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    Der internationale Kunstmarkt hat Konjunktur, allerorten sprießen neue, schicke Kunstmessen aus dem Boden. In Wien versucht man, mit der Kunstmesse ViennAfair von diesem Boom zu profitieren.

    „Es ist schon verrückt, wie getrieben wir alle sind.“ Ursula Krinzinger erscheint gehetzt zum Interview mit dem Falter. Vor kurzem hat die Galeristin noch an der Armory Show, der wichtigsten New Yorker Kunstmesse, teilgenommen. Gleich darauf lief die Fine Art Fair in Frankfurt. Im Moment besorgt sie eilig den Aufbau ihrer aktuellen Ausstellung, denn schon Anfang April startet die ViennAfair – der nach Ostern gleich die Art Brussels folgt. Vor zehn Jahren existierte in Europa ein gutes Dutzend Kunstmessen, im Vorjahr zählte man bereits 47 davon und weltweit gar über hundert. Da geraten nicht nur die Galeristen ins Rotieren. Alle versuchen beim gegenwärtigen Marktboom dabei zu sein. Auch die ViennAfair, die jetzt zum zweiten Mal ihre Kojen öffnet.
    Die Galerie Krinzinger beteiligt sich an zehn Messen im Jahr. Das ist sehr viel. „Bei dem Übermaß an Konkurrenz und der kleinen Sammlerschaft hierzulande musst du zwangsläufig ins Ausland ausweichen“, meint die Kunsthändlerin, die heuer ihr 35. Galerienjubiläum feiert und in zahlreichen Messekomitees sitzt. Auf den Messen herrsche zudem eine besondere Stimmung, eine erhöhte Kauflust oder niedrigere Schwellenangst. Auch immer mehr Wiener Sammler würden ihre Entscheidungen nicht in der ruhigen Atmosphäre der Galerie, sondern im Trubel der Verkaufshallen fällen.
    Ein besonders sexy Ambiente konnte die 2003 erfundene Frieze Art Fair in London kreieren. Wie auf wenigen anderen Umschlagplätzen ist Kunstkauf dort mit Glamour verbunden. Eine reiche internationale Klientel springt in dem Finanzzentrum auf das britische Starbedürfnis an. Zuerst wurden die Young British Artists wie Popgrößen gefeiert, jetzt schauen schon mal Madonna oder George Michael vorbei. Auch der Hauptsponsor Deutsche Bank lädt seine VIPs an die Themse ein. Für die Sammler-Preview, bei der häufig die meisten Verkäufe erzielt werden, standen betuchte Herrschaften Schlange vor dem Messezelt im Regent’s Park.
    Ein noch größerer Coup gelang der Art Basel, die ohnehin als Königin der Kunstmessen gilt. Die Schweizer Institution expandierte zum Jahrtausendwechsel nach Florida. Ein kleines Geschwader an Privatjets, vor allem aus Südamerika, fliegt seither jeden Dezember für die Art Basel Miami Beach ein. In Florida gibt es gleich mehrere Supersammler wie bei uns Karlheinz Essl. Das Ehepaar Rubell, Rosa de la Cruz oder Martin Margulies führen gerne durch ihre Privatmuseen. Ein Programm mit Performances am Strand, Filmpremieren oder Champagnerempfängen mit Museumsdirektoren flankiert die weltweit kommerziell erfolgreichste Kunstmesse.
    Dabei bedeuten Messen ein hohes Risiko. Allein die Transportkosten nach Florida hätten letztes Jahr 26.000 Euro betragen, berichtet Krinzinger. Eine Teilnahme an der Frieze koste sie alles in allem 40.000 bis 60.000 Euro. Die Kunstmessen verrechnen die Standgebühren nach Quadratmetern. Man müsse als Galerie das Doppelte bis Dreifache erwirtschaften, um überhaupt einen Gewinn zu erzielen. Trotz dieser hohen Kosten weisen die Jurys der Topmessen jedes Jahr Hunderte Bewerber ab. Mittlerweile fällt es selbst der langerfahrenen Galeristin Krinzinger nicht mehr leicht, die notwendig hochpreisige Ware für alle Messeauftritte herbeizuschaffen.
    Aber lieber Stress als eine Baisse. Krinzinger erinnert sich noch mit Schaudern an die Flaute der Neunzigerjahre: „Das waren schlaflose Nächte, eine furchtbare Zeit.“ Dass die aktuelle Blase bald wieder platzen könnte, hält sie für unwahrscheinlich. Da immer mehr Anleger fünf bis zehn Prozent ihrer Portfolios in Kunst investieren, steht der Markt heute auf einer breiteren Basis als vor dem Kunstmarktcrash vor 15 Jahren.

