Die Presse: Was würden Sie einem Studenten raten? Was für
Kunst soll der kaufen?
Karlheinz Essl: Wichtig ist, was ihm gefällt. Er soll nur
nicht spekulativ sein, nach der Vorstellung: Jetzt sammle ich und mache in
kurzer Zeit ein Vermögen. Man sollte sich auch gut informieren. Oft kann
etwas vordergründig Schönes nach weiterem Hinschauen nicht halten, was es
versprochen hat. Ich würde mit Druckgrafiken anfangen. Sie kosten zwischen
200 und 500 Euro.
Wie kauft dagegen ein Millionär ein?
Essl: Dadurch, dass wir schon eine große Sammlung haben,
sind wir viel selektiver geworden. Am Anfang haben wir geschaut, dass die
Basis vorhanden ist, österreichische Kunst. 1990, als der Kommunismus
zusammengebrochen ist, hatte ich schon die Vision, mit dem Baumarkt nach
Osteuropa zu gehen. Plötzlich war Wien wieder im Zentrum des
zentral-osteuropäischen Geschehens. Die Eigenstaatlichkeit, diese auch für
Österreich typische Eigenbrötelei, sollte sich auflösen. Da haben wir
begonnen, internationale Kunst zu sammeln.
Aber eben nicht osteuropäische.
Essl: Nein. Das war mir noch viel zu unbekannt, ein Buch
mit sieben Siegeln.
Die osteuropäischen Länder sind doch nach wie vor
unerschlossen?
Essl: Ja, das ist ein guter Ausdruck. Man sagte, jetzt
werden die Schleusen geöffnet, aber das war für mich eigentlich die große
Enttäuschung, weil es mit gewissen Ausnahmen nicht dieser große Dammbruch
war. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die Kunst auch ihre Freiheit
braucht.
Woher kommen die großen Innovationen?
Essl: Wenn man die letzten 50 Jahre Revue passieren
lässt, waren es die Amerikaner. Jackson Pollock, also dieser automatische
Expressionismus, Rauschenberg und Lichtenstein, später auch Warhol, die
auf die Konsumgesellschaft reagiert haben, mit gesellschaftsbezogener
Kunst. Rainer war ja auch ein Künstler, der etwas ganz Neues geschaffen
hat, nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs. Er hat angefangen,
alles über Bord zu werfen, wild darauf losgemalt und immer wieder
übermalt, übermalt, bis ein schwarzes Bild entstanden ist. Die nächste
große Zeit waren die 60er Jahre, mit den Happenings in Amerika, dem
Aktionismus in Österreich - der Aufstand der Jugend gegen das
Establishment.
Man sagt, in Wien gibt es zuviel Konkurrenz. Was bedeutet
das für ein Museum?
Essl: Es ist so wie im Wirtschaftsleben. Wenn man eine
schöne Marktposition erreicht hat, dann will man sie abschotten und hat am
liebsten eine Ruhe. Wir wissen aber, dass die freie Marktwirtschaft immer
noch das Beste ist - mit all den negativen Erscheinungen. Ähnlich ist es
in der Kunst. Ich glaube, dass es hier diesen traditionellen
Museums-Begriff nicht mehr gibt. Ein Beispiel: Soll die Albertina heute
Malerei zeigen, oder soll sie sich auf ihr ursprüngliches Konzept der
Grafik konzentrieren? Ich glaube, sie muss den grafischen Bereich weiter
exzellent betreuen, weil das ihr historischer Auftrag ist. Aber nach dem
Ausbau sind nun große Ausstellungsräume vorhanden, die gefüllt werden
müssen. Herr Seipel zeigt im KHM moderne Kunst, Herr Schröder zeigt jetzt
in der Albertina die alte Kunst, oder geht von der alten zur neuen. Wo
sind hier Konzepte zu erkennen, wo sind Abgrenzungen sinnvoll und
notwendig? Man muss das heute viel lockerer sehen. Einschränkungen machen
keinen Sinn.
Die strukturelle Einschränkung ist Geld!
Essl: Das ist richtig und auch das Problem. Vor allem die
öffentlichen Museen stehen unter einem enormen Leistungsdruck. Die müssen
ihren Geldgebern, dem Staat, immer wieder eine höhere Besucherfrequenz
nachweisen. Sonst kriegt man weniger Subventionen. Das Geld wird knapper.
Die Leute müssen sich jetzt mehr und mehr an die Wirtschaft wenden. Wir
können hier einen anderen Weg gehen. Es ist nicht sinnvoll, nur
populistische Ausstellungen zu machen. Aber jeder Politiker lässt sich die
Besucherzahlen vorlegen. Wehe, es geht mal runter. Und wie kann man am
leichtesten Besucher rein bringen? Mit Kunst, die man kennt, die die Leute
wollen.
Also klassische Moderne.
Essl: Genau. Das ist ja wirklich weltweit zu sehen. Das
ist ja nicht nur ein Trend für Österreich. Überall, wo sie hinschauen, von
Picasso bis Monet, Matisse, bis Gauguin, Van Gogh in der 100.000sten
Variante.
Man könnte ja fairen Wettbewerb machen und sagen, die
Privaten sollen mutig sein.
Essl: Das sehe ich überhaupt nicht so. Das ist zutiefst
Aufgabe staatlicher Museen. Aber auch wir haben nicht die Möglichkeit,
jeden jungen Künstler aus der Akademie zu zeigen oder gar zu kaufen. Es
gibt in Österreich 3000 Maler. Wir können vielleicht 150 in unserer
Sammlung aufnehmen, müssen sehr selektiv vorgehen und haben auch einen
enorm hohen Qualitäts-Level. Das ist bei den großen Museen extrem
ausgeprägt. Wenn meine Frau und ich neue Künstler aufnehmen, dann dauert
es auch eine gewisse Zeit, bis wir der Meinung sind, es ist nachhaltige
Qualität da. Man kann geschwind einmal ein schönes Bild sehen und
begeistert sein, aber was kommt danach?
Die Bewertung der Kunst ist heikel. Gibt es Künstler, von
denen Sie glauben, denen habe ich das viel zu billig abgeknöpft?
Essl: Daran kann ich mich nicht erinnern.
Gibt es umgekehrt Bilder, die teure Mode waren und Ihnen
nicht mehr gefallen?
Essl: Es war ein enormer Lernprozess. Der Rainer war am
Anfang für mich grauslich, Nitsch war für mich unverständlich, noch viel
mehr für meine Frau. Oder der Aktionismus. Als der begonnen hat, konnte
ich mir nie vorstellen, dass das von meiner Zeit her einmal verstanden
werden könnte, aber das hat sich dann im Lauf der Zeit gegeben. Meine Frau
und ich haben uns ja 40 Jahre ganz intensiv mit der Kunst auseinander
gesetzt. Wir suchen Künstler, wir machen Atelierbesuche, wir sind
befreundet, und das ist ja auch ein wichtiger Punkt. Es geht nicht nur ums
Sammeln, sondern auch darum, mit den Künstlern persönlich zu sprechen.
Sie haben selbst gemalt. Wo haben Sie diese Bilder? Wer
sieht die?
Essl: Die habe ich in der Sammlung irgendwo im Depot
versteckt. Niemand sieht die. Nein, die will ich nicht ausstellen. Das
können meine Erben tun, wenn sie glauben dass es sinnvoll ist. Das Malen
war für mich nie eine Erholung, sondern eine aufregende Geschichte. Ich
kenne die ganzen Höhen und Tiefen, die Hölle des Malens - vor der weißen
Leinwand zu stehen und sich die Welt jedesmal neu zu erfinden.
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