Schöne, kaputte DDR
Die Medien feierten ihn als ostdeutschen Helmut Newton, doch Olaf Martens, 1963 in Halle geboren, mag kein Schubladendenken. Er studierte Fotografie in Leipzig und gilt heute als einer der bekanntesten deutschen Fotokünstler. In seiner aktuellen Ausstellung „Blockschokolade, DDR 1979–1989“ in der Münchner Galerie f5,6 (bis 3. Oktober) zeigt er zum ersten Mal seine DDR-Reportagebilder.Herr Martens, als Sie vor der Wende in Leipzig Fotografie studierten, war die Stasi nicht immer einverstanden mit Ihren Motiven. Was war das Problem? Martens: Einmal habe ich ein Industriegelände in Buna bei Halle fotografiert. Es sah dort irre aus, die ganze Landschaft war grau, als hätte man sie in Zement gegossen, weil in den Fabriken Kalk gebrannt wurde – es war also sehr staubig. Ich bin an einem Sonntag hin, weil ich dachte, dass dann niemand auf dem Gelände ist, aber offenbar saßen Angestellte im Büro, die aufpassten und die Stasi verständigten. Meine Filme wurden konfisziert. Es war damals verboten, Industrieanlagen, Bahnhöfe oder militärische Einrichtungen zu fotografieren. Wenn man es trotzdem tat, wurde man schon mal festgenommen.Haben Sie diese Grenze bewusst überschritten? Martens: Ja, es ging mir dabei aber vor allem um die Ästhetik. Natürlich ist es irgendwie pervers, Industrieschmutz als schön zu empfinden, aber der Anblick war besonders. Wollten Sie auch Kritik üben? Martens: Ich wollte einfach zeigen, wie es ist. Realistisch sein, ein Zeitdokument schaffen. Meine Diplomarbeit etwa waren DDR-Akte. Nacktfotografie war zwar erlaubt, aber einige der Bilder wirkten kritisch, weil ich die Frauen in alten Treppenhäusern fotografierte, in renovierungsbedürftigen Wohnungen oder auf kaputten Dächern. In der DDR war eben sehr viel kaputt. Da hieß es dann bei Ausstellungen durchaus, man solle dieses oder jenes Foto entfernen, weil es „nicht schön“ sei. 1990 veröffentlichte der Stern Ihre DDR-Aktfotografien und bezeichnete Sie als den ostdeutschen Helmut Newton. Das war Ihr Durchbruch – aber waren Sie mit dem Vergleich damals einverstanden? Martens: Dass es hieß, ich sei von Helmut Newton beeinflusst oder würde ihn kopieren, ist Schubladendenken. Der Name Helmut Newton war mir erst gegen Ende meines Studiums ein Begriff. Die Fotos aber waren vorher entstanden. Wir gingen damals mit unserer Mappe zum Art-Director des Stern, der sofort begeistert war. Das war Glück, denn mit der Wende hatte die Abwicklung der DDR-Medienlandschaft begonnen. Als ich mein Studium beendete, konnte ich also gar nicht mehr für die Magazine arbeiten, mit denen ich aufgewachsen war, wie die „Neue Berliner Illustrierte“ oder die „Freie Welt“. Hatten Sie in Ihrer Hochschule überhaupt Zugriff auf westliche Zeitschriften und Fachbücher? Martens: Unsere Bibliothek war gut ausgestattet, auch mit westlicher Literatur, wenn auch in begrenztem Umfang. Im Prinzip war es ein Elitestudium. Die Quote der Angestellten zu den Studenten lag wohl bei eins zu eins. In der ganzen DDR gab es nur vier Studienplätze für Fotografie. Und Sie wollten unbedingt einen davon. Was trieb Sie an? Martens: Es begann damit, dass ich während meiner Jugend Bravo- und Schallplatten-Cover abfotografierte, Poster daraus machte und an Freunde verhökerte. Wie kamen Sie denn an die Cover? Martens: Die Schallplatten brachten Bekannte aus Ungarn mit, der lustigsten