Das Lentos zeigt mit "Jack Freak Pictures" die umfangreichste Serie des britischen Duos Gilbert & George
Einsiedler denken anders
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"Union Dance" von Gilbert & George. Zum Interview kamen sie mit Union-Jack-Krawatte. Foto: Gilbert&George
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Von Manisha Jothady
![Aufzählung Aufzählung](00093715-Dateien/wzfeld.gif)
Die britischen Gentlemen stilisieren sich seit den 70ern selbst zum Kunstwerk.
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Die neue Serie spielt mit dem Union Jack.
"Wiener Zeitung":
Sie arbeiten nun schon seit über vier Dekaden zusammen. Was war Ihr erstes gemeinsames Kunstwerk? George: Unsere erste gemeinsame Präsentation machten wir schon als Studenten.
Gilbert: 1968
in einem Café. Der Titel lautete "Three Works and Three Works by GP
& GP". Wir gebrauchten damals noch unsere Initialen.
George: Das war unsere Diplom ausstellung. Wir
wollten unsere Arbeiten nicht wie die anderen Studenten im College
zeigen, wo dann diskutiert wurde, was gut und was schlecht ist.
Gilbert: Deshalb haben wir alle Professoren und
Studenten in das Café eingeladen. Jeder zeigte drei Objekte, während
Brötchen und Getränke serviert wurden.
"Art for All" lautet Ihr Motto von jeher. Keimte diese Idee schon da?
Gilbert: Auf diesem Gedanken basierten dann unsere
"Postal Sculptures", mit Begleittexten versehene Selbstporträts, die wir
jeweils an drei-, vierhundert Kunstliebhaber versendeten. Die Resonanz
darauf war enorm, da sie so schön gemacht waren.
George: Wir saßen oft die ganze Nacht, um sie handschriftlich zu adressieren.
Gilbert: Auf einer dieser Postkartenskulpturen ist
eine Zeichnung, die uns Kaffee trinkend am Fenster zeigt, während es
draußen schneit. Jeder liebte das Bild und die Gefühle, die es
hervorrief.
Zur selben Zeit, 1969, wurden Sie als "Living Sculptures", etwas
später als "Singing Sculpures" bekannt. Eine Reaktion auf die damalige
Performancekunst?
George: Wir haben das Wort Performance für unsere
Arbeit nie verwendet. Das war uns alles zu schmuddelig und zu obskur.
Man hätte nie seine Mutter zu einer Performance mitnehmen können. Sie
wäre sofort gegangen.
Gilbert: Am Boden herumkriechen und sich mit Farbe beschmieren.. .
George: Unsere Kunst war vergleichsweise sauber, anständig. Kinder und alte Damen konnten sie sich ansehen und staunen.
In Ihren späteren großformatigen, oft grellfarbigen Tableaus
haben Sie dann aber sehr wohl provokante Themen aufgegriffen: Nacktheit,
Sex, Blut, Kot, Sperma, auch Religion und Rassismus.
George: Wenn man nicht elitär denkt, kriegt man
Probleme. Elitär zu denken ist eine sichere Angelegenheit: Wenn man ein
Seil von der Decke hängt, wird sich niemand beschweren. Niemand wird es
lieben, niemand wird es hassen. Aber wenn man sagt Liebe, Sex, Tod,
Hoffnung, Angst.. .
Gilbert: Gefühle, Sentimentalität und viel Farbe – all das ist tabu. Auch Religion ist so ein Tabuthema in der Kunst.
Bei all der Kritik an sozialen Tatsachen, die man in Ihren
Bildern lesen mag, geht es Ihnen aber vor allem um Schönheit. Diesen
Widerspruch finde ich irritierend.
George: Das ist nur ein scheinbarer Widerspruch. Wir sehen die Dinge nicht so gegensätzlich.
Gilbert: Wir wollen den Betrachter verführen! Die
Mutter einer österreichischen Galeristin war einmal so begeistert von
einem Bild, dass sie die darauf abgebildeten Exkremente gar nicht sah.
George: Wir wollen dem Leben nicht kritisch gegenüberstehen. Wir wollen in unseren Gedanken frei und vielschichtig sein.
Gilbert: Wir machen keine kritischen Arbeiten.
Obwohl wir gegen Religion sind. Von Anfang an wird einem ja gesagt, dies
ist schlecht und das ist schlecht.
Warum basieren Ihre "Jack Freak Pictures" auf der Britischen Flagge?
George: Weil Flaggen allenorts enorm mit Bedeutung
aufgeladen sind. Stellen Sie sich den Aufruhr vor, wenn jemand auf der
Straße auf eine Flagge spucken würde!
Gilbert: Und das Erste, was man auf den Särgen
heimkehrender britischer Soldaten sieht, ist der Union Jack. Als wir das
Motiv in früheren Arbeiten aufgegriffen haben, wurden wir extrem
attackiert. Nun findet man es auf jeder Gucci-Tasche.
George: Jeder Punk, jedes Spice-Girl verwendet es.
Für die rechtsgelagerte Politik ist der Union Jack Symbol nationalen
Stolzes, für die Intellektuellen versinnbildlicht er alles Schlechte.
Beide liegen falsch. In gewisser Weise stehlen wir mit unseren Bildern
ein Motiv zurück, das uns allen gehört. Außerdem ist der Union Jack eine
der wenigen Flaggen, die auch in Schwarzweiß funktionieren. Selbst wenn
man sie in Grün und Orange zeigen würde, wäre sie identifizierbar.
Gilbert: Uns interessierte die Mehrdeutigkeit dieses Zeichens, kombiniert mit der Verrücktheit des Menschen.
George: Auch ein feierliches Moment wollten wir mit
hineinbringen und etwas, das nichts mit der gebildeten Kunstwelt zu tun
hat. Das lässt sich auch an Bildtiteln wie "Hoity-Toity" ablesen, was
soviel wie etepetete bedeutet.
Sie setzen sich wie bei fast allen Ihrer Werken auch hier als lebende Skulpturen ins Bild. Was bedeutet Künstlersein für Sie?
Gilbert: Der Künstler ist eine phantastische Person,
ein totaler Außenseiter. Wir müssen uns nicht an Regeln halten, wollen
gar nicht Teil von allem sein, alles, was draußen vor sich geht, in uns
aufnehmen. Deshalb gehen wir zum Beispiel nie ins Theater oder ins
Museum, leben wie Eremiten. Einsiedler können anders denken und das ist
aufregend für uns.*
Siehe auch:
Ein herrlicher Exzess an Farben und Formen
Links
Website von Gilbert und George
Gilbert und George auf Wikipedia
Printausgabe vom Freitag, 17. Juni 2011
Online seit: Donnerstag, 16. Juni 2011 18:26:00