Globalkunst prägt seit einiger Zeit den Diskurs über Gegenwartskunst. Was aber ist damit eigentlich gemeint?

Angst vor der McDonaldisierung


Das Kremlin Palace Hotel in Antalya als Umdeutung und Austauschbarkeit nationaler Ikonen im globalen Zeitalter. Der Kremelin Doppelgänger (2009) wurde hier von Anna Jermolaewa ins Bild gesetzt.

Das Kremlin Palace Hotel in Antalya als Umdeutung und Austauschbarkeit nationaler Ikonen im globalen Zeitalter. Der Kremelin Doppelgänger (2009) wurde hier von Anna Jermolaewa ins Bild gesetzt.Kerstin Engholm Galerie, Wien/VG-Bild-Kunst, Bonn Das Kremlin Palace Hotel in Antalya als Umdeutung und Austauschbarkeit nationaler Ikonen im globalen Zeitalter. Der Kremelin Doppelgänger (2009) wurde hier von Anna Jermolaewa ins Bild gesetzt.Kerstin Engholm Galerie, Wien/VG-Bild-Kunst, Bonn

"Hier bekommen Sie einen Einblick in eine neue Welt, in der Sie jeden Fernsehsender der Welt einschalten können und die Fernsehzeitschrift so dick wie das Telefonbuch von Manhattan ist." Mit diesen Worten leitete der Medienkunstpionier Nam June Paik einst seinen Videomix aus massenmedialen Zitaten und Künstlerbeiträgen ein, der als "Global Groove" am 30. Januar 1974 vom New Yorker Fernsehsender WNET-TV ausgestrahlt wurde. Paiks Vision eines wöchentlich rund um den Erdball verteilten Sendungsformats, das Kunst, Tanz und Musik aller Nationen vorstellen sollte, lieferte das Lebensgefühl zur Theorie des Medienphilosophen Marshall McLuhan. Bereits 1962 sprach dieser in Hinblick auf die Zunahme elektronischer Kommunikationstechniken vom "global village", der weltweiten Verständigung im globalen Dorf.

Längst ist der Traum vom digitalen Universum erfüllt, die daraus resultierenden globalen Verflechtungen wirtschaftlicher, politischer und kultureller Vorgänge vollzogen. Der jeweilige soziale Wandel, der sich dadurch in den unterschiedlichsten Staaten vollzieht, erfordert ein enormes Umdenken. Denn die Tatsache, dass wir uns die Welt per Knopfdruck ins Haus holen können, ist noch lange kein Garant dafür, dass wir sie auch besser verstehen. Das zeigt sich nicht nur in wirtschaftlichen, ökologischen und politischen Belangen, sondern auch im Umgang mit zeitgenössischer Kunst. Noch in den 1980ern war das Reden darüber auf das westeuropäische und US-amerikanische Kunstgeschehen beschränkt.

Information

Ausstellungstipp:

"The Global Contemporary. Kunstwelten nach 1989", ZKM - Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, 17.9.2011 bis 5.2.2012

"Westkunst" nannte sich zum Beispiel eine 1981 in Köln initiierte Ausstellung. Allein der in Zeiten des Kalten Krieges provokant klingende Titel unterstrich die Binsenwahrheit, dass die gerne mit globalem Anspruch auftretende westliche Avantgarde statistisch nur einen schmalen Anteil zur Welt-Kunstproduktion beisteuerte. Westlich oder nicht-westlich war trotzdem kein Thema der Schau. Anstöße dazu kamen erst mit Glasnost und Perestroika und der Schlüsselrolle, die dem Jahr 1989 in Bezug auf die Rezeption zeitgenössischer Kunst zukam. Dabei war es nicht nur die Kunst aus den Ländern Ost- und Südosteuropas, die in den Folgejahren im Rahmen bedeutender Ausstellung verstärkt zur Diskussion stand. Auch das Schaffen afrikanischer, asiatischer und südamerikanischer Künstler sowie das jener Australiens bahnte sich nach und nach seinen Weg auf einer neu zu entwerfenden Weltkarte der Kunst. Und stellte die sogenannten Global-Player des Kunstbetriebs vor große Fragen.

Denn wie bloß die Kunst der Neuankömmlinge im Kunstweltspektakel westlicher Prägung adäquat zeigen, ja überhaupt erst verstehen, wenn westliche Deutungs- und Präsentationsmuster plötzlich nicht mehr griffen? Unter welchen Voraussetzungen sollte man sich nicht-westlicher Kunst nähern, wollte man sich nicht in exotischen Schwärmereien, Klischees und Vorurteilen verfangen? Bis heute ist dieses Dilemma nicht zur Gänze gelöst. Nach wie vor ringt die Kunsttheorie um Begriffe, jene Formen zeitgenössischer Kunst zu benennen, die vor 1989 noch gar nicht im Diskurs verankert waren.

