Lasset auch uns konstruieren: Was, wenn das ganze Land eine einzige
Ausstellung wäre? Und die Projekte in den Museen und Kunstvereinen
zwischen Boden- und Neusiedlersee nicht nur Pünktchen auf der
Kunstlandkarte wären, sondern Puzzlesteine eines großen Ganzen? Sollte
einer diese Ausstellung von einem erhöhten Standpunkt aus betrachten,
würden sich wunderbare Sinnzusammenhänge ergeben, wobei der Zufall Regie
führen würde. Ein Würfelwurf sozusagen.
Stilles Kraftzentrum dieser
Mis-en-scène wäre diesmal das Mumok. Nicht, weil es so dunkel verbunkert
mitten im Museumsquartier ruht. Sondern weil es im Herbst eine ebenso
starke wie meditative Ausstellung beherbergt: Erstmals werden hier die
„Bücher“ der Hanne Darboven im Überblick gezeigt. Seit 1966 stellen sie
für die deutsche Konzeptkünstlerin eine Form dar, die ihrer bei aller
Reduziertheit und allem Minimalismus äußerst vielschichtigen Kunst sehr
entgegenkommt. Sie bilden gleichsam ein Gefäß für Zahlenkolonnen und
Tageslisten, zwischen die die an Kulturgeschichte interessierte Künstlerin
ab und zu auch einen Ausschnitt aus dem „Spiegel“, Materialien aus der
Bismarck-Zeit oder Texte großer Dichter einstreut. Wie sehr dieses Werk
Gattungsgrenzen überschreitet, wird dann im November deutlich. An drei
Tagen gelangen Darbovens musikalische Kompositionen zur Aufführung: ein
Streichquartett sowie Auszüge aus ihrem achtstündigen Bläserquintett.
Absolute Reduktion. Ein jüngerer Maler, der der Darboven in seiner
Diszipliniertheit so fremd nicht sein dürfte, ist Christian Hutzinger.
Seine Spezialität ist die absolute Reduktion der Formen, meist vor weißem
Grund. Gegenstände oder Landschaften werden hier auf eine – auf
geometrischen Regeln basierende schablonisierende – Grundsprache
zurückgeführt. Mit seinem „wild“ betitelten Auftritt in der Galerie der
Stadt Schwaz signalisiert Hutzinger eine Öffnung hinsichtlich Malweise und
Farbpalette.
Weniger streng, doch ähnlich schablonenhaft, agieren
Markus Muntean und Adi Rosenblum. In ihrer Ausstellung im Salzburger
Kunstverein beziehen sie sich thematisch auf Inhalte und Bildsprache von
Mode- und Jugendmagazinen, transponieren diese jedoch in eine gefrorene
Farbigkeit. Der meist um die Bilder gemalte, weiße Rahmen erinnert nicht
zufällig an Monitore oder Video-Screens, auf denen die Bilder zu
künstlichen Images erstarren.
Eine derartig Medialität und
Künstlichkeit umkreist auch Elke Krystufek in ihrer Arbeit, wobei sie
immer wieder die eigene Person und Biografie ins Zentrum ihrer Kunst
stellt. Dass sie als Identität umso ungreifbarer wird, je präsenter sie
ist, ist ein Paradox, das eine der Qualitäten ihrer Arbeit ausmacht (im
Kunstraum Innsbruck).
Eine Verwandte im Geiste ist Sam
Taylor-Wood. Allerdings arbeitet die Britin ausschließlich mit Fotografie
und Video, um Themen wie Sexualität und Körperlichkeit, aber auch
existenzielle Erfahrungen wie Angst, Isolation und Entfremdung
künstlerisch zu untersuchen. Die Bawag Foundation präsentiert nun eine
dichte Auswahl ihrer Foto- und Videoarbeiten.
Farocki, Kubelka &Co. Videos in Hülle und Fülle zeigt derzeit auch
die Generali-Foundation. Für die Menge sorgt insbesondere der in Berlin
lebende Filmemacher Harun Farocki, von dem im Rahmen der Ausstellung
„Sammlung“ über 30 (!) Videofilme eingesehen werden können. Wesentlich
kompakter präsentieren sich die anderen Künstler der Ausstellung: Friedl
Kubelka etwa, deren filmisches Gesamtwerk in Summe kaum länger als eine
Stunde dauert, oder Dan Graham: Seine Doppelprojektionen benötigen viel
Raum, sind aber eher mediale Skulpturen und Installationen, die mit dem
Genre Film in erster Linie die Gerätschaften gemein
haben.
Gesellschaftliche Fragen nach dem Verhältnis von Individuum,
Gesellschaft und Kunst, wie sie die Generali Foundation mit der
„Sammlungs“-Ausstellung aufwirft, verhandelt in diesem Herbst – wenngleich
mit stärkerem Akzent auf die Poesie der Kunst – noch ein Projekt: Unter
dem Titel „Gegeben sind…“ befasst sich die Innsbrucker Galerie im
Taxispalais mit „Konstruktion und Situation“. Zur Disposition gestellt
werden modellhafte Situationen, die zwischen realen Szenarien und
symbolischen Konstrukten oszillieren: Cardiff/Miller bauen dafür ein
verkleinertes Kinotheater (für drei Besucher), dessen bild- und
tontechnischer Illusionismus so perfekt ist, dass die „BetrachterInnen an
der eigenen Wahrnehmung zu zweifeln beginnen“. Oder Shooting-Star
Emanuelle Antille: Im Video „Training Lounge“ verrinnt die Normalität des
Büroalltags traumhaft mit der Privatsphäre einer jungen
Frau.
Realitäten kippen lässt schließlich auch Matthew Buckingham:
Im Untergeschoß des Mumok führt er eine flirrende Arbeit vor, die einer
Erzählung Edgar Allan Poes nachempfunden ist. In dem in Wien produzierten
16- mm-Film folgt ein Mann einem Passanten 24 Stunden lang durch die
Stadt, ohne dass er über diesen „Man of the Crowd“ mehr erfahren kann.
Thematisiert wird nicht nur das Scheitern des Protagonisten, sondern auch
die Not des Betrachters.Auch er bleibt in voyeuristischer Neugier auf der
Strecke …
Ganz auf gesellschaftliche und kulturtheoretische Fragen
konzentrierte sich hingegen einer, den man im Reigen der
Ausstellungsprogramme so ohne weiteres nicht erwarten würde: Pierre
Bourdieu. Der große, 2002 verstorbene, französische Soziologe begab sich
zwischen 1958 und 1961 mit der Kamera auf Recherche nach Algerien. Das
Grazer Fotoinstitut Camera Austria zeigt dieses spannende „Achsenwerk“
zwischen Fotografie und Theorie als Widerspiegelung des „Status nascendi
der Bourdieuschen Soziologie“ nun als erstes großes Projekt in den neuen
Räumlichkeiten im Kunsthaus Graz.