04.10.2002 23:43
Geschichte und Zukunft eines Instituts
Das Wiener Institut für Kunstgeschichte feiert sein 150-jähriges Jubiläum
- und beschäftigt sich nach wie vor mit ungeklärten Fragen seiner jüngeren
Vergangenheit
Wien - Rudolf Eitelberger von Edelbergs theoretische wie
praktische Bemühungen haben Wien nicht nur mit den langfristigen Auswirkungen
eines Museums für angewandte Kunst konfrontiert, sondern auch mit denen eines
Instituts für Kunstgeschichte. Im November 1852 wurde Eitelberger zum a.o.
Professor für Kunstgeschichte und Kunstarchäologie ernannt und damit die
Kunstgeschichte erstmals als selbstständiges Fach an der Universität Wien
angeboten.
Das ist nun auch schon wieder 150 Jahre her und also Anlass
genug, ein Geburtstagssymposion abzuhalten.
Thema des festlichen
Anlasses, zu dem die in Wien lebende Künstlerin Anna Jermolaewa ihre Videoloops
Das Hendltriptychon, Solo, Mutterschaft und 3 Minuten
Überlebensversuche beigesteuert hat: Wiener Schule und die Zukunft der
Kunstgeschichte. Punktgenauer landet Werner Hofmann die retro- wie
prospektive Selbstbespiegelung mit dem Titel seines Eröffnungsvortrags: Alles
ist Ambivalent. Und weiter: Die Wiener Schule der Kunstgeschichte:
Wieviel Zukunft hat ihre Vergangenheit?
Das konstituierende Merkmal
der "Schule", sagt Hofmann, sei "der produktive Zweifel", die Lehre Alois Riegls
oder auch Franz Wickhoffs, dass der Gehalt jedes Kunstwerks durch "ambivalent
komplementäre Strukturen" bestimmt sei. An dieser Einsicht macht Hofmann die
Bedeutung der Wiener Schule fest, darin, ein Anschauungs- und Denkmuster
vorgeschlagen zu haben, das es ermöglicht, Mehrdeutigkeiten zu fassen.
Und auch daran, dass Julius von Schlosser seinen Schülern (Hans
Sedlmayr, Ernst Gombrich) eine immer wieder zu stellende Frage einpflanzte: "Was
ist Kunst, was ist Geschichte, wie ist Kunstgeschichte überhaupt möglich?"
Schlosser säte den Zweifel. Bei Gombrich hat das zu einer, bis in die
unmittelbare Gegenwart zumindest praktikablen Sichtweise der Kunstgeschichte als
"eine Kette von Übergängen, Auflösungen und Verdichtungen, deren Höhenlagen sich
bald isolieren, bald verzwittern, bald abstoßen" geführt.
Hans Sedlmayr
waren Ambivalenz und Zweifel zu viel: Er hat aus ihnen den berühmt
berüchtigten Verlust der Mitte abgeleitet - einen fatalen Ruf zur
Ordnung.
Das Fach hat diesen Bruch überlebt. Als Trauma ist Sedlmayr, der
als NSDAP-Mitglied dem Wiener Institut bis 1945 als "einer der wenigen
faschistischen intellektuellen von hohen Graden" (Sauerländer) vorstand,
geblieben.
Die Zukunft der Wiener Kunstgeschichte kann - wie die
Beiträge zum Symposion zeigen - nur in einer überfälligen Aufarbeitung allen
Materials zur eigenen Geschichte liegen. Ansonsten wird die Beschwörung der
Vorkriegshelden zu dünn, um Studenten in die Zukunft zu entlassen. Bis 6. 10.
referieren u.a.: Beat Wyss, Christopher Wood und Monika Faber. (Markus
Mittringer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5./6. 10. 2002)