Wiener Zeitung · Archiv


Kunstberichte
Generali Foundation: Vielschichtige Retrospektive der belgischen Künstlerin Ana Torfs

Vielstimmige Bild-Elegien

Spannungsreiche 
Begegnung von Geschichte und Gegenwart: Ana Torfs’ Diashow-Installation 
"Du mentir-faux" zur Verurteilung von Jeanne d’Arc, zu sehen 
in der Generali Foundation. Foto: Ana Torfs

Spannungsreiche Begegnung von Geschichte und Gegenwart: Ana Torfs’ Diashow-Installation "Du mentir-faux" zur Verurteilung von Jeanne d’Arc, zu sehen in der Generali Foundation. Foto: Ana Torfs

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Ana Torfs, 1963 nahe Brüssel geboren, zeigt uns, dass Wahrheit Ansichtssache ist, also nur relativ und vielschichtig zu bewerten. Ebenso lässt sich der französische Begriff Vérité, auf ein weißes Blatt geschrieben, aus vielen Perspektiven betrachten. Damit eröffnet die Fotoinstallation "Vérité exposée" Denkräume, die, aus vielen Quellen gespeist, Minimalismus, Kino und Sprachkritik mit außerkünstlerischen Elementen verbinden.

Am Ende stehen wir in Torfs Retrospektive "Album/Tracks B" in der Wiener Generali Foundation immer wieder vor Rätseln, die diese Installationen und Vielfachprojektionen aus den Vorjahren auslösen.

Wir finden uns in einem persönlich interpretierten Geschichtsbuch: Im Raum inszeniert und mit viel unterschiedlichem Wissensmaterial aufbereitet, kann es zum Auslöser einer empfindsamen Reise werden.

Wissenschaftliches Männerimperium

So heißt es auch in der zweifachen Diaprojektion "Displacement", einem Remake nach Roberto Rosselinis "Viaggio in Italia" von 1954: "Every story is a travel-story". Torfs verbindet diese Devise mit einer Warnung von David Herbert Lawrence: "Never trust the artist. Trust the tale."

Wir verfolgen also kritisch Torfs’ Lesarten mit postkolonialem Gegenwartsbezug: Zur Fotokästen-Serie "Family Plot # 1" ließ sich die Belgierin durch ihren Gotland-Aufenthalt anregen, verbunden mit der Lektüre zweier Werke des Wissenschafters Carl von Linné, "Species Plantarum" (1753) und "Reise durch Öland und Gotland" (1745). Die Benennungsgeschichte der Pflanzen entpuppt sich als sprachlicher Imperialismus eines wissenschaftlichen Männerimperiums: Statt einheimischer Bezeichnungen wurden die Pflanzen nach berühmten Wissenschaftern und Politikern der damaligen Zeit benannt. Zusätzlich angeregt durch einen botanischen Garten auf Kuba sowie die Gründung der US-amerikanischen Harvard University, hängt vor uns ein absurdes Lexikon als beklemmend schöne Bildgeschichte.

So vielfältig wie bedrückend ist auch die Bildgeschichte und Nacherzählung der Aburteilung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg auf Projektionswand und Monitoren, wobei ein barocker Anatomiesaal als "Theater des Wissens" mitwirkt. Sprachliche und mimische Tragik birgt die kritische Analyse von weiteren Akten, die der Verurteilung der mittelalterlichen Heroine Jeanne d’Arc gelten: "Du mentir-faux" inszeniert als Diashow-Installation eine spannungsreiche Begegnung von Geschichte und Gegenwart.

Weitläufiger Kosmos mit Täuschungsmanövern

Torfs’ vielstimmige Bild-Elegien entwerfen neue Erzählungen und verhandeln dabei ästhetische Fragen. Mit heutiger Technik beziehen sie den Symbolismus ebenso mit ein wie die vor 1900 entstandene Psychologie eines von innen nach außen gespiegelten Bildes. Zudem breitet die Künstlerin auf 14 Tischen ein "Buch der Entstehung" vor uns aus, um sowohl ihre Motive als auch Täuschungsmanöver offenzulegen. Ein weitläufiger Kosmos für alle Besucher, die sich in diese Magie vertiefen wollen.

Aufzählung Ausstellung

Ana Torfs – Album/Tracks B
Sabine Folie (Kuratorin)
Generali Foundation
1040 Wien, Wiedner Hauptstraße 15
bis 12. Dezember



Printausgabe vom Donnerstag, 30. September 2010
Online seit: Mittwoch, 29. September 2010 17:59:14

Kommentar senden:
Name:

Mail:

Überschrift:

Text (max. 1500 Zeichen):

Postadresse:*
H-DMZN07 Bitte geben sie den Sicherheitscode aus dem grünen Feld hier ein. Der Code besteht aus 6 Zeichen.
Bitte beachten Sie dabei die Groß- und Kleinschreibung!


* Kommentare werden nicht automatisch veröffentlicht. Die Redaktion behält sich vor Kommentare abzulehnen. Wenn Sie eine Veröffentlichung Ihrer Stellungnahme als Leserbrief in der Druckausgabe wünschen, dann bitten wir Sie auch um die Angabe einer nachprüfbaren Postanschrift im Feld Postadresse. Diese Adresse wird online nicht veröffentlicht.

Wiener Zeitung · 1040 Wien, Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Mail: online@wienerzeitung.at