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Sabine B. Vogel Bauer und Bäuerin sitzen am Tisch. Ein Dialog beginnt, über Kohldampf, über Hormonpräparate für die Tiere, über die Mistgabel. Der Schwank bricht abrupt ab, ein Artaud-ähnliches Gedicht wird rezitiert. Nachher, nachdem Molly, die Bäuerin, von ihrem Geliebten umgebracht wurde, stellt sich diese Figur als Kommissar heraus – mit Pfeife im Vakuumraum. John Bock tritt auf. Er entsteigt seinem Sarg, einem horizontalen Schrank. Der Geliebte spricht: «Ich produziere mein Quasi-Ich», Bock kontert: «Ich bin eine Isoquante». Verwirrend? Ja, denn der Berliner Künstler produziert Performances eigener Art.
Ich bin nicht das, was ich vorgebe zu sein

Ein Gespräch mit John Bock

links: Der Prozess, nicht das Resultat zählt: Vom 23.3. bis zum 11.4. ist John Bock in der Kunsthalle Basel mit dem Errichten seiner Installation beschäftigt. Der Aufbau ist öffentlich. Mit dem Ende der künstlerischen Intervention ist auch die Ausstellung zu Ende. Abschliessende Aktionen vom Künstler in der Kunsthalle finden vom 5. - 11.4. statt.
rechts: 1 Mio $ Knödel Kisses, pfüti, Galerie der Stadt Schwaz, Tirol, November 1998

Parapsychologische Elemente wechseln sich ab mit wirtschaftswissenschaftlichem Vokabular, mit Diagrammen für höchst subjektive Interessen und surrealen Regieideen. Die Aufführung ist weniger durch eine handlungstragende Geschichte gekennzeichnet als durch Bocks Interesse an dieser Aktionsform: ‹Mich interessiert die Struktur. Was als Ganzes, als eine Performance wahrnehmbar wird, ist für mich eine spannende Kombination verschiedener Aufführungsweisen.›

‹Vorträge› nennt Bock seine Auftritte. Das mag wie Koketterie klingen, liefert aber tatsächlich einen Schlüssel. ‘Vortrag’ ist eine neutrale, sehr gering vorgeprägte Bezeichnung eines live-Auftritts. Die Kategorie reicht vom Theoriediskurs bis zum Reisebericht. Mit dieser lapidaren Bezeichnung springt Bock spielerisch aus der Enge traditioneller Sparten und öffnet sich den Weg, um verschiedenste Aufführungsformen zu kombinieren. Im anfangs beschriebenen Stück, ‹1 Mio $ Knödel Kisses› (1998, Galerie der Stadt Schwaz), wird dies sehr deutlich: Bock vereint volkstümlichen Schwank, rezitierenden Soloauftritt, Performance, Kriminalstory, Kasperletheater und Thesendiagramm. In der Ausstellung ‹Junge Szene› (1998, Wiener Secession) liess Bock seinen Auftritt im Tücherturm simultan mittels Video übertragen. Die Zuschauer mussten sich vom Ort des Geschehens abwenden, die räumliche Einheit war aufgehoben – entsprechend der Inszenierung im Turm: in der untersten Ebene agierte Bock in einem Science-Fiction-Szenario, auf der nächsten Etage bot er eine Hommage an den Wiener Aktionismus, dann folgte ein Vortrag zum Thema ‹Kunstwohlfahrtskurve›. In der Kunsthalle Basel wird Bock mehrere Bühnen gleichzeitig bespielen.

Improvisation Fast vierzig mal trat Bock seit seinem ersten Vortrag ‹Wie werde ich berühmt?› 1992 an der Hochschule für bildende Kunst in Hamburg auf, zuletzt zur Berlin Biennale. Für die Vorträge schreibt Bock seitenlange Skripts, entwirft die Kostüme, zeichnet die Objekte, die Konstellationen und Bühnenchoreographie vor. Sein Auftritt bleibt trotz der intensiven Vorarbeiten zur Hälfte Improvisation. Die Regie ist klar, der Einsatz der Weg. Die Live-Inszenierung ist der Beginn. Dann wird der Vortrag zur Ausstellung. Was während der Aufführung als Requisiten für Bock und die Assistentin oder wie in Schwaz für die SchauspielerInnen diente, steht anschliessend als Installation im Raum. Aber Bock präsentiert keine Relikte. Nach der Aufführung werden die Spuren beseitigt, werden die Objekte repositioniert. Jetzt stehen sie als einzelne Elemente im Raum: Wandzeichnung, Skulpturen, Video.

