn der
Kunst. Schon die Höhlenmaler von Lascaux dachten anscheinend nur ans "gute
Papperl". Die vorgeschichtlichen Wände: wie die Zutatenliste für eine
McDonald's-Filiale. In einer Tour wird da der "Ur-Burger" gejagt. Oder
eigentlich das Essen in unzivilisierter Verfassung, also nicht nur ohne
BSE, sondern auch noch nicht zwischen zwei lappige Weckerlhälften gelegt.
Und seither blieben die Künstler dem Essen treu. cai
Erschienen am: 25.06.2004 |
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