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22. Juli 2008
18:32 MESZ

Das UCCA Peking

Das Ullens Center for Contemporary Art ist in einer ehemaligen Rüstungsfabrik im Pekinger Distrikt Dashanzi untergebracht. Das Viertel ist mittlerweile international bekannt als "Beijing 798". Das UCCA steht inmitten des permanent wachsenden Galerienviertels.

Der französische Architekt Jean-Michel Wilmotte (Musée d'Art Contemporain Lyon; Abteilung Primitive Arts des Louvre) hat das 8000 Quadratmeter große Areal adaptiert. Etwa 2500 Quadratmeter an Ausstellungsfläche, eine Bibliothek und ein multifunktionales Auditorium sind Publikumsbereiche. Derzeit ist ein Restaurant in Bau, das ebenfalls als Ausstellungsfläche dienen soll und nachts als Club mit DJ-Line bespielt wird.

Der Eröffnungsschau 85 New Wave: The Birth of Chinese Contemporary Art folgte eine Retrospektive auf Huang Yong Ping. Den Kontext zum "westlichen" Kunstschaffen stellten Personalen von Lawrence Weiner und Rebecca Horn her. Weiner hat zur Eröffnung des Zentrums als Auftragsarbeit eine Installation in einer der beiden Hallen realisiert. Einen ersten Einblick in die Highlights der in ihrer Gesamtheit noch nie dokumentierten Sammlung des Unternehmerpaares Guy und Myriam Ullens zeigt nun der ehemalige Direktor des Pariser Palais de Tokyo und nunmehrige Leiter des UCCA, Jérôme Sans.

Kunst zu sammeln begann Guy Ullens zu Anfang der 80er-Jahre, chinesische Malerei der Song-, Yuan-, Ming- und Quing-Dynastien - Material, das durchaus zu den William Turners im Familienbesitz passte. Um die Mitte der 1980er-Jahre begann er - von heute aus gesehen - "Initialwerke einer chinesischen Gegenwartskunst" "aus dem Bauch heraus" zu sammeln: Wang Guangyi, Xu Bing, Geng Jianyi, Huang Yongping. (mm/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23. 7. 2008)

 

 

Genialer Kurzschluss von Verkaufs- und Wiedererkennungswert: Yue Minjun "Happiness".


Super-Feng-Shui: Jérôme Sans lässt ein Foyer gestalten, Ai Weiwei leuchtet ein.


Der große Sprung nach vorn
Das Ullens Center for Contemporary Art in Peking deutet seine Zukunft an: Jérôme Sans soll als neuer Leiter dem Haus der Sammler Guy & Myriam Ullens zu internationalem Ansehen und Glamour verhelfen

Wenn Feng-Shui nichts mehr hilft, hilft nur mehr eines: Super-Feng-Shui. Weil: Das Chi muss unbedingt frei fließen - gerade jetzt, wo in China der Markt die Freiheit entdeckt, gilt es, den Himmel und die Erde zu beobachten, die chinesische mit der westlichen Kunst zu harmonisieren. Alles andere wäre verstockte Energie. Und weil man von Peking aus den Himmel so gut wie nie sieht, auch dann nicht, wenn sich gerade nur die Autos mit den ungeraden Nummern hupend in den Ringen stauen und Wanderarbeiter wie Fabrikschlote ausnahmsweise zur Zwangsnichtarbeit verurteilt werden, auf dass den Gastmarathonläufern zu Olympia nicht vorzeitig die Lungenflügel lahmen, ist höchste Konzentration auf die Erde angesagt.

Peking hat Maos großen Sprung nach vorn zur olympischen Disziplin ernannt. Und da es, wie östliche Erfahrung lehrt, früher oder später ja doch ein Yin gibt, wo momentan ein kräftiges Yang herrscht, kann man moralisch völlig unbedenklich rabiat überholen, weil sich am Ende ja doch alle Elemente - auch die bedenklichen - harmonisch im Kreislauf wiederfinden werden. Und also lässt sich Gartenkunst im Sinn der Methoden "Fliegende Sterne" wie "Acht Häuser" mit Bedacht und ohne Rücksicht auch auf Autobahnknoten anwenden, kann man Leitschienen so derart mit Pelargonienkisteln bewehren, dass selbst Europas schönstes Blumendorf - Achtung, Virgen! - erzittert. Jedenfalls zeigt der Geomantenkompass eben eine Schlagseite im Westen, und der Einfluss der Sterne äußert sich gerade in bestimmten Formen der Architektur, in dicht nebeneinander gepflanzten Investorenkobeln mit Pagoden oben drauf oder Neuschwanstein-Imitaten nach der Fünf-Elemente-Leere.

