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02.07.2004 - Kultur&Medien / Ausstellung
Null Balkan-Show im Yugomuseum
VON ALMUTH SPIEGLER
Freigeschaufelt von Balkan-Klischees ermöglichen 15 Arbeiten in präziser Ausstellungsarchitektur einen klaren Blick auf die Kunstproduktion in Belgrad von den 70ern bis heute.

Die Secession gibt einen hervorragenden Überblick über Kunst aus Belgrad seit 1970

G
eblendet stand man vergangenes Jahr in den Giardini der Biennale Venedig vor dem "Nationalen Pa villon" von Ex-Jugoslawien. 400 immer wieder unerträglich grell aufblinkende Blitzlichter hat Milica Tomic an der Fassade montieren lassen und brachte so das repräsentative Gebäude samt "Jugoslavia"-Schriftzug immer wieder für Sekunden zum Verschwinden. Die schmerzenden Augen sollten an die Gewalt nationaler Strömungen erinnern, wie sie die 1960 in Belgrad geborene Medienkünstlerin in ihrer Heimat wahrnehmen musste.

Schmerzende Augen bekam in den vergangenen Jahren auch, wer sich durch die grassierenden "Ost-Kunst"-Gruppenausstellungen wühlte. Allein in Österreich gab es zwei der emotional aufgeladenen Großauftriebe: Peter Weibel versuchte 2002 mit "In search of Balkania" in der Neuen Galerie Graz eine gesamtkulturelle Bestandsaufnahme, Harald Szeemann machte sich 2003 für die Sammlung Essl gen Osten auf und brachte üppiges "Blut und Honig" mit. Einzelne Namen, einzelne Länder gingen in bunt-quellender Masse unter. Daneben spezialisierten sich Initiativen wie "rotor" in Graz auf Szene-Einblicke oder leisten wie "Kultur Kontakt" seit Jahren Aufbauarbeit mit Stipendien und Einzelpräsentationen.

Vor dem Hintergrund dieses Wissens-Vakuums von entweder zu viel oder zu speziell gab die Secession eine Ausstellung über Kunst aus Belgrad in Auftrag. Dem 1968 in Belgrad geborenen Kunsthistoriker und Philosophen Stevan Vukovic ist mit Hilfe des in Wien aufgewachsenen serbischstämmigen Künstlers Marco Lulic eine der von Inhalt wie Ästhetik überzeugendsten Ausstellungen gelungen, die heuer in Wien zu sehen waren. "Null Balkan-Show" war das Motto der Ausstellungsmacher. Allein die Reduktion auf übersichtliche 15 Arbeiten, darunter drei Rückblicke auf bereits historische Ereignisse wie das Dada-Magazin "Zenit", macht den Blick klar und hält die Konzentration wach. Unterstützt wird dieses "Freischaufeln" (Lulic) der Kunst durch zurückhaltend, aber nie langweilig ordnende Ausstellungsarchitektur von "Kühn Malvezzi".

Schon der kühle englische Titel der Schau, "Belgrade Art Inc.", zeigt die Unmöglichkeit, heute die Kunst einer Region isoliert zu betrachten. Bis auf die Zeit des Jugoslawien-Krieges herrschte und herrscht hier reger Austausch. In den 70er Jahren muss Belgrad überhaupt eine attraktive Destination gewesen zu sein: Beuys, Acconci zog es hier früher her als etwa nach Wien. Von dieser engagierten Szene erzählen der Katalog einer Ausstellung aus 1971 von u. a. Beuys, Wiener, Buren im gerade neu gegründeten Belgrader Studentischen Zentrum. Denn anders als in anderen kommunistischen Regimen im damaligen Ostblock förderte Tito die Avantgarde, so Lulic. Initiiert wurde die Ausstellung damals von Nena und Braco Dimitrijevic. Letzterer ist auch als Künstler in der Secession vertreten. Gleich hinter der Wand mit den Katalogseiten prangt ein Relikt aus seinen monumentalen Straßenaktionen, in denen er monumental auf Plakatgröße aufgeblasene Porträts von anonymen Passanten von Belgrads Häuserfassaden hängen ließ - und damit dieses repräsentative Propagandamittel für kurze Zeit ironisch demokratisierte.

Ein Beispiel für die heutige Vernetzung ist die Zusammenarbeit von Uros Duric mit Elke Krystufek. In einem eigenen Winkel steigt dieses Duett der Selbstporträts, für das sich der zwischen den Identitäten switchende Belgrader Künstler einfach der künstlerischen Strategie seiner Wiener Kollegin angepasst hat. Und zwischen dem traurigen Mädchengesicht und dem des harten Motorrad-Typen knistert es ziemlich. Weniger respektvoll wird mit dem Antlitz in Rasa Todosijevis Videodokument einer Performance von 1977 umgegangen. Wie in einem unangenehmen Verhör traktiert eine Hand ein unbewegtes Frauengesicht. Und immer wieder wird gefragt: "Was ist Kunst?"

Todosijevis war mit Dimitrijevic und der ebenfalls mit ihren Performances in der Secession vertreten Marina Abramovic Zentrum der Konzeptkunst der 70er in Belgrad. Bis heute nehmen sie dort eine zentrale Rolle ein. Der hochkommerzialisierte Malerei-Boom der 80er fand nicht mehr nach Belgrad. Kein Kunstmarkt, keine Sammler lockten die Stars in die Stadt. In den 90ern unterbrach der Krieg die Entwicklung und traumatisierte die Künstler. Heute, hofft Lulic, pendelt sich langsam alles wieder in der Normalität ein. Das beweisen die überlebensgroße Statue einer "Turbofolk-Sängerin" der 25-jährigen Milica Ruzicic, die mit ihrer plakativen Wirkung auf jeder Kunstmesse Furore machen würde. Mrdan Bajics virtuelles "Yugomuseum" bohrt sich wie eine umgedrehte New-Yorker-Guggenheim-Spirale als Erinnerungs-Bunker in die Erde. Und Biennale-Venedig-Vertreterin Milica Tomic will in der Secession diesmal nicht blenden, sondern erinnern: Mit Interviews mit Partisanen aus dem Zweiten Weltkrieg. Künstlerische Aufarbeitung der eigenen Geschichte findet statt. Leise.

Bis 5. 9. Di.-So. 10-18 h, Do. bis 20 h.

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