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19.09.2003 - Kultur&Medien / Ausstellung
Empfehlungen: Ein Würfelwurf, sozusagen
Spannende Konzeptkunst, kritische Fotografie und Medienkunst sowie viel gute Malerei bringt dieser Ausstellungsherbst. Konstruktion scheint sich dabei als heimlicher Leitfaden abzuzeichnen. Einige Anregungen und Empfehlungen der schaufenster Spezial-Redaktion.

Lasset auch uns konstruieren: Was, wenn das ganze Land eine einzige Ausstellung wäre? Und die Projekte in den Museen und Kunstvereinen zwischen Boden- und Neusiedlersee nicht nur Pünktchen auf der Kunstlandkarte wären, sondern Puzzlesteine eines großen Ganzen? Sollte einer diese Ausstellung von einem erhöhten Standpunkt aus betrachten, würden sich wunderbare Sinnzusammenhänge ergeben, wobei der Zufall Regie führen würde. Ein Würfelwurf sozusagen.
Stilles Kraftzentrum dieser Mis-en-scène wäre diesmal das Mumok. Nicht, weil es so dunkel verbunkert mitten im Museumsquartier ruht. Sondern weil es im Herbst eine ebenso starke wie meditative Ausstellung beherbergt: Erstmals werden hier die „Bücher“ der Hanne Darboven im Überblick gezeigt. Seit 1966 stellen sie für die deutsche Konzeptkünstlerin eine Form dar, die ihrer bei aller Reduziertheit und allem Minimalismus äußerst vielschichtigen Kunst sehr entgegenkommt. Sie bilden gleichsam ein Gefäß für Zahlenkolonnen und Tageslisten, zwischen die die an Kulturgeschichte interessierte Künstlerin ab und zu auch einen Ausschnitt aus dem „Spiegel“, Materialien aus der Bismarck-Zeit oder Texte großer Dichter einstreut. Wie sehr dieses Werk Gattungsgrenzen überschreitet, wird dann im November deutlich. An drei Tagen gelangen Darbovens musikalische Kompositionen zur Aufführung: ein Streichquartett sowie Auszüge aus ihrem achtstündigen Bläserquintett.

Absolute Reduktion. Ein jüngerer Maler, der der Darboven in seiner Diszipliniertheit so fremd nicht sein dürfte, ist Christian Hutzinger. Seine Spezialität ist die absolute Reduktion der Formen, meist vor weißem Grund. Gegenstände oder Landschaften werden hier auf eine – auf geometrischen Regeln basierende schablonisierende – Grundsprache zurückgeführt. Mit seinem „wild“ betitelten Auftritt in der Galerie der Stadt Schwaz signalisiert Hutzinger eine Öffnung hinsichtlich Malweise und Farbpalette.

Weniger streng, doch ähnlich schablonenhaft, agieren Markus Muntean und Adi Rosenblum. In ihrer Ausstellung im Salzburger Kunstverein beziehen sie sich thematisch auf Inhalte und Bildsprache von Mode- und Jugendmagazinen, transponieren diese jedoch in eine gefrorene Farbigkeit. Der meist um die Bilder gemalte, weiße Rahmen erinnert nicht zufällig an Monitore oder Video-Screens, auf denen die Bilder zu künstlichen Images erstarren.

Eine derartig Medialität und Künstlichkeit umkreist auch Elke Krystufek in ihrer Arbeit, wobei sie immer wieder die eigene Person und Biografie ins Zentrum ihrer Kunst stellt. Dass sie als Identität umso ungreifbarer wird, je präsenter sie ist, ist ein Paradox, das eine der Qualitäten ihrer Arbeit ausmacht (im Kunstraum Innsbruck).

Eine Verwandte im Geiste ist Sam Taylor-Wood. Allerdings arbeitet die Britin ausschließlich mit Fotografie und Video, um Themen wie Sexualität und Körperlichkeit, aber auch existenzielle Erfahrungen wie Angst, Isolation und Entfremdung künstlerisch zu untersuchen. Die Bawag Foundation präsentiert nun eine dichte Auswahl ihrer Foto- und Videoarbeiten.

Farocki, Kubelka &Co. Videos in Hülle und Fülle zeigt derzeit auch die Generali-Foundation. Für die Menge sorgt insbesondere der in Berlin lebende Filmemacher Harun Farocki, von dem im Rahmen der Ausstellung „Sammlung“ über 30 (!) Videofilme eingesehen werden können. Wesentlich kompakter präsentieren sich die anderen Künstler der Ausstellung: Friedl Kubelka etwa, deren filmisches Gesamtwerk in Summe kaum länger als eine Stunde dauert, oder Dan Graham: Seine Doppelprojektionen benötigen viel Raum, sind aber eher mediale Skulpturen und Installationen, die mit dem Genre Film in erster Linie die Gerätschaften gemein haben.

Gesellschaftliche Fragen nach dem Verhältnis von Individuum, Gesellschaft und Kunst, wie sie die Generali Foundation mit der „Sammlungs“-Ausstellung aufwirft, verhandelt in diesem Herbst – wenngleich mit stärkerem Akzent auf die Poesie der Kunst – noch ein Projekt: Unter dem Titel „Gegeben sind…“ befasst sich die Innsbrucker Galerie im Taxispalais mit „Konstruktion und Situation“. Zur Disposition gestellt werden modellhafte Situationen, die zwischen realen Szenarien und symbolischen Konstrukten oszillieren: Cardiff/Miller bauen dafür ein verkleinertes Kinotheater (für drei Besucher), dessen bild- und tontechnischer Illusionismus so perfekt ist, dass die „BetrachterInnen an der eigenen Wahrnehmung zu zweifeln beginnen“. Oder Shooting-Star Emanuelle Antille: Im Video „Training Lounge“ verrinnt die Normalität des Büroalltags traumhaft mit der Privatsphäre einer jungen Frau.

Realitäten kippen lässt schließlich auch Matthew Buckingham: Im Untergeschoß des Mumok führt er eine flirrende Arbeit vor, die einer Erzählung Edgar Allan Poes nachempfunden ist. In dem in Wien produzierten 16- mm-Film folgt ein Mann einem Passanten 24 Stunden lang durch die Stadt, ohne dass er über diesen „Man of the Crowd“ mehr erfahren kann. Thematisiert wird nicht nur das Scheitern des Protagonisten, sondern auch die Not des Betrachters.Auch er bleibt in voyeuristischer Neugier auf der Strecke …

Ganz auf gesellschaftliche und kulturtheoretische Fragen konzentrierte sich hingegen einer, den man im Reigen der Ausstellungsprogramme so ohne weiteres nicht erwarten würde: Pierre Bourdieu. Der große, 2002 verstorbene, französische Soziologe begab sich zwischen 1958 und 1961 mit der Kamera auf Recherche nach Algerien. Das Grazer Fotoinstitut Camera Austria zeigt dieses spannende „Achsenwerk“ zwischen Fotografie und Theorie als Widerspiegelung des „Status nascendi der Bourdieuschen Soziologie“ nun als erstes großes Projekt in den neuen Räumlichkeiten im Kunsthaus Graz.

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