text breit  text schmal  
drucken 
Bilder keine Bilder

derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
10. Mai 2005
00:12 MESZ
Von Markus Mittringer

Secession
Bis 26. 6. 
Foto: Secession
Eva Schlegel hat den Hauptraum der Wiener Secession mit einer Vertikale aus Licht durch- brochen. Den Horizont verblendet Blei.

Das matte Blei der Ornamente
Eva Schlegel hat den Hauptraum der Secession in eine mehrdeutige Bleikammer verwandelt

Womit der belegte Raum erneut einer Befragung unterzogen wurde. Und erneut verfolgt man eine schöne Schlacht, die am Schluss immer der Raum gewinnt.


Wien - Unter Drop-Sculptures versteht man seit der Ablöse der Denkmäler im öffentlichen Raum durch Allgemeineres denn die einzelne Existenz betreffende Gebilde all jene Skulpturen, die wie erbetener Hagel im Wiederaufbau zunächst in die Fußgeherzonen der Städte und in Folge auch in die ruraleren Gebiete einschlugen.

Nicht selten markierten die Niederschläge recht unmotivierte Krater der Besinnung in der Nähe der Verkehrsknotenpunkte oder Genussmittelzentralverschleißstellen der wieder erstarkenden Kommunen. Nicht weniger selten und weniger unmotiviert auch schlugen die Gebilde Orientierungspunkte in Autobahnkreuze oder Kreisverkehre. Und so manche Skulptur ging mitten im Bunt einer Gartenschau nieder.

Diesem auf Dauer recht unbefriedigenden Platzregen entgegenzusteuern, wurde der intelligente Niederschlag erfunden: Jeder einzelne Tropfen war fortan befähigt, selbsttätig in Wucht, Form und Einschlagswinkel näher auf seinen Zielort einzugehen - es tröpfelte site-specific. Und das führte fallweise zu durchaus avancierteren Ergebnissen.

Die bis heute auch gerne im Innenraum erprobt werden. So wie gegenwärtig durch Eva Schlegel in der Wiener Secession. Erneut wurde also dieser mit der Last der Berühmtheit geschlagene Ausstellungsraum einer Befragung unterzogen, wurde in ihn eingegriffen, wurden Installationen angebracht, ihm noch einmal eine neue Ansicht abzuringen.

Erneut hat das funktioniert. Die nun bleibeschlagenen Wände steigern das ohnehin Hermetische des fensterlosen Raumes. Spiegelflächen deuten zum einen eine in unendliche Tiefen fortgesetzte Abschottung an. Oder aber versprechen dort, wo sie die Oberlichte wiedergeben, einen Ausweg auch nach unten.

Die Nägel mit denen die tonnenschweren Bleitapeten affichiert wurden, zitieren, wenn man so will, jugendstiltypische Muster, die sich aus der Funktion ergeben. Die Oxidschicht, die das Material rasch überzieht, gemahnt an längst korrodierte Oberflächen von Dachaufbauten, Zierrat und Denkmälern.

Eva Schlegel hält gekonnt offen, ob der Zustand der Isolation als Folge von Haft oder Schutz zu deuten ist, ob einem nun ein Draußen vorenthalten wird, das Leben, oder eines, das Gefahr bedeutet. Durchaus lässt sich ihre lichtdurchflutete Bleikammer als samtenes Behältnis deuten, in dem im Verweilen Enthaltsamkeit zur Lust wird, in dem sich ebenso entspannt der Melancholie nachhängen lässt, wie dem möglicherweise prickelnden Vergnügen, keine der zwei Richtungen ins Licht einzuschlagen.

Man mag aber auch Vergnügen und/oder Erkenntnis darin finden, die dichten Wände nach Tapp-, Tast- und Lehnspuren dritter abzusuchen, nach Marken der Arbeit an dieser schweren Kammer, nach Belegen für frühere Insassen, nach Hinweisen dafür, welche Winkel vielleicht öfter als andere aufgesucht wurden.

Man kann sich aber auch über Eva Schlegel hinwegsetzen und alle anderen Interventionen Revue passieren lassen, die dieser Raum schon dominiert hat. Man kann im Herz der Secession vielleicht gar nichts anderes mehr tun als Vergleiche anzustellen, was schon war, und Vermutungen, was da noch kommen mag.

Und dann macht sich eben ein Bedauern breit, und eine Wut. Dann wünscht man sich ganz aufgewühlt und doch im Stillen einen Drop-Sculpture-Einschlag von einer derartigen Wucht, die diese ganze Jugendstil-Penetranz einmal nur verblassen ließe. Oder irrsinnig hässliche Stellwände mit Kunstwerken 'drauf, die frech genug sind, sich im 21. Jahrhundert nicht um Joseph Maria Olbrich zu kümmern. Abreißen ist ja verboten, aber die Freiheit der Missachtung könnten sich ein paar Künstler doch gestatten. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.05.2005)


© 2005 derStandard.at - Alle Rechte vorbehalten.
Nutzung ausschließlich für den privaten Eigenbedarf. Eine Weiterverwendung und Reproduktion über den persönlichen Gebrauch hinaus ist nicht gestattet.