Salzburger Nachrichten am 30. Oktober 2002 - Bereich: kultur
Weich und rund und bunt

Der "steirische herbst" lädt in einen professionellen Architektur-Erlebnispark: "Latente Utopien", inszeniert von Zaha Hadid und Patrik Schumacher.

MARTIN BEHR

Modische Lounge-Ästhetik bereits im ersten Raum: Wandtapeten mit digitaler Musterung im Retro-Look, davor abgerundete Wohnkapseln mit intensivem Mutterbauchflair, genannt "Woom - the world room", gefertigt in der Kreativ-Werkstatt von Karim Rashid. Dem an Heimstätten diverser Fieslinge aus James-Bond-Filmen erinnernden Interieur, dieser remixten Vergangenheit gegenüber befinden sich von Greg Lynn (USA) entworfene Accessoires wie für den exquisiten Lebensstil der Zukunft: ein Schach mit einem Spielbrett in Reliefform und LKW-Figuren.

Schöner Wohnen (und noch einiges mehr) im "steirischen herbst": Im Auftrag von Intendant Peter Oswald haben die irakischbritische Architektin Zaha Hadid und ihr Büropartner Patrik Schumacher ihre Fühler in Sachen "Experimente der Gegenwartsarchitektur" ausgestreckt. Die professionell in Szene gesetzte Ausstellung "Latente Utopien" fasst Tendenzen zusammen, die sich von der geraden Linie, von Starrheit und Minimalismus mit Vehemenz abgrenzen. Der in Kooperation mit "Graz 2003 - Europäische Kulturhauptstadt" errichtete interaktive Architektur-Erlebnispark behauptet, verkürzt formuliert: Das Experiment ist weich, rund und bunt.

Es tut gut, Architektur perfekt inszeniert erleben zu können: Abseits der leider oft üblichen Ideenwüste (kopierte, auf Aluminium affichierte Pläne) zeigen Hadid und Schumacher im Grazer Joanneum sinnlich wahrnehmbare Räume, in denen vielfach der - via Computertechniken neu erstarkte - Geist der in den 20er bis 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts entstandenen Visionen weht: Luftkissen-Strukturen der Schweizer Angelil/Graham/Pfenninger/Scholl etwa, Museen als Zwitter aus Raumschiff und organischer Abstraktion (Asymptote), von TV-Serien wie "Raumschiff Enterprise" beeinflusste "Bild- und Traumerweckungen" der britischen Gruppe "Softroom" oder flexibeldehnbare Raumhüllen aus dem Hause "veech.media.architecture".

Über pneumatische Räume zum WTC-Nachfolger

Weltausstellungs-Charme versprüht die leuchtende Magnetfeld-Choreografie im von Reiser und Umemoto (USA) aufgebauten "Flux Room". "Propeller Z" aus Wien treten mit ihrem "möglicherweise utopischen Apparat" gegen die "Eliminierung des Raumes" auf. Vorbei an zahlreichen Bildschirmen, Labyrinthen, Computersimulationen und pneumatischen Kammerentwürfen führt der Weg zu "klassischen" Modellen, etwa dem WTC-Nachfolgebau "The Bundle Tower" von "Foreign Office Architects" oder dem "Musee des Confluences" in Lyon von "Coop Himmelb(l)au.

Heute noch "bizarre, abstrakte Proto-Architektur" (Schumacher), morgen Lebens-Realität? Noch Architektur oder schon Kunst? Die Geschichte als Fundus für Innovation? Eine Schau, die zu Diskussionen anregt. (Bis 2. 3.)