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11.04.2003 17:45

Das Kreuz als Sprungturm
Die Ausstellung "Himmelschwer" im Joanneum und in der Grazer Altstadt



Graz – Man könnte ja wissenschaftlich-trocken bei Newton anfangen. Majestix ist da schon volksnäher. Der Chef des widerständischen gallischen Asterix-Dorfes fürchtete sich ständig, dass ihm der Himmel auf den Kopf fällt. Manche versuchen mit allen Mitteln der Schwerkraft Mutter Erde zu entsagen, schweben im Vakuum einer Raumkapsel oder verhelfen sich mit illegalen Mitteln zur subjektiven Auflösung ihrer Erdanziehung und sonstiger Dinge und Zustände, die vage mit "Ich" beschrieben werden. Das Fliegen als Aufhebung der natürlichen, physikalischen Gegebenheiten hatte auch etwas Ketzerisches, Surreales, Verbotenes – siehe Hexen und Flugsalben und die Folgen.

Letzte Konsequenz der Schwerkraftauflösung ist, in unseren Breitengraden, die Auffahrt gen Himmel. Außer man denkt wie George Bataille, der die modernen Lebensbedingungen beschrieb als "Schwebezustand zwischen zwei Leeren". Yves Kleins Sprung ins Leere kommt auch ein wenig aus dieser Sehnsucht heraus.

Manche fürchten sich vor der Himmelfahrt, während die Christen die Reise ihres Namensgebers am Himmelfahrtstag feiern (heuer: 29. 5.).

Graz 2003 hat im Jubeljahr ein Himmelfahrtskommando quasi an die Künstler ausgegeben, welche sich zum Thema in Form von Werken geäußert haben. Himmelschwer. Transformationen der Schwerkraft heißt das von Johannes Rauchenberger, Alois Kölbl und Elena Luis konzipierte, auf halb Graz verteilte Großprojekt. Da passt ein Fra Angelico aus dem 13. Jahrhundert rein wie auch Anthony Gormleys Skulpturen.

Das Spannende und Anregende dabei: Es gibt keine Zeitgenossen-Kammer und keine Mittelalter-Stube; die Werke werden kreuz und quer, aber mit System, durcheinander gezeigt. Wobei sich verblüffende Parallelen ergeben. Gormleys brandneuer Capacitor II, eine vollends mit exzentrischen Stahlstäben gespickte, stehende Menschenfigur, korrespondiert mit Gian Lorenzo Berninis strahlenumgebener Verklärung Christi (ca. 1657) aus dem Salzburger Barockmuseum. So sagt man es offziell: "Bilder aus der religiösen Tradition der Schwerkraft – wie Grablegung, Himmelfahrt oder Verklärung – werden als Leitmotive aufgegriffen und in vier thematischen Spannungsfeldern – Schwere und Levitation, Aufstieg und Anziehung, Schweben und Balance, Rotation und Sturz – weitergetragen."

Rechtzeitig vor den Osterfeiertagen stellt W. Hofmeister seine Tabula Saltandi auf den Kalvarienberg. Mit minimalen Mitteln gelangt er zu maximal komischer Wirkung. Den am Kreuze hängenden Jesus, überliefert auf Tausenden Kunstwerken, löst er vom Träger, posiert ihn höher und stellt ihn etwas in die Schräge, mit den Fußsohlen am Kreuz. So meint man, Jesus wolle einen Köpfler vornüber machen. Er benutzt das Kreuz als Absprungbasis zu seinem Schöpfer, an dessen rechter Seite er laut Bibel ja seit geraumer Zeit sitzen soll.

Das mit der Himmelfahrt möge man nicht so wörtlich, sondern symbolisch nehmen – vor allem die in der Bibel beschriebene Wolke, die Jesus aufnahm und ihn so den Blicken der Apostel entzog. Dass Jesus sich der Schwerkraft entledigen konnte, hatte er auch schon vorher mit seinem Gang über den See Genezareth demonstriert.

Vielleicht sollte man der finalen leiblichen Entrückung ein wenig vorgreifen, wie es Berlins Männer tun, und sich an einem Tag im Jahr, zu Christi Himmelfahrt, hochoffiziell sturzbetrunken machen am Tag des Herrn, dem "Herrentag". Konzeptkunst vom Feinsten. (Doris Krumpl/DER STANDARD; Printausgabe, 12.04.2003)


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