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Kunstberichte

Stricken ist Macht

Stricken ist Macht

Aufzählung (cai) Dem Buch wird es vielleicht auch einmal so ergehen wie den Dinosauriern. Soll heißen: Nur eine kosmische Katastrophe, zum Beispiel ein Asteroid, wird es eventuell doch noch zum Aussterben bewegen können. Seine Zähigkeit verdankt es wohl dem genialen Material. (Tja, versuchen Sie halt einmal, sich mit einem digitalen Buch – oder mit einer Webseite – den Mund oder das Gegenteil abzuwischen!)

Wie gefügig Papier aber wirklich ist, darüber klärt eine bemerkenswerte Ausstellung in der Galerie Hrobsky auf, wo Chinesen und Europäer jenem Stoff huldigen, ohne den der Rembrandt seine Radierungen hätte vergessen können. (Und die Philharmoniker hätten auch keine grazilen Notenständer vor sich, sondern einen Stapel mit recht unhandlichen Tontafeln.) Wer jetzt bei "Papiermusik" bloß an jene Nasenputzer denkt, die in ein Papiertaschentuch hineintrompeten, als wär’s eine Posaune von Jericho, der kennt den Tan Dun noch nicht (der übrigens für seine Musik zum Film "Tiger & Dragon" den Oscar gekriegt hat). Wenn er aus Blättern, Fächern und Schirmen resolute oder gar wimmernde Klänge herausholt, ist das obendrein ein ästhetisches Vergnügen. Wie rhythmische Gymnastik, also wie Kung-Fu.

Dann gibt’s einen, dessen Talent ist erstaunlicher als das vom Rumpelstilzchen. Letzteres kann Stroh zu Gold spinnen, doch Wang Lei strickt! Ich mein’: Aus Zeitungspapier strickt er mit enormer Ausdauer ein kolossales Drachengewand (eine Herrscherrobe). Ist das eine neue fernöstliche Meditationstechnik? Strick-Yoga? Dem Walter Weer wiederum schaut sicher kein lächelnder Buddha über die Schulter: Zuerst verletzt er Schachteln brutalst, nur um sie dann mit brachialen Erste-Hilfe-Methoden wieder zu verarzten. Mit diesen pittoresken Schmerzenspaketen kommentiert er aber nicht den Zustand der österreichischen Post.

Mich laust der Darwin!

Aufzählung (cai)Wie bringen sich Darwinisten in Stimmung? Sie kostümieren sich als Affen, stellen sich vor den Spiegel und erkennen sich problemlos. Waltraud Palme mag den Darwin zwar ebenfalls gern, doch die Affenmaske setzt sie sich eher nicht wegen eines obskuren Evolutionskults auf. (Evolution, ist das so was wie Matura?) Außerdem maskiert sie sich auch als Schrecken aller Rotkäppchen (als böser Wolf) oder als naives Mädel, das auf besagten Wolf garantiert reinfallen tät’. In ihren collageartigen Fotomischtechniken vermengt sie Fotografie und einfache, robuste Zeichnungen zu suggestiven Bildwelten, die nicht so kryptisch sind wie die Botschaften des Nostradamus, aber durchaus Geheimnisse vor dem Betrachter haben. Es muss ja eh nicht immer alles so unzweideutig sein wie ein Spiegelei mit Bratkartoffeln.

Das Prinzip Käse

Aufzählung (cai)Verstreute leuchtende Punkte, umgeben von tiefstem Schwarz: Die Fotogramme von Günther und Loredana Selichar könnten auch was Esoterisches oder Romantisches sein, also chaostheoretische Studien zur Verteilung der Löcher im Emmentaler oder Vorschläge, wie das Sternbild "Schweizer Käse" aussehen könnte. Doch der Titel der Ausstellung sagt eh schon alles: "844 Fotogramm" ("Fotogramm" so wie " Kilo gramm"). Weil das Gesamtgewicht dieser ohne Kamera entstandenen Fotos 844 Gramm beträgt. Ein watscheneinfaches mathematisches Konzept. Jeder weiße Punkt ist der Abdruck von einem Ein-Gramm-Messinggewicht, und der Anzahl der Punkte entspricht dann das Gewicht des jeweiligen Fotos. Dieses überwältigend simple System lässt Realität und Abbild kurzerhand verschmelzen. Originell.

Galerie Hrobsky

(Grünangergasse 6) "dimensionFRAGILE" Bis 22. November Di. – Fr.: 13 – 18 Uhr Sa.: 11 – 15 Uhr

Gallery

Corinna Steiner (Piaristengasse 56 – 58) Waltraud Palme Bis 5. Dezember Mo. – Fr.: 13 – 19 Uhr

Galerie Lindner

(Schmalzhofgasse 13/3) 844 Fotogramm Bis 28. November Di. – Fr.: 14 – 18 Uhr

Printausgabe vom Mittwoch, 19. November 2008

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