„Ein Reagieren mittels Kunst wäre lächerlich“
Erwin Wurm. Über Atomkatastrophe und Kunst sowie über seine Meinung zu Peter Noever sprachen die SN mit dem Künstler.
Hedwig Kainberger Erwin Wurm konstruiert und erfindet fantastische Skulpturen wie nudeldicke Autos, vom Himmel fallende Häuser und „One Minute Sculptures“. Gestern, Freitag, arbeitete er im Museum für angewandte Kunst (MAK) in Wien an seiner neuen Ausstellung, die am nächsten Dienstag eröffnet wird.
Wie kann ein Künstler auf so etwas wie die Atomkatastrophe in Japan reagieren?
Wurm: Als Mensch ist man zutiefst betroffen. Aber darauf reagieren? Das ist ähnlich wie nach 9/11, als die Twin Towers in New York zusammengebrochen sind. Ein Reagieren mittels Kunstwerk wäre im Vergleich zu dem, was passiert ist, lächerlich. Man ist entsetzt und starr.
Tschernobyl, Hiroshima, jetzt Fukushima, diese Katastrophen sind ein so umfassendes, dramatisches Thema. Ich könnte darüber nicht arbeiten, das ist zu gewaltig.
Sind Künstler da machtlos? Wurm: Man kann nur Beileid ausdrücken und beten und hoffen. Aber man kann – wie jeder Bürger – mit allen Mitteln versuchen, das Bewusstsein für Atompolitik zu ändern und gegen die Atommeiler in Europa aufzubegehren.
Mich ärgert, wie fest die Atomlobby nach der Katastrophe in Fukushima im Sattel sitzt. Außer den Deutschen hat niemand begriffen, dass sich etwas ändern muss! Vor allem die Tschechen und die Slowaken sind stur, das regt mich maßlos auf. Österreich müsste da mehr Druck ausüben, in der EU und auf seine Nachbarländer.
Der Umweltminister ist da genauso gefragt wie der Bundeskanzler und der Bundespräsident.
Zu einem anderen Thema, dem MAK und dessen früheren Direktor Peter Noever. Auf der Webseite www.propeternoever.at schreiben Sie: „Ich bedaure die Hexenjagd auf Noever.“ Worin besteht diese „Hexenjagd“? Wurm: Journalisten fallen über ihn her wie eine Meute über ein zu jagendes Tier und versuchen seine Arbeit der letzten 20 Jahre zu desavouieren.
Bisher wurde der angeblich von Peter Noever im MAK verursachte Schaden mit 100.000 und 130.000 Euro bewertet. Nach einer Kuratoriumssitzung war von „manipulierten Abrechnungen“ die Rede. Ist das nicht gravierend?
Wurm: Doch. Peter Noever hat Fehler gemacht, da war vieles nicht korrekt, nicht gut.
Trotzdem ist deswegen nicht gerechtfertigt, was nun versucht wird: seine jahrzehntelang positive programmatische Arbeit im MAK zu verteufeln. Was er in den USA mit dem Schindler-Haus aufgebaut hat, was er für junge Künstler gemacht hat, ist nach wie vor beachtlich. Er hat viel für die österreichische Kunst im Inland und Ausland geleistet. Das hat kein zweiter Museumsdirektor geschafft. Doch nun wird versucht, sein Lebenswerk zu eliminieren. Sie schreiben in Ihrer Pro-Noever-Erklärung auch, an diesem werde „ein Exempel statuiert, das man in Hunderten Fällen politischer Verantwortungsträger versäumt hat“. Welche Fälle, welche Verantwortlichen meinen Sie?
Wurm: Wenn ich jetzt Namen nenne von einem ehemaligem Finanzminister oder von dem einen oder anderen BZÖ- oder FPÖ-Politiker, von einem derzeitigen EU-Parlamentarier aus Österreich, von Beteiligten im Bawag-Skandal, kann es sein, dass ich geklagt werde. Also kann ich nur sagen: Es gibt in Österreich immer mehr Menschen, denen bewusst wird, dass mit der Wenderegierung 2000 Leute an die Macht gekommen sind, die hungrig und gierig waren und ohne Verantwortung agiert haben – und dies scheint auch Schule zu machen.
Den von Ihnen nicht genannten Personen ist kein strafrechtlich relevanter Tatbestand bewiesen, es gibt nur Verdacht und Widerspruch der Verdächtigten. Auch Peter Noever hat lang beschwichtigt. Erst als er nach Medienberichten, parlamentarischer Anfrage der Grünen und einem ersten Prüfbericht in die Enge getrieben war, hat er Fehler gestanden. Wurm: Es behauptet niemand, dass das gut war. Da hat er Fehler gemacht. Man hat ihn erwischt, das ist gut. Aber ich habe zugleich das Gefühl, dass in diesem Land vieles im Argen ist, dass in Hunderten Fällen viel Schlimmeres passiert, ohne dass jemand es aufdeckt. Offensichtlich passiert in Österreich viel Bestechung, viel Korruption, viel Freunderlwirtschaft, doch all dies wird unterdrückt. Auch die Justiz ist offenbar überfordert. Ich habe ein großes Unbehagen.
Was sagen Sie zu der Hypothese: Peter Noever ist offenbar ein Mensch, der sich Freundschaft, Unterstützung und Zuneigung erkauft, über Geschenke, großzügige Einladungen und Aufträge? Wurm: Das kann ich nicht bestätigen. Ich unterstütze ihn, nicht weil ich je ein Geschenk von ihm erhalten hätte, sondern weil ich von seiner jahrzehntelangen Arbeit überzeugt bin.
Ich selbst habe dem MAK vor einem Jahr ein großes Kunstwerk geschenkt. Und jetzt mache ich eine kleine Ausstellung. Ich fühle mich keinesfalls als Nutznießer.
Ihre Ausstellung im MAK wird nächste Woche eröffnet. Wie sind die Vorbereitungen im interimistisch geleiteten Museum? Wurm: Das lauft prima. Ich arbeite mit der Kuratorin Bärbel Vischer. Es gibt null Probleme.
Mehrere Mitarbeiter haben der neuen Leitung unter Martina Kandeler-Fritsch das Misstrauen ausgesprochen. Spüren Sie etwas von diesem Konflikt? Wurm: In den Vorbereitungen zur Ausstellung spüre ich nichts. Aber ich habe davon gehört. Das ist eine extrem konservative Gruppe von Kustoden, die wollen im MAK das Ruder wieder herumreißen, weg von der Gegenwartskunst. Die wollen zunichtemachen, was Peter Noever aufgebaut hat. Die wollen wieder ein stilles, verschlafenes Design-Museum.
Ihre Ausstellung heißt „Schöner Wohnen“. Inwiefern machen Sie da angewandte Kunst? Wurm: Na ja, es sind Skulpturen, die „Möbel“ heißen. Zum einen sind dafür Möbel das Ausgangsmaterial, zum anderen kann man diese Skulpturen als Möbel in Anspruch nehmen, darauf sitzen oder Laden auf- und zumachen.
Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Wurm: Im letzten Jahr bin ich gefragt worden, ob ich eine Edition von Kunstmöbeln realisieren wollte. Das hab ich zuerst abgelehnt. Doch plötzlich hat mich diese Idee zu interessieren begonnen. Wenn, dann wollte ich etwas machen, was nach meiner Arbeit aussieht. Ich hoffe, das ist gelungen.