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William Kentridge: Verwischen, Nachzeichnen, Ausradieren

28.10.2010 | 18:37 | SABINE B. VOGEL (Die Presse)

William Kentridge wird im November den Kyoto-Preis überreicht bekommen, er gehört zu den Stars der internationalen Kunst. Jetzt verzaubert er uns in der Albertina in einem Parcours aus 17 Räumen.

Langsam klettert er die Leiter hoch, vorbei an klassischen Bildern, Landschaften, Blumen, einem Selbstporträt, immer höher, bis er aus dem Bild verschwindet. Der Raum löst sich auf, alles wird ausradiert. Plötzlich purzelt er wieder herunter, um ihn herum nur noch einzelne Striche und Spuren.

Mit diesem Animationsfilm beginnt die großartige Ausstellung von mehr als 60 Werken von William Kentridge in der Albertina. Vor acht Jahren war der 1955 in Südafrika geborene Künstler die große Entdeckung auf der documenta11 in Kassel. Damals hatte er zwar schon einige Ausstellungen, war aber vor allem als Theaterregisseur bekannt. Heute ist er der bekannteste Künstler Südafrikas, schon seine kleineren Zeichnungen kosten fünfstellige Dollarbeträge. Seine neueste Regiearbeit wurde heuer im Frühjahr an der Metropolitan Opera in New York aufgeführt. Gleichzeitig fand im Moma (Museum of Modern Art) seine große Retrospektive statt, die jetzt in der Albertina zu sehen ist.

 

Animationsfilm zur Apartheid

Der erste Raum der Ausstellung zeigt den Künstler im Atelier. Ob der Weg über die Leiter oder die durch den Raum schwebenden Zeichnungen – immer wieder sehen wir William Kentridge als einen Magier der Zeichnung. Zum Leben erweckt er sein Medium in seinen Animationsfilmen durch die Stop-Motion-Technik: Nur wenige, manchmal nur 20 schwarz-weiße Zeichnungen entstehen pro Film. Kentridge verwendet jedes Blatt mehrmals, radiert Details weg, fügt Neues hinzu und radiert wieder. Der Prozess bleibt immer sichtbar – und das ist mehr als nur eine technische Entscheidung. Denn das Verwischen, Nachzeichnen und Ausradieren entspricht der wiederkehrenden Frage seiner Werke, „wie Gefühle so flüchtig sein können und das Gedächtnis so kurzlebig“ (Kentridge).

Gerade in seinen Werken mit dem despotischen und zerstörerischen Industriellen Soho Eckstein und seinem sensiblen Alter Ego, Felix Teitlebaum, im Mittelpunkt wird das anfangs noch magisch erscheinende Ausradieren zum inhaltlich tragenden Element seiner kompromisslosen Auseinandersetzung mit politischen Konflikten: Es ist ein Kommentar zur grausamen Geschichte der Apartheid.

Immer wieder beschäftigt sich Kentridge mit Unterdrückung und Machtmissbrauch, in seiner Neubearbeitung von Mozarts „Zauberflöte“ mit den dunklen Seiten der Aufklärung und in seinem neuesten Werk, „Die Nase“, mit dem Scheitern der Russischen Avantgarde. Als Opernregiearbeit wurde „Die Nase“, basierend auf Nikolai Gogols Erzählung von 1836, in Sydney und New York aufgeführt. Als eigenständige Acht-Kanal-Projektion ist es das Kernstück seiner Ausstellung. Die Geschichte handelt von einer Nase, die ihren Träger verlässt, durch die Straßen wandert und ein eigenes Leben führen will.

 

Nüchterne Absurdität

Kentridge überlagert die Erzählung in einer Art „nüchternen Absurdität“, wie er es nennt, mit Bildern der Russischen Moderne, mit dem Scheitern des Russischen Konstruktivismus und dem beginnenden Staatsterror des Kommunismus. Original-Filmmaterial des frühen 20.Jahrhunderts, animierte Filme und Collagen mischen sich mit Schattenspielen und Bildern der wandernden Nase. Immer wieder stolziert ein rotes Quadrat über die Leinwand, in unübersehbarer Anlehnung an Lissitzkys Bild „Schlagt die Weißen mit dem Roten Keil“ zerbrechen das Weiß und der Keil gleich dazu. Besonders eindrücklich: die Reihe von Schattengestalten, die schwere Lasten auf dem Rücken tragen, darunter auch Tatlins berühmtes „Monument der Dritten Internationale“ – der Glaube an den großen Umbruch, an die besseren Zeiten, ist zur Bürde geworden. Nebenan klettert eine Gestalt immer wieder eine Leiter hinauf, um am Ende hinunterzustürzen. Hier schaut keiner mehr mit erstaunten Augen in einen Bildraum voller Möglichkeiten, sondern muss immer aufs Neue ins Ungewisse fallen – in eine chaotische Welt, die Kentridge in seiner beeindruckend komplexen Ausstellung nicht als Fehler, sondern als Norm zeigt.

William Kentridge: „Fünf Themen“, Albertina, täglich zehn bis 19Uhr, Mittwoch zehn bis 21Uhr. Anschließend ist die Ausstellung im Israel Museum, Jerusalem, zu sehen.


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