Quer durch Galerien
Kochen ist menschlich, essen nicht
Von Claudia Aigner
Die Frage beschäftigt die Menschheit seit
Menschengedenken: Was unterscheidet uns bloß von den andern Tieren, die
auf Erden kreuchen und fleuchen (abgesehen davon, dass unsereins mit dem
Flugzeug "fleucht")? Das, was wir so salopp Mensch nennen, kann man ja auf
vielerlei Arten definieren: als nackten, weil von der Evolution gründlich
rasierten Affen beispielsweise. Dann ist er, der Homo sapiens (wobei
selbstverständlich die Gattungsbezeichnung "Hetero sapiens" in keinem Fall
zulässig ist), wieder ein parfümierter Affe, bis zur Unkenntlichkeit
desodoriert. Mit so entstelltem Körpergeruch nämlich, dass sogar die Nasen
der Gebrüder Grimm bzw. die Riechhärchen von ihrem Teufel, der eine
Großmutter und einen teuflisch guten Geruchssinn hat, nur resignierend
feststellen könnten: "Ich rieche, rieche - ,Axe'. Oder doch ,Chanel Nummer
5'? Das Gelsenpfui von ,Autan'? Und wie, zum Teufel, hat ,Chanel
Nummer 4' gerochen?" Nur wenn er Bohnen gegessen hat, macht der Mensch
sich noch in seinem unverblümt humanen Naturalismus bemerkbar. Doch
eine Definition schlägt sie alle: Der Mensch ist das Tier, das kocht.
Ansonsten können Tiere praktisch eh alles Menschliche, Allzumenschliche:
miteinander kommunizieren, sich beißen, andere Körperpflege machen usw.
Aber kochen tut keins. Denn kochen ist menschlich. (Hör' ich da einen
Zwischengedanken: Aber der Mensch ist doch das Tier, das sich die Schuhe
zubindet, und das Tier, das hintrisch einparkt?) Der Mensch ist also
das Tier, das kocht. Und dementsprechend grausam. Oder wird es dem
(zugegebenermaßen posthumen) Fleisch in der Küche nicht mit
Folterknechtsallüren so richtig "gezeigt", das Schnitzel zwar nicht
gerädert, aber mürbe geklopft, nicht nur gevierteilt, sondern sogar
faschiert? Und wird das Fleisch nicht gepfählt (zu Grillspießchen
verarbeitet) oder brutal zwangsernährt (ein Truthahn bekommt ja vielfach
eine Füllung)? Natürlich will ich nicht sagen, die Kochsendungen im
Fernsehen wären der zivilisierte Ersatz für die einstigen öffentlichen
Hinrichtungen und Sadismusspektakel. So. Die Einleitung musste so lang
sein. Weil wir jetzt zum Otto Muehl kommen, und bei dem geht's bekanntlich
sehr menschlich zu. Dass Kochen eine Materialaktion ist (irgendwie), wird
man dem Kochen zugestehen. Aber ist eine "Materialaktion" (Muehls
Spezialität in seinen aktionistischen Tagen) eine Kochvorführung?
Galerie Hofstätter: Tapferkeit vor dem Koch
Das, was
man in der Galerie Hofstätter (Bräunerstraße 7) noch bis 30. Juni auf 218
Schwarzweißfotos zu sehen bekommt (nur vier Fotos sind in Farbe), hat
tatsächlich frappierende Ähnlichkeit mit den typisch alchimistischen
Vorgängen in der Küche: eine Materialschlacht auf dem Esstisch, die
Zubereitung einer Frau, die passiv ist wie eine Stopfgans. Oder wie ein
Truthahn, der der Fülle harrt. In quasi filmischer Abfolge hat die
fotografierende Institution Franz Hubmann die "Verschnürung eines
weiblichen Körpers" dokumentiert, Muehls fünfte von über 80 Aktionen, mit
der er sich auf die sechste, erste öffentliche Aktion (im Jazzlokal
"Chatanooga") einstimmte (oder sich für sie wappnete?). Die Frau ist
eine Fleischmahlzeit mit Beilagen: Das wissen die Kannibalen und das weiß
der Muehl (der auch weiß, dass die Kunst "aus jedem Loch schlüpfen kann").
