Museum auf Abruf: "Matrix. Geschlechter – Verhältnisse – Revisionen"
Feldarbeit zum Anderssein
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„Körperprojektion (Der Magier Houdini)“ von Birgit Jürgenssen:
Ausschnitt aus einem fotografischen Selbstporträt der österreichischen
Künstlerin mit den Schatten der Laterna magica aus dem 19. Jahrhundert.
Foto: Sammlung der Kulturabteilung der Stadt Wien |
Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Das breite Themenfeld zur Geschlechterfrage
wird zum Glück nicht mehr nur von Künstlerinnen abgedeckt. Das Museum
auf Abruf (Musa) führt mit seiner neuen Ausstellung aus Beständen der
Sammlung der Stadt Wien seit den 50er Jahren neue Fragen zum Thema
geschlechtliche Identität und Anders-Sein vor. Zwei junge Kuratorinnen,
Sabine Mostegl und Gudrun Ratzinger, beginnen im Feministischen mit
einem der ersten Ankäufe zum Thema, der "Aktionshose Genitalpanik" von
Valie Export 1969, und enden bei Hinterfragungen des männlichen
Atelier- und Künstlerselbstbildes von Lois Renner im Jahr 1995 oder
Hans Scheirl 2008.
Prothesen und Schleier
Scheirls "Hans im Bild" führt ein androgynes Wesen vor Augen – und
damit die Einsamkeit, keiner Gruppe in der Gesellschaft anzugehören.
Fragen des gestörten Selbstbewusstseins im nicht festzulegenden
Geschlecht sind in Wien erstmals von Matthias Herrmann in Fotografien
der 90er Jahre formuliert worden. Hans Schinwald und Fritz Eckhardt
erweitern den Kreis in die Gebiete des Unbewussten von Sigmund Freud.
Unheimliche Prothesen, Schleier und Verdoppelungen tauchen in ihren
Werken auf.
Aufgezwungene Rollen
Mit Übertreibung hat Renate Bertlmann schon früh in
Dokumentationsfotos ihrer Performance "Wurfmesserbraut" aufgezwungene
Rollenbilder entlarvt. Die vielteilige Arbeit füllt nun auratisch eine
Wand – gegenüber weist Carola Dertnig mit "Lora Sana I" auf weitere, in
der Kunstgeschichte zu wenig beachtete weibliche Positionen des Wiener
Aktionismus hin.
Das Labor der emotionalen Brüche, die in performativen Techniken und
den Neuen Medien Ausdruck finden, kulminiert in Fragen nach der
Unterrepräsentation von Künstlerinnen in großen Sammlungen, nach
allgemeinen Hierarchien, Körperzwängen und Konstruktionen von
Geschlecht, aber auch Komplizenschaft.
Gegen die Norm richten sich die Collagen von Ingeborg Goeschl-Pluhar
aus den Jahren 1972 bis -74. Genauso wie neue Videos von Anna
Jermolaewa oder Michaela Pöschl, wobei der Blick auf den Körper als
Hauptthema der Kunst in der Vergangenheit wiederkehrt. War er früher
klar männlich determiniert, machen sich nun neben einem
geschlechtlichen Wechsel auch Ironie und große Unsicherheit bemerkbar.
Nichts ist eindeutig
Birgit Jürgenssen fing schon 1988 irritierende Schatten auf der Haut
ihres Rückens ein. Die Akte werden durchlässig, so auch in Lotte
Hendrich-Hassmanns Einschnitten für biedere Familienfotos oder in
Ursula Hübners Zerlegungen. Nichts ist eindeutig, die konventionelle
Erzählung aufgelöst.
Auch die textilen Techniken sind heute nicht mehr Ausdruck
weiblicher Tätigkeiten – das weiche Material wird für neue plastische
Fragen benützt. Sticken, Häkeln und Nähen kann aber auch soziale
Bedingungen erörtern wie in Eva Grubingers Installation "Netzbikini"
oder subversiv Rollenstreitbilder einer globalen Gesellschaft
hervorheben – so Maulkorb und Gesichtsmaske bei Kartina Daschner. Der
Schleier des Weiblichen hat uns längst alle eingeholt.
Matrix. Geschlechter –
Verhältnisse –
Revisionen
Kuratorinnen:
S. Mostegl, G. Ratzinger
Musa (Felderstraße 6-8,
1080 Wien)
bis 7. Juni
Donnerstag, 13. März 2008
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