    Verglichen mit der Frieze Art Fair oder der Art Basel fällt die Teilnahme an der ViennAfair günstig aus. Krinzinger kostet die Präsentation in ihrer Heimatstadt 15.000 bis 20.000 Euro. Die letztes Jahr ins Leben gerufene Veranstaltung war ein einhelliger Erfolg. Nach dem Auszug aus den engen Kojen des Museums für angewandte Kunst ins neue Reed-Messegelände beim Prater wurden erstmals internationale Galerien eingeladen. Die ViennAfair versucht sich mit einem Osteuropa-Schwerpunkt zu profilieren. Heuer wurden 25 Galerien aus Prag, Warschau, Belgrad und anderen Ostmetropolen eingeladen. Das Besondere: Die Beteiligung von zwölf Galerien sponsert die Erste Bank, fünf Galerien fördert die Messe selbst.
    „Ich war sehr positiv überrascht von der ersten ViennAfair“, meint Hedwig Saxenhuber, Redakteurin der Kunstzeitschrift springerin und Kuratorin mit Schwerpunkt (Süd-)Osteuropa. „Die osteuropäischen Galerien waren irrsinnig glücklich, dass sie dabei sein konnten. Ich fand die Idee gut, gemeinsam mit kommerziellen Galerien auch Institutionen zu zeigen.“ Durch die gesponserten Kojen sei der Verkaufsdruck geringer gewesen, was sich wieder auf die Qualität ausgewirkt habe. Der Markt hat in den untersubventionierten osteuropäischen Kunstszenen besonders die Funktion eines Motors. „Es bleibt die Frage, wie lange der Ostschwerpunkt zieht“, merkt Saxenhuber an. „Irgendwann lassen sich die ehemals sozialistischen Länder auch nicht mehr als das ,Andere‘, ,Neue‘ oder ,Unterentwickelte‘ vorführen.“
    Einer der größten Fehler des unerfahrenen Messebesuchers besteht darin, sich dem Angebot mit einer musealen Rezeptionsgeschwindigkeit zu nähern. Die beste Orientierung ist immer noch eine bestimmte Summe, die man für Kunst ausgeben will. „Auf der letzten Arco waren insgesamt neun Stunden Zeit nötig, wenn man jeder der 278 Galerien nur zwei Minuten widmen wollte“, erzählt Fiona Liewehr von der Galerie Kargl. Trotzdem kamen 200.000 Besucher auf die Madrider Kunstmesse und zahlten bis zu dreißig Euro Eintritt. Der volksfestartige Erfolg der Arco hat mit einem intensiven Engagement der Stadt Madrid zu tun. Zum Vergleich: Die letzte ViennAfair, veranstaltet von der Wiener Filiale des internationalen Messeunternehmens Reed, konnte mit 92 Galerien nur 10.600 Besucher anlocken. Mit seinen Ferien- oder Computermessen zieht Reed ein Vielfaches an. Die ViennAfair scheint ein Prestigeprojekt zu sein. Bei der Pressekonferenz war für 2005 von „roten Zahlen im sechsstelligen Bereich“ die Rede.
    Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle und des Städel Museums Frankfurt, sieht die durch den Messeboom verknappte Zeitökonomie nicht unkritisch: „Wenn wir heute mehr auf Messen als in Galerien gehen, dann hat das Auswirkungen auf unser Informations- und Sehverhalten. Sogar unsere Sicht auf das Werk eines Künstlers verändert sich, indem sie sich unweigerlich stärker am einzelnen Objekt orientiert.“
    Die Messen zeigen eine Fülle von Arbeiten ohne Kontext. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Je mehr Bedeutung Kunstmessen erlangen, desto weniger kommt die spezifische Leistung der Galerien in den Blick, die eben nicht nur Ware verschachern, sondern Künstler aufbauen und deren Praxis in Ausstellungen zur Geltung bringen. Dass gute Zeiten schlechte Kunst produzieren, hält Hollein, der selbst ein Buch über die Kunstmarktblüte der Achtzigerjahre verfasst hat, jedoch für Unsinn: „Klar, es gibt Künstler, die in solchen Situationen unter Produktionsdruck geraten und an Qualität verlieren. Unter dem größeren Spotlight des Booms erreicht vielleicht auch noch der dritte Epigone einen Wert, den er sonst nicht hätte. Prinzipiell kommt ein gut florierender Kunstmarkt allen zugute, den Künstlern, der Galerienszene, den Sammlern und letztlich auch den Institutionen.“

    Der Künstler Markus Schinwald sieht in den Messen eine Chance, im Ausland wahrgenommen zu werden: „Die Museumskuratoren fahren heute oft mehr auf Messen als sie in Ausstellungen gehen.“ Schinwald selbst wurde auf diese Weise schon von einem US-Kurator entdeckt. Zum erhöhten Marktzwang meint der von der Galerie Kargl vertretene Künstler: „Man kann sich schon gegen Vereinnahmung wehren. Ich produziere nichts extra für Messen.“ Der aktuelle Kunstmarktboom brächte ein System wie Hollywood hervor. Dort sind Schauspieler wie Julia Roberts oder Arnold Schwarzenegger zwar die bekanntesten, aber eben nicht die besten.
    Die weltweite Konkurrenz erzeugt einen Zwang der Kunstmessen, sich zu spezialisieren. Der Relaunch der Frankfurter Art Fair setzte zuletzt auf Konzentration anstatt Masse: Eine handverlesene Anzahl von Galeristen bot dort nur Einzelpräsentationen an. Die ViennAfair will mit Podiumsdiskussionen wie „Der Kunstmarkt in Südosteuropa“ oder „Für immer jung – Wie zeitgenössisch sollen Museen sammeln?“ punkten. Am Vernissagenabend eröffnet auch eine Ausstellung im Wittgenstein Haus. Außerdem wird der project space der Kunsthalle als Chill-out-Zone adaptiert. Messedirektor Edek Bartz möchte dort die Gäste, vor allem jene aus Osteuropa, stärker miteinander ins Gespräch bringen.
    Mit den Wiener Institutionen konnte sich Bartz offensichtlich nicht verständigen: Während die Frieze von konzertierten Eröffnungen sämtlicher Londoner Museen und Kunsthallen begleitet wird, findet in Wien im Zeitraum der ViennAfair keine einzige große Ausstellungseröffnung statt. Letztlich hängt der Erfolg der Messe aber davon ab, wie viele Sammler dort shoppen gehen werden. Denn egal wie integrativ oder anspruchsvoll sich manche dieser Veranstaltungen heute geben: Eine Messe ist eine Messe ist eine Messe.

    Vom 6. bis 9. April im Messezentrum Wien Neu (2., Messeplatz 1).
    Information: www.viennafair.at

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