Einen wichtigen Beitrag zur Problematik lieferte die im Jahr 2000 vom Museum für Gegenwartskunst Basel veranstaltete Reihe "Total Global". Experten aus dem Westen sowie aus der Türkei, aus Kuba, dem Senegal, aus Südafrika, China und Süd-Korea erörterten die Schwierigkeiten aber auch Möglichkeiten im Umgang mit nicht-westlicher Kunst. "Gibt es eine Globale Kunst?" lautete die das Projekt einleitende Frage, die weniger Antworten als vielmehr neue Fragen provozierte. Denn obschon seit den 1990ern das Schlagwort "Globalkunst" im Umfeld von Symposien und Ausstellungen verstärkt kursiert, so vermag der Begriff das internationale Gegenwartskunsttreiben nur vage zu fassen. Mit Globalkunst sei "kein Stil, sondern eine Bedingung" benannt, so die Kunstkritikerin und Kuratorin Sabine B. Vogel. Nicht formale oder inhaltliche Gemeinsamkeiten verbinde die Künstler, deren Schaffen unter dem Begriff zusammengefasst werden könnte, sondern die Situation, in der ihre Werke entstehen.

Auf welche Weise also prägt die Globalisierung die Kunst? Und in welcher Form wird sie zur Voraussetzung künstlerischer Produktion? Gegenwartskunst, so wie sie sich uns heute vielfach präsentiert, ist ohne die wirtschaftliche Globalisierung nicht denkbar. Das zeigt sich in der weltweiten Expansion des Biennalensystems ebenso wie in den Strategien großer Auktionshäuser, Galerien und Kunstmessen, die neben ihren Stammsitzen in Europa und den USA Filialen auf anderen Kontinenten gegründet haben. Immer wieder wird diese Entwicklung problematisiert, führt sie doch vielfach auf das gerade in Zeiten der Globalisierung gestrig anmutende Modell nationaler Etikettierungen zurück. Man denke etwa an die Länderpavillons auf Biennalen oder die Vermarktung zeitgenössischer Kunst in geografischen Einheiten (arabische, chinesische oder indische Kunst) auf Auktionen. In Ergänzung zu den jeweils lokalspezifischen Entwicklungen wie etwa dem Entstehen von Museen und anderen Kunsträumen in bislang "kunstfernen" Regionen kann die Ausweitung westlicher Marktmodelle aber in Hinblick auf die Entstehung neuer Kunstzentren und die öffentliche Präsenz von Kunstschaffenden aus anderen Kulturen auch positiv bewertet werden. Schließlich fördert auch sie den Austausch zwischen den Akteuren unterschiedlicher Kunstszenen. Und diese suchen kulturelle Identität nicht zuletzt in der regionalen Kunst, um ihr globale Anerkennung zukommen zu lassen.

Zur Globalkunst zählen nicht nur Werke, die verschiedenste Globalisierungsszenarien zum Thema haben wie etwa Migration oder die Angst vor einer weltweiten McDonaldisierung. Eine solche Definition würde viel zu kurz greifen. Kennzeichen einer als global zu bezeichnender Kunst ist mit Sabine B. Vogel gesprochen vor allem die wechselseitige Durchdringung verschiedener visueller Sprachen, in der "lokale Traditionen, regionale Historien und globale Themen zusammenfinden".

Demzufolge ließe sich Ai Weiwei als Globalkünstler schlechthin bezeichnen. In China geboren und in den USA künstlerisch ausgebildet, kommentiert er in seinem Werk die gravierenden Veränderungen und verheerenden Auswirkungen auf Umwelt und Menschenrechte, die seit der wirtschaftlichen Öffnung seines Herkunftslandes stattfinden. Dabei bezieht er sich formal nicht nur auf künstlerische Traditionen seiner Heimat, sondern auch auf die Konzeptkunst westlicher Prägung und Marcel Duchamp.

Die Kunst von Ai Weiwei ist aber nur ein Beispiel unter vielen für das, was wir als Globalkunst bezeichnen können. Leitfäden, wie man sich als Betrachter diesem so schwer einzugrenzenden Phänomen stellen kann, gibt es dennoch einige: Zunächst geht es ganz simpel um die Offenheit, die wir uns aneignen müssen, um auf fremde Kulturen, deren Geschichten und Traditionen abseits westlicher Denkstrukturen zuzugehen. Man muss überkommenes Wissen über Bord werfen und einen Wertepluralismus zulassen, der uns nicht nur von einer Welt sondern von vielen Welten reden macht. Wenn uns das gelingt, können wir zeitgenössische Kunst unabhängig ihrer Herkunft als einen auf Austausch basierenden kosmopolitischen Wissensraum begreifen, aus dem alle Beteiligten um einiges bereichert hervorgehen.




URL: http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/kunst/?em_cnt=399632&em_loc=77
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