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Mathias Döpfner: "Wir müssen raus aus diesen Gräben"

07.11.2009 | 18:24 | von Michael Fleischhacker (Die Presse)

Matthias Döpfner, als Vorstandschef der Axel Springer AG einer der mächtigsten Medienmenschen Deutschlands, eröffnet heute ein Privatmuseum an der berühmten "Agentenbrücke" von Potsdam.

Sie eröffnen ein Museum, das sich mit der deutschen Geschichte beschäftigt. Haben sie als Privatmann das Erbe Axel Springers und die Geschichte dieses Hauses so weit verinnerlicht, dass Sie das gar nicht mehr trennen können?

Mathias Döpfner: Dieses Museumsprojekt ist ein rein privates Projekt. Ich habe das zusammen mit einem langjährigen Freund, Leonard Fischer, in Angriff genommen, es gibt weder einen inhaltlichen noch einen finanziellen Zusammenhang mit dem Axel Springer Verlag. Die Themen deutsch-deutsche Teilung, deutsch-deutsche Wiedervereinigung, Kalter Krieg, Freiheit/Unfreiheit sind einfach Lebensthemen meiner Generation. Ich habe in Frankfurt studiert, da wurde derjenige, der die deutsche Frage als „offen“ bezeichnete, als reaktionär bezeichnet. Dieser Zeitgeist hat sich geändert. Wenn Sie dann auch noch in Potsdam leben, unweit der Glienicker Brücke, wo die Agenten ausgetauscht worden sind, wo Menschen bei Fluchtversuchen erschossen worden sind, wo sich also deutsch-deutsche Realität ganz konkret ereignet hat, wo Sie mit vielen Menschen sprechen können, die das konkret erlebt haben, dann wird das für Sie zum Thema.

Aus vielen Wortmeldungen dieser Tage ergibt sich der Eindruck, dass wir immer noch ein Problem haben, die Geschichte, die sich 1989 geändert hat, als gesamtdeutsche Geschichte zu begreifen.

Ich glaube, wir fangen gerade erst an, es zu begreifen. Es hat nach dem Zweiten Weltkrieg ungefähr 20 Jahre gedauert, bis es zu den ersten wirklich intensiven, kritischen Auseinandersetzungen einer breiten Öffentlichkeit mit den deutschen Kriegsverbrechen, insbesondere mit dem Holocaust, gekommen ist. Wir leben jetzt im zwanzigsten Jahr nach dem Mauerfall, und interessanterweise gibt es seit Kurzem eine ganze Menge sehr interessanter Bücher zu diesem Thema, es fängt auch die bildende Kunst stärker an, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Es dauert also offenbar, bis die Menschen anfangen, so schonungslos in ihrer eigenen Vergangenheit zu graben, dass sie zu wirklich interessanten Erkenntnissen kommen. Das geht jetzt überhaupt erst los, wir haben da immer noch sehr viel Verklemmungen und Verkrampfungen, sehr viele Unsicherheiten im Dialog untereinander, zwischen Ostdeutschen und Westdeutschen, zwischen Russen und Amerikanern, zwischen Opfern und Tätern.

Es waren – fast – immer Schritte von 20 Jahren: Mitte der Sechzigerjahre begann die große Auseinandersetzung der Söhne mit den Taten der Väter. Jetzt reden wir über 1989. 1989 hätten wir eigentlich über 1968 reden müssen, aber wir taten es nicht. Auch über 1968 reden wir erst jetzt. Und das ist wohl kein Zufall: Zum einen hat ein großes historisches Ereignis die fällige Reflexion überdeckt. Zum anderen spielen wohl die unterschiedlichen Einschätzungen des Jahres 1968 auch in der Bewertung des Jahres 1989 eine wesentliche Rolle: Die „68er“ wollten die Wiedervereinigung nicht.

Es ist in der Tat so, dass 1989 für die 68er-Generation so etwas wie ein Horrorereignis war, das, was es unter allen Umständen zu verhindern galt. Wesentliche Exponenten der 68er-Bewegung haben sich damals massiv gegen die Wiedervereinigung ausgesprochen und Dinge vorhergesagt, die nie eingetroffen sind. Bis heute gab es so gut wie keine selbstkritische Überprüfung dieser Position. Ich glaube auch, dass sich das Jahr 1989 da in doppelter Weise vor die fällige Auseinandersetzung mit 1968 geschoben hat. Ich glaube, diese Dinge haben immer auch eine mindestens zwanzigjährige Verdrängungsphase, weil es darauf ankommt, ob es noch eine kritische Masse derjenigen gibt, die über die nötige Macht verfügen, das, was man vielleicht nicht über die eigene Vergangenheit ans Licht kommen lassen will, tatsächlich zu unterdrücken.

