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Kunst jenseits der Klischees sadomasochistischer Exzentrik

Kein Opportunist: Der Aktionist Günter Brus

von Lisa Grotz

Österreich feiert auch seine kritischen Geister: Hermann Nitsch hatte seine Retrospektive im Kunsthaus Klosterneuburg der Sammlung Essl, wobei der Meister sichtbar selbst Hand angelegt hatte, um jedes einzelne seiner Werke optimal zur Geltung zu bringen.

Der einst als Nestbeschmutzer und "meistgehaßte Österreicher" verunglimpfte Günter Brus wurde in der Albertina für die bizarre Mannigfaltigkeit seines Oeuvres geehrt, wenn auch mit Worten, die Überzeugungskraft und Einfühlungsvermögen vermissen ließen: Spürbar lag bei der Vernissage der Verdacht in der Luft, daß der universelle Zugriff des zum Staatspreisträgers ernannten "Bild-Dichters" auf die Abgründe der menschlichen Seele bei den Kuratoren im Vorfeld der Ausstellung ein gewisses Unbehagen ausgelöst haben dürfte.

Ist doch die Konsequenz, mit der Brus den Aktionismus - die Arbeit am (eigenen) Körper also - in seinen Zeichnungen kulminieren läßt, nicht zu vergleichen mit dem letztendlich in die Opportunität abgeglittenen Schaffen seiner einstigen Mitstreiter. Und wer sich vom Obszönen verabschiedet, das den Arbeiten des Künstlers nach wie vor angedichtet wird, der wird im vordergründig blasphemisch Anmutenden einen "Schrei zum Himmel" erkennen, das nicht weiter erläuterungsbedürftige Leiden an einem Leben, das nur mehr kraft der schöpferischen Energie ertragen werden kann.

Es hat den Anschein, als fungiere Günter Brus als Medium der Schöpfungsgeschichte. In seinem Streben nach einer ordnenden Erkenntnis stellt er die blockierten Wahnvorstellungen einer an sich selbst verloren gegangenen Gesellschaft in aller Schärfe bloß. Mit der aufklärerisch-spielerischen Macht jener Worte, die wir allzu oft leichtfertig als Erkenntnisträger benutzen. Und die so bilddichterisch zu Papier gebrachte Darstellung führt ihn dabei zwangsläufig auch ins kürzlich wieder aktuell gewordene Pandämonium einer Sexualität im Schatten klerikaler Machtphantasien.

Das Zusammenwirken von Schrift und Zeichnung empfindet der Künstler selbst als "wundersame Ergänzung". Schreibt er doch dem Wort jenes reinigende Potential zu, das ihm die Visualisierung der Realität zu verweigern scheint.

Im "Dschungel der Innenbilder" - einem Essay aus dem Ausstellungskatalog "Werkumkreisungen" - berichtet Gerhard Roth von der überraschenden Intensität, mit der Brus den Zufall in seine Arbeit integriere: Zeitungsmeldungen, Bruchstücke aus Gesprächen, erzeugen eine Art unterirdischen Vulkanausbruch. Letztlich gibt es jedoch keinen Zufallscharakter im Werk des Künstlers. Eher erwecken seine Bilddichtungen den Eindruck unendlicher Assoziationsketten aus dem höllischen Paradies des Unbewußten, und so bleibt auch die Zwanghaftigkeit des Immer- Weiter- Denken-Müssens spürbar.

"Wer nicht hören will, muß denken", heißt es in einer seiner Zeichnungen aus dem Jahre 1983. Und in diesem Selbstzitat steckt ein Stück tragischer Wahrheit, die den Menschen Günter Brus in sich gefangen und möglicherweise geborgen hält.

Anders sein ehemaliger Mitstreiter Otto Mühl, der sich in der Dramatik des Exzesses selbst verloren hat und letztlich - weil uneinsichtig - zum "Opfer" jener permissiv-machtbezogenen Gesellschaft wurde, die er zu kritisieren glaubte. Wenn Peter Noever - im Zusammenhang mit der Mühl-Ausstellung im MAK - die Frage aufwirft, ob Kunst Angst erzeuge, dann erinnert er damit an eine Formulierung der Dichterin Rose Ausländer, die besagt, daß Angst in allem gründlich mache. Gründlich war Mühl bei der Aufarbeitung seiner Geschichte nicht, und so braucht er sich nicht zu wundern, wenn er eher als Kinderschänder denn als Maler in die Annalen der Kunstgeschichte eingeht.

Der Art Sales Index verzeichnet für Günter Brus 155, für Otto Mühl 130 und für Hermann Nitsch 155 Auktionsergebnisse. Der höchste Auktionspreis für Brus liegt bei umgerechnet knapp 22.000 Euro (Oktober 1999, Wiener Kunst Auktionen); für Mühl bei umgerechnet etwa 18 000 Euro (Oktober 1996, Wiener Kunst Auktionen) und für Nitsch bei umgerechnet etwa 27 000 Euro (Juni 2000, Dorotheum).

Artikel erschienen am Fr, 31. Dezember 2004

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