Die heiteren Farbräume zu Beginn von "Lulu" steigert Daniel Richter hysterisch, um sie dann, wenn die "Elende" in tiefster Einsamkeit versinkt, zu verdunkeln.
Salzburg - "Ein entsetzliches Gebäude!" . Daniel Richter wiederholt: "Ent-setzlich!" Bevor er den Auftrag bekam, das Bühnenbild für Lulu zu gestalten, kannte der deutsche Maler die Felsenreitschule nicht. Dort sah es für ihn aus wie in einem "Kitschfilm, wo Monster, Drachen und Ritter mit Eisenkreuzen um sich werfen" . Eine große, dunkle, feuchte Kulisse, in der alles, was an deutscher Geschichte muffig ist, stattfinden könne. Ein optimaler Einstieg, eine inspirierende Inspektion von Schauplätzen sieht anders aus.
Nicht anders, sondern genauso wie er es sich vorgestellt hatte, sahen für Richter die bisherigen Bühnenbilder für die Felsenreitschule aus: "Gruselig." Und so ist zu verstehen, warum Richter die typischen Felsarkaden vollkommen mit riesigen leuchtend bunten Leinwänden verhangen hat. Ein Unterfangen, was ihm nun nach der Premiere der eine oder andere Kritiker ankreidet. Seine Negativerweckung macht nachvollziehbar, wieso der Maler 48 Meter breite Bildtapeten schafft, die nach und nach herabfallen. Als Maler könnte er nicht anders, als "das, was da an Musik und Text ist, in ein Bild umsetzen. Eines, das dem Inhalt entspricht, ohne ihn zu illustrieren." Auch der bunt gestreifte Vorhang sei logisch: "Die größte Bühne Europas: Da muss ein Vorhang davor, damit man sieht, dass man das nicht bewältigen kann."
Ein bisschen Revolte
Richter, der zornige Malerstar, der linke Rebell, "der "Hausbesetzer" , wie sein ihm zwangsweise aufgepfropfter königlicher Beiname lauten könnte, soll - ebenso wie Jonathan Meese - das letzte Flimm'sche Festivaljahr im erregungsarmen Salzburg mit ein bisschen, keinem weh tuender Revolte, mit ein bisschen "Bad Painting" und locker sitzender Zunge aufquirlen. Die Sehnsucht nach ein bisschen buntem Vogel befriedigt so etwas allemal und funktioniert als Person live auch ausgesprochen gut. Aber gerade vor den neuesten Bildern, die unter dem bewusst nichtssagenden Titel Spagotzen in der Galerie Ropac präsentiert werden, zeigt sich ein neuer, geradezu ruhiger Richter.
Im Vergleich zu den bekannten, überbevölkerten, häufig kämpferischen und konfrontationsreichen urbanen Szenerien hat man fast menschenleere Phantasielandschaften vor sich. Nur ein Bild erfüllt das, was man bereits kennt: In Besuch der Wirklichkeit rast eine vermummte Meute, die Gesichter zu Fratzen stilisiert, mit Steinen bewaffnet auf den Betrachter zu: eine Art moderner Delacroix, ein Freiheitskampf auf den Barrikaden durch ein Nachtsichtgerät betrachtet.
Aber auf allen anderen Leinwänden von 2010 hat Richter das übliche "Totmalen" vermieden, statt Horror Vacui springt ein grüner Zwerg über einen tiefen Abgrund. Flieht. Die Plateaus der dramatischen Berge sind durchzogen von nervös tänzelnden Linien, die wie rotglühende Lava leuchten. Totbringende Berge als Ornament statt politisch anmutender Wirklichkeitsverweise. Lasierend rinnt die Farbe über die Leinwand. Eine gelbe, wächserne Gestalt kauert nahe vor der Tiefe. Sie kotet, wie der Künstler erklärt, in beziehungsweise auf die Landschaft.
Ein Thema, das einem auch in älteren Arbeiten Richters begegnet - etwa in kleinformatigen Bildern (Experimentierblättern, Skizzen und Gemäldevorstudien seit 1999), die das Rupertinum gemeinsam mit Entwürfen zum Bühnenbild ausstellt: The Black Saint and the Sinner Lady titelt die Schau, die so eine inhaltliche Lulu-Nähe herstellt. Hier begegnet man, etwas bunt durcheinander gewirbelt, nackten Frauen, die in nächtlich grünem Glimmen und unter unheilvollen, körperlosen Augen in Erdlöcher kriechen, ein leuchtend roter Don Quijote auf ebensolchem Pferd oder munchartigen Schreien. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 04.08.2010)
Galerie Ropac, bis 28. 8.; Rupertinum bis 17. 10.
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