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04.01.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Ausstellung Kunsthaus Mürz: Ein Bild der schreienden Menschheit
VON JOHANNA HOFLEITNER
"Stimmen-Bilder": Die schwierig-schöne Jahresausstellung im Kunsthaus Mürz.

Das Gute am Taubsein ist diese ko mische Wahrnehmung der Welt - und wie sich gewöhnliche Dinge, die man für selbstverständlich nimmt, aus einer ungewöhnlichen Perspektive zeigen." Der Amerikaner Joseph Grigely notierte diesen Gedanken in einem Bilderrahmen, der als Teil eines größeren Ensembles umgeben ist von bunten Zetteln: Spontan hingekritzelte Äußerungen wie "Wollen Sie Rind oder Huhn?" oder "Wie spricht man deinen Nachnamen aus?" sind darauf zu lesen. Den Satz übers Taubsein hat Grigely hingegen durchdacht und mittels Computer geschrieben. Er hätte ihn nicht sagen können, er ist seit seiner Kindheit taub und kommuniziert mit Hilfe von Zetteln.

Grigelys aus der Stille vorgebrachte Collage behandelt die Stimme ex negativo und markiert damit den wohl extremsten Pol der Jahresausstellung im Kunsthaus Mürz(zuschlag). Denn im Mittelpunkt von "Stimmen-Bilder" steht vor allem die Präsenz der menschlichen Stimme. Als von der Kunstgeschichte weitgehend ausgeblendetes - weil höchstens illustrierbares - Phänomen, blieb deren Reflexion bis in die Moderne weitgehend Literatur und Philosophie überlassen. Erst die Moderne mit ihren konzeptuellen Fragestellungen und das Vordringen technischer Apparate und "Neuer Medien" holten die Stimme in die bildende Kunst hinein.

Magisch ertönt aus vorerst unbestimmter Quelle eine von Kindern gesungene Ballade: Benjamin Brittens Opus 82, komponiert nach Bert Brechts "Kinderkreuzzug". Aus einer Seitenkapelle kommend, bildet die Musik die Tonspur zu "Children's Crusade", einem Video des Salzburgers Markus Schinwald, Durchstarter 2004: Als wär's eine Sequenz aus einem Historienfilm, erzählt der perfekt inszenierte Shortcut vom Aufbruch der Kinder und deren blindgläubigem Vertrauen in ihren Anführer. Dass dieser durch eine riesenhafte Marionette mit Maskengesicht verkörpert wird, folgt demonstrativ Ansprüchen der Verfremdung: Kunstwollen, sichtbar gemacht in all seiner Ambivalenz.

Puppen spielen auch eine Hauptrolle in den heroisch an die Spitze des langen Raums projizierten Videos der Deutschen Asta Gröting. In skurrilen Dialogen diskutieren da Marionette und Bauchredner über Moral und Befindlichkeit: "Du bist nicht so gut, wie du denkst." - "Lass mich doch mich gut fühlen." - "Mit den vielen Fehlern, gut?" Die Puppe an der Hand wird zum listigen Sprachrohr des Unterbewussten.

Keine Ausstellung zur Stimme ohne Valie Export, Grande Dame des heimischen Konzeptualismus. Krass abstoßend ihre makroskopischen Aufnahmen der Stimmritze. Weit weniger plakativ und doch ungleich stärker ist ihr nur als Skizze existierendes Frühwerk "Tonfilm": Lichteinwirkung sollte einen nahe der Stimmritze positionierten Verstärker steuern, gegen Mittag, beim höchsten Sonnenstand würde so "ein Bild der schreienden Menschheit" entstehen.

Unter ihrem Wert schlagen sich Norbert Brunner/Michael Schuster. Von ihrer legendären, aus jeweils 24 Abspielgeräten, Fotografien und Texten bestehenden bayrischen "Dialektstudie" am Beispiel des "Vater Unsers" - einem Meilenstein der österreichischen Konzeptkunst - sind nur eine einzige Tafel und ein CD-Player geblieben. Musikantisch hingegen das Wiener-Gruppe-Mitglied Gerhard Rühm, der mit Grafitstift und Notenblättern ein komisches Gedicht zum Bild-Gedicht transformiert.

Ein Manko dieser schwierig-schönen Ausstellung, zusammengestellt von Thomas Trummer (Österreichische Galerie Belvedere), ist das recht gemäßigte Verhältnis zwischen bekannten und neuen Arbeiten. Faszinierend hingegen ist die Engführung des Themas, dem in den vergangenen Jahren kaum Aufmerksamkeit zuteil wurde. Ihr spielt die Architektur des Ausstellungsraums wunderbar zu: Konrad Freys zurückhaltende Adaptierung einer säkularisierten Franziskanerkirche aus dem 17. Jahrhundert bewahrt dem Raum trotz funktionaler Einbauten den meditativen Charakter.

Bis 6. März, Do.-Sa. 10-18 h, So. 10-16 Uhr

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