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Die mit der Maus

Am Computer kreiert die Fotokünstlerin Gerlinde Helm virtuelle Welten

von Corinna Daniels

Den Laptop führt sie immer mit. Egal, wo die Weltenbummlerin anlandet. Er ist sozusagen ihr mobiles Atelier. Denn Gerlinde Helm arbeitet am Computer, wenn sie die Kamera aus der Hand legt. Mit ihm archiviert sie Fotos, dehnt, verändert und verkehrt Farben und Formen, spiegelt Bilder diagonal. Als Fotokünstlerin darf man das.

Ja, es ist sogar erwünscht, um zu neuartigen Ansichten zu gelangen. Die scheinen bei ihr geprägt von der eigenen Beweglichkeit. Ballons tanzen durch die Luft, Gebäude spiegeln sich, Personen erscheinen doppelt. Ganz so, als halte der Spieltrieb sie an, uns einen Vexierspiegel entgegenzustrecken, in dem die Realität auf den Kopf gestellt wird.

Manches, was wir darin sehen, erinnert an einen vorgeburtlichen Zustand. Die runden, eizellenartigen "Kristallisationen", so der Titel einer frühen Serie, ziehen den Betrachter in ihren ornamentalen Bann. Verarbeite Fotos von Performances zeigen eine Person in irrwitzigem Strudel der Bewegung, als wäre sie drauf und dran, aus dem Mutterschoß geschleudert zu werden.

"Für mich ist die Fotografie ein Ausgangspunkt. Daran an schließt sich ein malerischer Prozeß am Computer. Das, was rein über den fotografischen Blick nicht sichtbar ist, wird sichtbar gemacht", erklärt die 40-jährige Österreicherin, die eigentlich Bildhauerei in Salzburg und Wien studiert hat und auch mit der Ausformung plastischer Arbeiten begann.

Was trieb sie zur Fotokunst? Eher praktische Gründe. Der hohe Aufwand für die Objekte und Installationen, der Umgang mit giftigen Stoffen und nicht zuletzt die Tatsache, daß Latexprodukte nach fünf, sechs Jahren brüchig werden, also Sammlern kaum zuzumuten sind. "Am Anfang fand ich es toll, daß das Material endlich ist", bekennt Gerlinde Helm. Doch ließ sie bald ab davon.

Wahrscheinlich ist aber auch, daß die statische Bildhauerei sie nicht befriedigte. "Das Bewegliche ist mit Bildern möglich", sagt die Künstlerin, deren lebhaftes Temperament mittlerweile ganz für die Cyberwelten entflammt ist. Gleichwohl scheint der bildhauerische Ansatz noch vorhanden. Da macht es keinen Unterschied, daß sie sich heute in virtuellen Welten bewegt. "Es gibt immer eine Schnittmenge zwischen dem realen Raum und dem virtuellen", meint die Künstlerin. Um dies zu verdeutlichen, werden die Aufnahmen oft auch über Eck gehängt, wie in ihrer ersten Einzelausstellung vor drei Jahren in der Galerie Blickensdorff, wo sich die computergenerierten Spiegelungen gewissermaßen in den Raum dehnten.

Hier tauchte man in ein abstraktes Universum voller Farbenpracht, in ein Kaleidoskop wundersamer Netzstrukturen und Mutationen. Die nächste Schau der Künstlerin, die mit ihren eigenwilligen Fotoarbeiten unter anderem in den Sammlungen des Rupertinum, des österreichischen Bundesministeriums und des Landes Oberösterreich vertreten ist, "Making of a Memory", wird im Januar gezeigt und verspricht gegenständlicher zu werden.

Dafür hat die nach Stationen in London, Paris und New York mittlerweile in Berlin mit Maus und Macintosh heimisch Gewordene schon kräftig produziert. Der Arbeitsprozeß am Computer dauert sehr lange. An manch einer Serie puzzelt sie Jahre. Auch ist die Produktion der DiaSecs (Fotos auf Aludibond unter Plexiglas) teuer. Das unterscheidet ihre Bilder vom schnellen Schnappschuß.

Der dient höchstens der Weiterverarbeitung. Alles, was sie fotografiert, ob Mensch, Natur oder Architektur, wird archiviert. Ist es einmal virtuell verwandelt, wird es gelöscht. Das sei eines ihrer Prinzipien: "Es gibt nur eine bestimmte Kapazität im Gehirn und auch ein virtueller Speicher ist begrenzt. Damit etwas Neues dazukommen kann, muß etwas Altes weggeworfen werden."

Nur so könne man sich mobil und lebendig halten, "denn die Dinge, die uns umgeben, halten uns fest!"

Die Preise der DiaSecs (Lambdaprint hinter Plexiglas) liegen bei 3000 Euro und 6000 Euro für Großformate (die Auflage bei 3 oder 6 Exemplaren.)

Kontakt über Galerie Blickensdorff, Auguststr. 65, Mitte, Di-Fr 14-19, Sa 12-17 Uhr.

Artikel erschienen am Do, 22. September 2005

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