Ist das Rebellion am Küchentisch, ein subversives, konsum- und
schönheitskritisches Kochverhalten? Eine Küche der Unappetitlichkeit? Es
wird jedenfalls auf einem Tisch ein Schlachtfeld angerichtet. Ein
Nackedei, das sich nach und nach in pures Menschenfleisch verwandelt und
schließlich in einen Kadaver, wird von dem Mann, der dereinst auch eine
"Turnstunde in Lebensmitteln" abgehalten hat, laufend mit allerlei Lebens-
und sonstigen Mitteln abgeschmeckt (besudelt). Milch, Mehl, Farbe? In
Schwarzweiß lässt sich eben das "Speiserot", das alleinselig machende
Ketchup, nicht vom chancenlosen "Speiseblau" des Christian Ludwig Attersee
unterscheiden, in welche Geschmacksrichtung auch immer die Bläue im Essen
gegangen wäre. Das "Essen" kriegt eine Gasmaske, um dann ziemlich
hermetisch in Plastikfolie abgepackt und ein unidentifizierbarer Klumpen
zu werden wie das Supermarktfleisch unter der Frischhaltefolie, bei dem
man durch reine Fleischbeschau (und nicht Etikettenbeschau) nicht einmal
mehr sagen kann, welche Tierart oder welcher ihrer Körperteile unter der
Folie daniederliegt. Eingesackelt ist der Mensch ja nur am Anfang und am
Ende: in der Fruchtblase und im letztgültigen Plastiksackerl mit
Reißverschluss. Ein Topf mit Spaghetti kommt auch ins Spiel. (Ein
Indiz fürs Kochen und die dem Kochen komplementäre orale Praktik "Essen".)
Und jede Menge Schläuche. Auch eine "Kreuzigung", eine Einarbeitung von
Brettern ins Werkstück, ins Mahl. Nicht nur der Nitsch kreuzigt seine
Speisen. Ganz geschlaucht und schon abstrakt wie Geschnetzeltes geht
die "Muehlmärtyrerin" schließlich über jegliches Essen und jegliche
"Tapferkeit vor dem Koch" hinaus und sieht aus wie ein geschundener,
pardon: verreckter Soldat, der sich im Krieg gesuhlt hat. Die totale
Auslöschung des Menschen in der Materie. Zuerst Leben (ob der Muehl
deshalb so gern mit der "ejakulativen" Sodaflasche auf sein Modell
gespritzt und dann einen riesigen Luftballon aufgeblasen hat, bis der im
achten Monat war?) und dann Tod. Und ob es an den intimen, mehr
ästhetischen als dokumentarischen Fotos vom Hubmann liegt und am Distanz
und Psychologie schaffenden Schwarzweiß, dass mir der Muehl jetzt ein
bissl erträglicher ist?
Galerie Exner: Beim Frohner brodelt's
vor dem Urknall
Ganz so weit entfernt von Muehls gatschiger
Leiblichkeit ist der Adolf Frohner aber auch wieder nicht, bei dem sich
der Mensch schon gewohnheitsmäßig in Fleisch, Lust und Qual auflöst. Die
99 ungewohnt kleinen (und ungewohnt eintönigen) Bildchen aus den letzten
14 Jahren, die beim Exner hängen (Rauhensteingasse 12) und wo sich der
rabiate Pinselstrich zum Menschengatsch verdichtet, zum "faschierten"
Menschen, sind dermaßen komprimiert und breiig (in unterschiedlichen
Graden der Versumpfung), dass sie anmuten wie "richtige" Frohners vor dem
Urknall. So als würd's besser werden, wenn sie sich mehr ausbreiten täten.
Bis 26. Juni.
Galerie Contact: Seerosen - die Stillen im
Wasser
Nun das Schonprogramm: Andrea Bischof, eine Stille im
Lande. (Galerie Contact, Singerstraße 17, bis 3. Juli). Ihre Bilder sind
wie beschauliche stehende Gewässer, auf denen meditierende Blüten
schwimmen. Den aufreizend platten Vergleich mit Monets Seerosen erspar'
ich ihr diesmal. In den vielschichtigen "Farbwässern" hat sie ätherische
Kringerln und subtile Tupfer ausgespart, aus tieferen Farbschichten stehen
lassen. Am Aufregendsten ist sie aber dort, wo sie sich bis hin zum Weiß
beruhigt. Ein springlebendiges, kulinarisch buntes Weiß allerdings. Ein
reizvoll sachtes Kräftemessen zwischen dem Versickern und Hochtauchen.
Erschienen am: 18.06.2004 |
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