Und die mächtigen Exponenten eines Systems sind in seiner Blütezeit üblicherweise zwischen 40 und 50. 20 Jahre später sind sie in Pension und nicht mehr so mächtig. Die „68er“ hingegen waren zwischen 20 und 30, die gehen erst jetzt, 40 Jahre später, in Pension. Darum kann man auch erst jetzt offen über ihre Rolle reden.

Was sich zeigt, ist, dass sich solche Auseinandersetzungen auf Dauer einfach nicht verhindern lassen. Es kommt immer irgendwann hoch. Das ist wie eine Vulkan-Urgewalt, irgendwann bricht sich die Lavamasse einfach Bahn. Und manchmal dauert es eben ein wenig länger, aber das wird kommen.

Vielleicht eignet sich die bildende Kunst ja besonders für einen vorsichtigen Beginn. Das Bild verzeiht mehr als das Wort.

Es gibt ja diesen Satz von Oscar Wilde: Wenn du etwas ungeschehen machen willst, so sprich nicht darüber, denn erst das gesprochene Wort gibt den Dingen ihre Wirklichkeit. Das ist es wohl, was Sie meinen: Das Wort verzeiht nicht, das Wort ist konkret, das Wort ist in gewisser Weise endgültig. Das Bild, die Kunst, die Installation, die Skulptur, insbesondere dann, wenn sie nicht einfach nur gegenständlich etwas abbildet, ist imaginativer, suggestiver, es ist emotionaler und vielleicht darum zur Annäherung an solche Dinge geeigneter. Kunst ist nie eindeutig. Eindeutige Botschaften sind Agitation, aber sie haben nicht das verstörende und kreative Moment des Künstlerischen in sich. Das macht die besondere Kraft der Kunst in der Auseinandersetzung mit Geschichte aus. Geschichte ist auch nie eindeutig. Geschichte besteht immer aus Geschichten.

In Ihrem Museum arbeiten Sie mit beiden Methoden?

Wir haben ein großes Zeitzeugenprojekt gemacht, in dem wir Menschen aus Berlin, aus Potsdam, aus aller Welt, Opfer, Täter, Beobachter, Beteiligte, angesprochen haben, ihre Erlebnisse an der Glienicker Brücke, an diesem neben dem Checkpoint Charlie wahrscheinlich weltweit berühmtesten Grenzort, zu erzählen. Aus diesen verschiedenen Zeitzeugenerlebnissen setzt sich ein Mosaik zusammen, das am Ende vielleicht realistischer ist als eine von oben diktierte, autoritäre Wirklichkeit. Natürlich wird es dort auch Objekte geben, zum Beispiel den berühmten Stalin-Teppich. Das ist ein großer Nagelteppich, der an den Flussböschungen aufgestellt wurde. Wenn es einer endlich geschafft hatte, durch den Fluss zu schwimmen, und am anderen Ufer ankam, ist er auf diesem Nagelteppich verendet. Das findet unten statt. Im ersten Stock wird es wechselnde Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst geben, die sich mit dem Thema 89, mit dem Kalten Krieg, mit Ostdeutschland/Westdeutschland, mit der deutschen Teilung, der deutschen Wiedervereinigung, mit Totalitarismus und Antitotalitarismus, mit Unfreiheit und Freiheit auseinandersetzen. Und da ist die Ausstellung „1989“ in Zusammenarbeit mit der Wiener Kunsthalle ein absoluter Glücksfall, sozusagen die Punktlandung.

Was sind denn derzeit in der zeitgenössischen Kunst für Sie die interessantesten Beiträge zur Reflexion der deutschen Geschichte?

Da gibt es von Kiefer über Baselitz bis Immendorff natürlich die großen deutschen Namen. Ich finde aber gerade den Ansatz interessant, den Gerald Matt für die Ausstellung in Wien und Potsdam gewählt hat, die das Thema eben nicht mehr in einem rein deutschen, sondern in einem internationalen Kontext sieht. Vor allem das Ende des Kalten Krieges ist ja nun wirklich etwas, was in Russland, in Polen, in Österreich, überall Spuren hinterlassen hat. Auch Wien ist eine Stadt, das ist ja das Interessante an dieser Doppelachse, die sich durch das Ende des Kalten Kriegs wahrscheinlich mehr verändert hat als jede andere Stadt in Europa.

Und auch in Wien spielte das Agentenwesen eine besondere Rolle?

