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Böser Markt, arme Kunst

26.04.2007 | 18:19 | GASTKOMMENTAR VON GERALD MATT (Die Presse)

Korrumpieren die Verkaufserfolge der zeitgenössischen Kunst die Authentizität und Dignität des ästhetischen Schaffens?

Allerorten schießen Kunstmessen wie Pilze aus dem Boden: Im westdeutschen Raum kämpfen Frankfurt, Köln und Karlsruhe um die merkantile Vorherrschaft, in Wien versucht die relative neue Gründung Viennafair mit großer Anstrengung noch ihren Ort in der internationalen Messelandschaft zu finden. Die Platzhirsche wie Art Basel mit ihrem Edelableger Art Basel Miami oder die Frieze Art Fair in London hingegen melden Jahr für Jahr Verkaufsrekorde: Champagnerkorken knallen, Partytiger brüllen und Kate Moss und David Beckham schauen auch mal vorbei.

So viel Kunst war nie, und hip ist sie noch dazu. Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen. Also treten vermehrt die beamteten Kulturpessimisten und Auguren des Wahren, Guten und Schönen aus den Kulissen und tragen mit sorgengerunzelter Stirn ihre Bedenken gegen die schöne neue Kunstwelt unter der Piratenflagge des Dollarzeichens vor. Ich habe letzte Woche an einer Diskussion mit dem schwer kulturkritischen Titel: „Der ökonomische Blick. Kunst zwischen authentisch und marktgerecht?“ teilgenommen. Dort wurden genau die Fragen diskutiert, die die Feuilletons neuerdings wieder in Wallung zu bringen vermögen. Hat die Kunst heute noch eine authentische schöpferische Rolle in der Gesellschaft oder lässt sie sich zu einem mehrwertschaffenden Vehikel des Wirtschaftsbetriebes verformen? Sind die Besonderheit und Kraft der künstlerischen Position so weit erodiert, dass sie jenseits der Anforderungen von Marktkräften, Bildindustrie, Popkultur und Zeitgeist nur mehr schwerlich Eigenständiges schaffen kann?


Sammler üben Druck aus

Es sind dies die routinemäßigen Einwürfe aus dem Souffleurkasten der Postmoderne, die ein uraltes Garn unhinterfragt weiterspinnen: Wenn Geld im Spiel ist, womöglich noch „dirty money“ aus den schwarzen Kassen russischer Parvenus, dann müssen die Authentizität und Originalität des unverstellten Kunstausdruckes leiden. Dann sitzen hinter den Messkojen die Leipziger Nachwuchsmaler wie Heinzelmännchen und pinseln schnell neue Werke, weil vorne schon alles ausverkauft ist.

Ich glaube, dass die Konstruktion eines Kausalzusammenhangs zwischen Marktzuwächsen und dem Verlust an gesellschaftlicher Relevanz der Kunst von falschen Voraussetzungen ausgeht. Es stimmt natürlich, dass bedeutende Sammler, die auf den Messen en gros einkaufen, Druck auf Kommunen ausüben und bei Strafe des Entzugs ihrer Werke kulturpolitische Entscheidungen zu ihren Gunsten erzwingen wollen. Es stimmt auch, dass Leute wie Charles Saatchi den Wert ihrer Arbeiten durch massiv beworbene Großausstellungen hochtreiben, um danach mit Gewinn zu verkaufen. Auf jeden Saatchi kommt jedoch ein Speck, der überhaupt nicht verkauft, sondern, im Gegenteil, bemüht ist, seine Sammlung zusammenzuhalten und durch durchdachte Zukäufe eine subjektive Vision der Kunstproduktion der Gegenwart zu gestalten, und der darüber hinaus ein anregender, geistreicher Partner für Museen und Künstler ist. Zynischerweise sei daran erinnert, dass sich die Diskussion um Sammlermacht und Ohnmacht der Museen im Zeitablauf ohnedies biologisch erledigt. Irgendwann endet alle Kunst in staatlicher Obhut.

Die Illusion der eher linken, kulturkritschen Position ist die Vorstellung von einem ästhetischen Gestaltungswillen jenseits der Kulturindustrien und des „schändlich Unwelthaften“, das Toni Negri als die Signatur unserer Epoche identifiziert hat. Kunst solle ein „locus amoenus“, ein Ort der Reflexion und der Kontemplation oder eine Festung (eines ohnedies möglichst wirkungslosen, weil nur an die Szene selbst gerichteten) gesellschaftlichen Widerstandes sein, der sich nicht dem Diktat des Wertgesetzes unterwerfe. Kurz: Authentische und originäre Kunst markiere, ganz im Sinne Adornos, die Möglichkeit eines richtigen Lebens im falschen.

Diese von der Verbesserung des Menschengeschlechtes ausgehende Vorstellung hat schon vor 50 Jahren nicht funktioniert, und sie tut es heute weniger denn je. Zum einen ignoriert sie die Tatsache, dass die Konzeption eines autonom schaffenden Kunstsubjektes, das „belle et inutile“ seinem inneren Drang ästhetischen Ausdruck verleiht, eine späte Erfindung des 19. Jahrhunderts ist, in dem, apropos, auch Bilder verkauft wurden, weil Künstler immer auch von etwas leben mussten, auch wenn dies dem bourgeoisen Bild vom Heiligen oder, um es mit Susan Sonntag zu sagen, vom „exemplarischen Leidenden“ nicht entspricht. Zum anderen geht sie von dem unbewiesenen Apriori aus, dass eine verschärfte Konkurrenz der Bildmedien durch Internet-Datenbanken, Digitalfotografie und via You Tube und My Space allgemein zugänglich gemachte Videos den Künstler überflüssig mache. Masse ist jedoch nicht Klasse. Und die wunderbare Bildervermehrung ersetzt nicht die Position eines ordnenden und selektierenden ästhetischen Gestaltungswillens. Im Gegenteil: Gerade im Informationszeitalter, das, so der Kommunikationstheoretiker Georg Franck, dadurch charakterisiert ist, „dass wir uns vor Informationen nicht mehr retten können“, ist der Künstler als Diagnostiker einer visuellen Widerständigkeit auf der Suche nach jenen visuellen (Er-)Findungen, die sich der globalen Homogenisierung verweigern, ein wichtiger Player im Monopoly der gesellschaftspolitischen Paradigmenwechsel.


Ureigene Qualität der Kunst

Der Markt mag die ästhetische Produktion der Gegenwart verzerren, aufblähen, mit Oberflächenglanz bepinseln und zum Small-Talk-Thema bei Art Parties degradieren.

Aber er kann nicht die ureigene Qualität der Kunst beschädigen: eine Verbindung zum Außen zu bewahren und die Verhältnisse, denen sie unterworfen ist, bis zur Kenntlichkeit zu verzerren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2007)


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