Salzburger Nachrichten am 26. Juni 2003 - Bereich: st
Eine Vase namens Sisi

Zeitgenössische Kunst ist "unbequemer" als traditionelle, meint Barbara Reisinger, die neue Präsidentin des Kunstvereins.

DAVID GROSS

SALZBURG.

Haben Sie gewusst, dass es in einem Aufenthaltsraum der Chirurgie West ein Kunstwerk von Barbara Reisinger gibt? Nein? Kein Wunder: Gewissenhafte Krankenschwestern haben es hinter Topfpflanzen versteckt. Es ist ein Materialband, der alle Werkstoffe des Hauses repräsentiert. Das Schicksal dieses Kunstwerks hat gewissen Symbolcharakter. Die zeitgenössische Kunst führt in der Festspielstadt immer noch ein Schattendasein. Dagegen kämpft der "Kunstverein" an, der sich als regionale und internationale Plattform für zeitgenössische Kunst versteht.

Kampf gegen das Schattendasein

Für Barbara Reisinger, die dem Verein seit Mai 2003 als Präsidentin vorsteht, ist zeitgenössische Kunst "unbequemer als traditionelle Kunst". Wer beispielsweise in Reisingers "Augartenvase" Blumen wassern will, hat sich geschnitten. Die Vase existiert nur als Negativform. So hinterfragt die "Augartenvase" Sehgewohnheiten kritisch und macht auf den Raum rund um den alltäglichen Gegenstand aufmerksam. Bei dem Werk geht es laut Reisinger um Inhalt und Essenz und nicht wie zu Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn rein um die Schönheit der Form. Nach dem Studium der Keramik in Linz und Amsterdam betätigte sich Reisinger freischaffend in Salzburg, wo sie auch aufgewachsen ist. An einem Höhepunkt ihrer Entwicklung steht die Prunkvase: Früher zeigten solche Vasen Herrscher wie etwa das Kaiserpaar. Wer heute an Sisi und Franz Joseph denkt, hat Romy Schneider und Karlheinz Böhm vor sich; das Medienbild hat das Original längst verdrängt. Barbara Reisinger trägt diesem Phänomen Rechnung und tauscht auf ihren Prunkvasen Herrscher durch Filmdarsteller aus. So wächst ihre Kunst, die als Keramik begann, zur Medienkritik heran. Seit 1984 gibt sie ihr Können in der Werkerziehung am Mozarteum weiter, 1999 kam noch ein Lehrauftrag an der Uni für Kunst und Gestaltung in Linz dazu. Reisingers vorläufig letzte Ausstellung fand unter dem Titel "Zuhause" statt. Zu sehen gab es eine Wandbibliothek, die sich beharrlich der Funktionalität widersetzte und mit Fernseher und Büchern aus Spannplatten ausgestattet war. Wer sich jetzt Sorgen macht, dass es zu Hause bei Reisingers auch nur Spanplatten-Mobiliar gibt, der sei beruhigt; Bücher und Fernseher sind sozusagen echt, werden aber bestimmt bewusster wahr genommen als in anderen Haushalten.