Aber egal, ohne Amateure kein olympischer Gedanke, und außerdem wissen wir doch alle seit St. Niklas dem Soziologen (Luhmann), dass die Übertragung die eigentlichen Spiele sind. Was in situ passiert, ist viel zu ungeschnitten, um zumutbar zu sein. Aber Vorsicht, jetzt nicht vorschnell irgendwen zum Gang auf die Dialogwiese nötigen! Es gibt ja noch den Dashanzi-Bezirk; und in dessen Mitte das UCCA, das Ullens Center for Contemporary Art, der importierte Nachbar der Long March Gallery. Letztere entstand aus einem Künstlerkollektiv, das so lange Maos legendären Weg kritisch performend nachgegangen ist, bis es etwa in der Mitte der Strecke beschloss, im Westen weiterzuwandern.

Die Bauchsammler

Ersteres ist eine Gründung der belgischen Unternehmer und Sammler Guy & Myriam Ullens, die um die Mitte der 1980er-Jahre "aus Liebe" und also "aus dem Bauch heraus" zu kollektivieren begannen, was seit einigen Jahren schon den an sich gefassten Auktionatoren von Christie's und Sotheby's die Mundwinkel in Richtung Ohren treibt. Ullens Ware (etwa 1500 Stück) - deckungsgleich mit der des Schweizer Diplomaten und ebenfalls Bauchsammlers Uli Sigg - gab den Anstoß zur Gründung einer der ersten privaten Kunstfoundations in China. Ein nicht eben leichtes Unterfangen, erschien es doch den in blätterteigartig unzählbaren Schichten parallel agierenden chinesischen Behörden gerade jetzt, am großen Sprung von der Plan- zur entfesselten Marktwirtschaft, höchst verdächtig, dass mit Westkapital ein Non-Profit-Unternehmen errichtet werden sollte.

Aber gut: Eigentum auf Dauer ist in China ohnehin nicht zu erwerben, also hat Ullens sieben Jahre Zeit, sich als harmonisch zu erweisen. Andernfalls verfallen Grund und Bauwerk ohnehin wieder dem Volkseigentum. Im November 2007 wurde (siehe der Standard vom 6. 11. 2007) mit 85 New Wave. The Birth of Chinese Contemporary Art eine erste Schau, die nicht nur die auktionsgehypten Stars Chinas, sondern auch deren historisches Umfeld zeigte, eröffnet. Ein paar Monate später schon ist Our Future angesagt, eine Auswahl aus der Ullens-Sammlung, die Jérôme Sans getroffen hat, der Pop-Kurator, der nach dem Pariser Palais de Tokyo nun dem UCCA als Direktor zu internationalem Ruf und Glamour verhelfen soll - die wahrscheinlich beste Wahl der Welt, ein Haus auch in den Medien zu verwurzeln und also wahr zu machen.

Seine Antrittsshow zeigt alles, was das Sammlerherz begehrt: Einen funkelnden Kristallluster, wie ihn Claes Oldenburg nicht größer hätte umsetzen können, Sui Jianguos Clothes Wrinkle Study - Right Arm, auch groß und für jedermann sofort als Kritik am historisch belasteten Monumentalen zu erkennen, und Fang Lijuns hinter der kitschig bunten Oberfläche selbstredend auch ungeheuer kritische Malereien von unschlagbarem Wiedererkennungswert.

Und man darf , ganz Carsten Höller, durch Wang Dus Röhre ins Museum rutschen. Chinesischer aber - mit viel Gekicher. Jérôme Sans' Job-Profil: "Machen, was bisher noch nicht gemacht wurde!" Also Wirbel, als wäre das UCCA eine Sonderschau zur Art Basel in Miami Beach oder ein Teaser zur Frieze in London. Übung gelungen. (Markus Mittringer aus Peking/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23. 7. 2008)


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