Die subversive Schönheit in der Malerei
Gerhard Richter. Die Albertina präsentiert den wichtigsten zeitgenössischen Künstler Deutschlands in einer großen Retrospektive.
ERNST P. STROBL Wien (SN). Trotz des großen Formates scheinen die Bilder zu schweben, schwerelos und transparent wirken viele der Gemälde, oft ist das Motiv mit vernebelter Unschärfe festgehalten. Neben fast depressiven grauen Gemälden sind es vor Farbe förmlich explodierende Abstraktionen, die Gerhard Richter gemalt hat. Mittlerweile ist Richter der teuerste lebende Maler der Welt. Der am 9. Februar 1932 in Dresden geborene und seit 1961 in Westdeutschland lebende Richter ist aber nicht nur durch Rekorde bei Auktionen bekannt geworden, seit Jahren dominiert er den Kunstkompass, der die 100 wichtigsten Künstler auflistet. 2003 gelang Richter erstmals der Sprung auf Platz eins, er hält ihn bis heute inne.
Bis 3. Mai kann man sich in der Albertina ein Bild machen vom Schaffen des Malers und Zeichners. Die Retrospektive ist 2008 für das Frieder Burda Museum in Baden-Baden zusammengestellt worden, war danach in Edinburgh zu sehen und ist in Wien um weitere Leihgaben aufgerundet worden. Vor allem durch Richters Aquarelle und Zeichnungen kam man auf immerhin 153 Werke, die vom kleinen, mit Wasserfarben bemalten Blatt aus dem Notizblock bis hin zu kolossalen Großformaten in Öl reichen. Was sofort auffällt: In eine Schublade kann man Richter sicher nicht stecken. „Ich verfolge keine Absichten, kein System, keine Richtung, ich habe kein Programm, keinen Stil, kein Anliegen“, sagte der Künstler schon 1966. Da die Schau chronologisch gehängt ist, lässt sich dennoch zumindest ein künstlerischer Weg nachwandern. In den Aquarellen und Zeichnungen hat sich Richter fast ausschließlich abstrakt geäußert, also ganz anders als in den Bildern, die er oft nach Fotografien malte. Abstraktion und Realismus, graue Bilder und Farbexplosionen hängen nebeneinander, und sollte es ein Leitmotiv geben, dann ist es wohl der Widerspruch. „Die Motive in meinen Bildern haben keine Bedeutung.“ Dieses Richter-Postulat klingt fast verschmitzt.
Schon bald nach seiner Flucht aus der DDR 1961 war Gerhard Richter Mitbegründer des „Kapitalistischen Realismus“ als Gegenbewegung zum Sozialistischen Realismus seiner Jugend. Politische Gedanken finden sich bei Bildern von Militärflugzeugen, das Bild „Familie am Meer“ verströmt Ost-Charme. Das Bild „Party“ zeigt vampirartige Leute, es wurde mit Schnitten und Nägeln malträtiert. Und sogar die so harmlos „schönen“, meditativen Kerzenbilder sind eher Symbole des Aufstandes als Symbole des Friedens.
Den überragenden Erfolg Gerhard Richters auf dem Kunstmarkt erklärt Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder so: „Ein Künstler, der den Kanon unentwegt bricht, ist ein Spiegel unseres heutigen Lebens voller Brüche und Widersprüche. Der abrupte Stilwechsel, die Vermeidung jeglicher Festlegung ist auch ein Symbol für die gesellschaftliche Indifferenz.“ Eine Ausstellung mit „Abstrakten Bildern“ von Gerhard Richter ist übrigens ab 20. Februar im Haus der Kunst in München zu sehen. Internet: www.albertina.at