Ganz genau. Das war der zweite große Platz nach Berlin und Potsdam. Beide Orte haben als Agentendrehscheiben eine besondere Rolle gespielt, und beide sind jetzt, wenn Sie so wollen, unheimliche Profiteure des Wandels. Wien als Drehscheibe für Osteuropa, Berlin als neue Hauptstadt Deutschlands. Deswegen ist es spannend, dieses Doppelausstellungskonzept umzusetzen und dabei wirklich auch osteuropäische und internationale Künstler einzubeziehen, etwa Ilya Kabakov, der sozusagen noch einmal zurückblickt und die totalitären Elemente der Bürokratie aufzeigt.

In der Kunst kommt die politische Botschaft oft auf leisen, formalen Sohlen daher. Nehmen wir nur die Leipziger Schule: Da ist es der Umgang mit dem sozialistischen Realismus der DDR.

Ich würde die Leipziger Schule aber nicht als eine durchweg politische Bewegung ansehen. Die verkörpert für mich in Teilen, wenn Sie so wollen, eher noch mal so ein Stück Zurückhaltung. Natürlich gibt es, bei Neo Rauch und bei anderen, eminent politische und gesellschaftspolitische Elemente, aber ich glaube nicht, dass man das über die Leipziger Schule pauschal sagen kann. Ich hab's vorhin schon gesagt: Ich glaube, wir stehen wirklich überhaupt gerade erst am Anfang. Wir haben diese 20 Jahre gebraucht. Und ich finde es faszinierend, dass in der Literatur, im Kino und eben auch in der bildenden Kunst jetzt auf diesem Gebiet unheimlich viel passiert. Vielleicht ist es dann irgendwann auch gar nicht mehr die Frage Leipziger Schule und Westberliner Künstler, sondern es entstehen neue Mischungen, neue Blicke einer neuen Generation, die vielleicht unverkrampfter auf Dinge guckt als die Generation, die aus einem schlechten Gewissen heraus etwas verdrängen will, oder die, die aus einem falschen Triumphgefühl heraus etwas angreifen oder attackieren will. Ich glaube, wir müssen raus aus diesen Gräben.

In der Villa Schoeningen wird nichts aus Ihrer privaten Kunstsammlung zu sehen sein. Welcher Sammlertyp sind Sie denn? Gibt es eine Epoche, die Sie für vielversprechend halten, haben Sie eine inhaltliche Obsession?

Bei mir liegt die Obsession sozusagen offen da. Ich sammle weibliche Akte. Ich finde, der weibliche Körper ist der Urimpuls der Kunst. Nehmen Sie nur die Venus von Willendorf aus der Wachau: Da hat man sich vor 30.000 Jahren in der ersten Skulptur, die überhaupt entstanden ist, auf das Wesentliche konzentriert.

Gustave Courbets Idee vom „Ursprung der Welt“.

Absolut, ganz genau. Die Kunst haben eigentlich immer nur zwei Dinge beschäftigt: der weibliche Körper, damit Eros, Sexualität, die ewige erotische Sehnsucht. Und zweitens Gott, Religion, die Angst vor dem Tod und die Überwindung der Sterblichkeit durch die Unsterblichkeit in der Religion. Eros und Thanatos, Liebe und Tod, Sex and Crime, am Ende geht es immer ums Gleiche. Um diese archaische letzte Frage: „What matters?“ Am Ende ist es das. Die Sehnsucht nach der Liebe, die Angst vorm Tod, das hat die Kunst immer geprägt. Und da ist mir dann die Liebe als Sammelgegenstand doch noch irgendwie näher als der Tod. Wobei die Dinge wirklich sehr eng verbunden sind.

Und irgendwo zwischen Eros und Thanatos hängt die Macht. Sie nährt die Fantasie, den Tod durch dauerhafte Werke zu besiegen, und sie nährt die Fantasie, Eros zu erzeugen.

So ist es. Die Macht, der Ehrgeiz, das gestalterische Wollen, der unternehmerische Trieb oder Antrieb, liegt in der Tat genau zwischen Eros und Thanatos, sie liegt sozusagen zwischen dieser Sehnsucht, durch Anerkennung, durch etwas, das man erreicht, Liebe zu erfahren, und dem Versuch, die Todesangst zu überwinden. Der Tod, diese absolut unfassbare, unbegreifliche Vergänglichkeit, die Gewissheit, dass alles irgendwann vorbei und umsonst und vergeblich ist, führt bei vielen Menschen zur Sehnsucht, etwas festzuhalten, etwas zu schaffen, was bleibt. Da ist irgendwo eine Sehnsucht nach 0,1 Prozent Unsterblichkeit. Ich glaube, das hat auch die Kunst immer angetrieben, deswegen malen Maler und schreiben Schriftsteller und komponieren Musiker. Und deswegen unternehmen Unternehmer etwas. Die Unternehmer sind ja auch von ihrer Persönlichkeitsstruktur den Künstlern viel näher als die angestellten Manager.


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