Baracke des Ostblocks. Die Bravo-Zeitschriften schmuggelte meine Oma in die DDR. Omas durften ja ab 60 und Opas ab 65 in den Westen reisen – und wurden am Grenzübergang nicht so genau gefilzt. Sie zogen eines Tages los und fotografierten das Alltagsleben in der DDR – Reportagebilder, die derzeit zum ersten Mal in München zu sehen sind. Martens: Die Fotos, die damals entstanden, orientierten sich an der Reportage- und Sozialfotografie aus den USA. Die US-Ausstellung „Family of Man“ von Fotografen wie Walker Evans war sehr populär an unserer Hochschule. Mein Professor Helfried Strauß verehrte auch die Magnum-Fotografen, etwa Henri Cartier-Bresson. Trotzdem mangelte es an Vorbildern. Ich habe meinen Blick deshalb auch auf die Malerei gerichtet. Bis heute wird gestritten, ob es eine eigene DDR-Ästhetik gab. Was meinen Sie? Martens: Der Osten war einfacher, nicht so vielgefärbt und vor allem nicht so konsumorientiert wie der Westen. Man kam mehr auf den Kern der Dinge, weil alles viel simpler war. Das Ergebnis war natürlicher. Wir haben ja auch nicht auf einen Markt hingearbeitet oder waren unter dem Erwartungsdruck einer Agentur, die die Bilder in einer ganz speziellen Weise haben wollte. Dadurch war der Kunstmarkt in der DDR vielgestaltiger – obwohl man als Künstler andererseits vom Regime durch Einschüchterung auch beeinflusst werden konnte: Bilder von Arbeitern waren beispielsweise gern gesehen. Inwiefern hat sich Ihr Stil seit damals verändert? Martens: Ich habe die Reportagefotografie weitergeführt und begonnen, Bilder zu inszenieren. Früher waren meine Modelle ausschließlich Laien, heute sind es auch professionelle Models. Die Menschen haben sich geändert und auch die Umgebung. Die Kuratoren sagen aber, dass meine Linie die gleiche geblieben ist – mein Blick, meine Vorlieben und auch meine persönliche Einstellung: Ich bin nicht so verkunstet wie junge Fotografieabsolventen heute, nicht so kopflastig.Kopflastig? Martens: Ja, Fotografiestudenten heute können wenig mit der Realität anfangen. Sie sind zu theoretisch und ichbezogen. Sie sinnieren in ihrer Kunst über eigene Befindlichkeiten. Die Fotografie ist aber auch ein Medium, das in Zeitungen, Zeitschriften und in der Werbung stattfindet. Man kann etwas damit bewirken. Da kann man doch nicht immer nur an sich denken. Mich interessiert nicht, ob die Rosen über die Brüstung schleichen und den Beton erobern und wie man emotional dazu steht.Dazu kommt, dass Auftragskunst heute eher verpönt ist . . . Martens: Aber warum? Michelangelo, Leonardo da Vinci – sie waren doch alle Auftragskünstler. Und auch in neuerer Zeit: Richard Avedon und Robert Mapplethorpe zum Beispiel haben auch angewandte Fotografie praktiziert. Die Trennung zwischen Auftragsarbeit und Kunst kam erst in den 1990er-Jahren. Es ging dabei mitunter um den Egoismus einiger Kuratoren. Die Galerien waren sehr mächtig, die Kuratoren in den Museen hingegen nicht mehr, weil der Markt durch Geld bestimmt war. Darauf folgte eine Art Revanche: Jetzt bestimmen wir Kuratoren, was Kunst ist, nicht mehr der Künstler. Sind Künstler heute Marionetten? Martens: Kunst ist ein Zeitstrom, eine Tendenz. Sie kommt von innen heraus. Das können zum Glück weder Kunstkritiker noch Kommissionen steuern. Olaf Martens, „Blockschokolade, DDR 1979–1989“ bis zum 3. Oktober in der Galerie f5,6 in München. www.f56.net