Die Kombination verschiedener Aufführungsweisen spiegelt sich nicht nur im Umgang mit Vortrag/Ausstellung, in der Menge von Szenarien und Handlungssträngen wieder, sondern konsequenterweise auch in den einzelnen Objekten. Denn ähnlich wie die Texte und Kostüme kombiniert und bastelt Bock auch die Objekte aus verfügbaren Alltagsgegenständen, befestigt Details durch einfache Drahtumwicklung, baut kleine Solo-Szenarien auf und legt Querverweise. Allein gelassen entwickeln die Objekte ihre eigenen bildnerischen Qualitäten, ihre eigenen Erzählungen.

Das Nicht-Sichtbare Den gemeinsamen Nenner der einmaligen Inszenierung und der anschliessenden Ausstellung erzeugt Bock, indem
er strenge Konzeption und spontane Improvisation zusammenführt. Thematische Gemeinsamkeit ist Bocks Interesse an dem Bereich des Nicht-Sichtbaren, beispielsweise: Wie lässt sich Geist darstellen?

In ‹1 Mi. $ Knödel Kisses› steht der Kommisar im Vakuumraum, während er pfeiferauchend über den Mordfall nachdenkt. Vorträge, Skulpturen und selbst die Diagramme/Wandzeichnungen umspielen Geheimnisvolles, manchmal ins Surreale, manchmal in Science-Fiction oder in Skepsis übergehend. Seine Bilder dazu sucht Bock nicht im Sinne von ‹Akte X›, sondern ähnlich der Bauweise seiner Objekte als alltagsnahe Fragestellung – und als Herausforderung an bildliche Darstellung. Das reicht von Mordfall bis zu Kunstqualität. Lösungen werden nicht angeboten, sondern Wege des Näherns. Sein Weg kombiniert Fernliegendstes: Versatzstücke der Parapsychologie (z.B. das Quasi-Ich) mit ‹folgerichtigen Diagrammen› (J. Bock) aus der Wirtschaftstheorie: ‹Wenn eine Kurve steigt, hat das Auswirkungen auf die andere Kurve› (J. Bock). Sein Weg schafft aber vor allem eins: Dem Geheimnisvollen die Fragestellung zurückgeben, ohne mit jeder weiteren Folge das Thema auf variable, spektakuläre Erscheinungsbilder zurückzuwerfen.

Die Faszination von Bocks Vorträgen liegt in seiner Entscheidung, keine Endgültigkeiten zu präsentieren. Ähnlich unkonventionell wie sein Umgang mit Aufführungsweisen ist auch die Handhabung des Werkbegriffs. Was als Ganzes beginnt, entwickelt sich zum Einzelstück.
Objekte können in anderen Zusammenhängen stehen. Deutliches Vokabular wird irritiert durch die Nachbarn. In sich letztgültige, ausformulierte Ausarbeitungen bietet Bock nicht. Seine Arbeit zeigt zugleich Eingänge und Auswege, ohne eine Ordnung aufzustellen. Dazu führen nicht Glaube an Spontanität oder Authentizität, sondern streng skeptisch-konzeptuelle Erwägungen – denn wie soll das Geheimnisvolle anders bedacht werden denn als und in Offenheit?

Bock nutzt die Menge der Möglichkeiten als Konzept. Dazu gehört auch das Spiel mit konditionierten Rezeptionsformen, selbst jene, die von Auftritten selbst eingeleitet werden. Der unerwartete Wechsel zwischen Skript und Improvisation, die bisweilen theatralische Überinszenierung im übergangslosen Wechsel zu lehrerhaften Diagrammen, Beuys-ähnlichen Ritualhandlungen und aktionistischen Schaum-Attacken entsprechen der aufgehobenen räumlichen Einheit des Wiener Vortrags. Und was als Selbstinszenierung, als künstler-eigene Obsessionen oder simple Klischees erscheinen könnte, kommentiert Bock: ‹Ich arbeite mit Lügen, mit Unehrlichkeiten, mit dem Schein. Ich bin nicht das, was ich vorgebe zu sein.›

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Ausgabe: 03 / 1999
Institution: Kunsthalle (Basel)
Autor/in: Sabine B. Vogel

 

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