Schnittpunkt der Kulturen

Von Sabine Oppolzer


"Wien ist ohne die Geschichte der Juden nicht denkbar," sagte der damalige Bürgermeister Helmut Zilk bei der Eröffnung des Jüdischen Museums im Palais Eskeles im Jahr 1993. Zu diesem Aufsehen erregenden politischen Akt, den Helmut Zilk bereits ab dem Jahr 1985/86, also dem Höhepunkt der Waldheim-Affäre, auf seine Fahnen geheftet hatte, kam Teddy Kollek, der damalige Bürgermeister von Jerusalem, nach Wien. Es war der erste Besuch Kolleks in seiner Geburtsstadt, die er 1935 verlassen hatte. Auch in späteren Jahren gehörte es zu den Zielen des jüdischen Museums, ehemalige Wiener Bürger in ihre Heimatstadt zurückzuholen. Highlight auf diesem Sektor war sicherlich der Besuch Vera Goldmanns im Jahre 1998. Mit dieser 1921 in Wien geborenen Tänzerin war eine der letzten Vertreterinnen des Wiener Ausdruckstanzes der 20er Jahre nach Wien gekommen.

Neues Geschichtsbewusstsein

Der damalige Direktor des Jüdischen Museums, der deutsche Historiker Julius Schöps, der 1942 im schwedischen Exil geboren wurde, hatte anlässlich der Eröffungsrede festgehalten, es ginge darum, sich mit der jüdischen Geschichte auseinanderzusetzen und zu erkennen, dass sie Teil der eigenen ist.

Rückschau in Zufriedenheit

Nach insgesamt 10 Jahren meint der amtierende Direktor, Karl Albrecht-Weinberger, dass diese ursprüngliche Intention bestens realisiert worden sei. Er resümiert stolz: eine halbe Million Besucher hätten die 65 Ausstellungen in der Seitenstettengasse und im Palais Eskeles besucht. Die Palette reicht von Literaturthemen wie Franz Kafka, Joseph Roth oder Karl Kraus über Architekturpräsentationen wie Carl König hin zu Foto-Ausstellungen wie zuletzt Alice Schalek. Besondere Bedeutung im Selbstverständnis des Museums kommt und kam den Kunstausstellungen zu.

Kunst statt Isolation

Diese Ausrichtung geht auf eine der ersten Direktorinnen dieses Museums zurück, Daniella Luxemburg, eine Kunstexpertin aus Israel. "In einem Land wie Österreich, aber auch in den anderen mitteleuropäischen Ländern, kann es eine Gefahr sein, wenn man bei einem solchen Museum bei der Definition der bloßen Religion stehen bleibt," meint Luxemburg, "denn so macht man ein Museum für ein isoliertes Volk, für Menschen, die nicht so sind wie alle anderen."

Sie legte ein kunstorientiertes Museumskonzept auf Schiene, das das Jüdische Museum Wien deutlich von den bereits länger bestehenden jüdischen Museen in Frankfurt und Amsterdam abhebt, verfügt es doch über Kontakte zu großen internationalen Kunstmuseen, die weit über die Grenzen der jüdischen Museen hinaus gehen.

Wiederentdeckung des Wiener Expressionismus

Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang vor allem die bedeutenden Wiener Malerinnen Bronica Koller-Pinell und die Stimmungsimpressionistin Tina Blau, oder der Berliner Maler Max Liebermann. Mit der ersten Retrospektive zu Max Oppenheimer hat das Jüdische Museum schließlich wesentlich zur Wiederentdeckung des Wiener Expressionismus beigetragen.

Zu Publikumsmagneten wurde die Ausstellung mit den Wandgemälden aus dem Jüdischen Theater Moskau sowie das Frühwerk von Marc Chagall zu Beginn der Ausstellungstätigkeit im Palais Eskeles. Daneben gab es zahlreiche Veranstaltungen als Rahmenprogramm zu den Ausstellungen: Sie waren den Themen Musik, Religion oder Politik gewidmet.

Auftragswerk "610 Bedford Drive"

In diesem Bereich zählte zu den Highlights der Einakter "610 Bedford Drive" von Michaela Ronzoni. Das äußerst erfolgreiche Stück war als Auftragswerk des Jüdischen Museums entstanden. Es handelte von Franz Werfel und seiner ambivalenten Haltung zwischen seiner Neigung zum Katholizismus und der Solidarität mit dem Judentum. Erwin Steinhauer spielte Franz Werfel.

Kunst auf 2000 Quadratmetern

Heute präsentiert sich das Museum in einer Innenraumgestaltung des Architektenduos Eichinger oder Knechtl auf einer Fläche von 2000 Quadratmetern. Bis dieses Quartier bezogen werden konnte, hatte es jahrelange Debatten um die Unterbringung gegeben. Auch ein Neubau auf diversen Bauplätzen war in Erwägung gezogen worden. Erst beim Umzug aus dem Provisorium in der Seitenstettengasse, in der das Museum 1990 eröffnet worden war, entdeckte man, dass bedeutende Teile einer Sammlung eines noch älteren Jüdischen Museums erhalten gebieben waren.

Bereits ab 1895 hatte es in Wien das erste jüdische Museum der Welt überhaupt gegeben. Es war 1938 von den Nationalsozialisten zerstört worden. Die Bestände sind glücklicherweise erhalten geblieben, weil sie noch im selben Jahr für eine große Antisemitismus-Ausstellung in Wien verwendet wurden.

Weltweit bedeutende Judaica-Sammlung

Ein weiterer Teil der Sammlung besteht aus Kunstwerken, die 1938 aus den Synagogen gerettet werden konnten. Grundstein der Sammlung des Jüdischen Museums bleibt aber die Sammlung Max Bergers. Es ist dies eine der bedeutendesten privaten Judaica-Sammlungen der Welt. Als Max Berger 1988 starb, wurde die Kollektion von der Stadt Wien fürs Jüdische Museum gekauft.

Dependance am Judenplatz

Um eine neue Dimension wird das Jüdische Museum bereichert sein, wenn am 25. Oktober am Judenplatz nach vielerlei Schwierigkeiten die neue Dependance eröffnet werden soll. Hauptelement der neuen Außenstelle werden die Ausgrabungen der mittelalterlichen Synagoge unter dem Judenplatz sein. Der Gedenkraum wird durch einen langen unterirdischen Gang zu betreten sein. Auch nach zehnjährigem Bestehen ist die grundlegende Ausrichtung des Museums mit seinem breiten kulturellen Spektrum gleich geblieben. Nur in eine Richtung wird man neue Schritte wagen, mit der Geschichte nach 1945 wird man sich verstärkt auseinandersetzen.

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