Ausstellung: Gilbert & George Jack Freak Pictures
Ein herrlicher Exzess an Farben und Formen
Linz. (mj)
Es sind gewaltige Bildexplosionen, mit denen Gilbert & George das
Linzer Publikum im Lentos Kunstmuseum konfrontieren. "Jack Freak
Pictures" titelt die 153-teilige, bislang umfangreichste Werkgruppe
jenes britischen Duos, das seit den späten 1960ern mit seinem Credo "Art
for All" die Kunstwelt erobert. Als "Living Sculptures" und "Singing
Sculptures" wurden sie damals bekannt.
78 großformatige, detailreich und farbstark collagierte Tafeln aus
dem Zyklus sorgen nun für den visuellen Overkill im großen Saal des
Lentos. Davor war die Schau in umfangreicherem Ausmaß in den Hamburger
Deichtorhallen zu Gast. Dem Union Jack, der Flagge Großbritanniens,
begegnet man in dieser Ausstellung in variantenreicher Ausprägung: Mal
fungiert er als Straßenbelag oder Mauerziegel, mal als Stadtplan,
abstraktes Hintergrundmotiv oder Medaillenherz. Als Symbol britischen
Nationalstolzes, aber auch als ein im Kontext von Moden und Subkulturen
entleerter Zeichenträger findet sich das blau-rot-weiße Mehrfachkreuz
auf den herausgestreckten Zungen der Künstler ebenso wieder wie auf
deren Anzügen. Gilbert & George inszenieren sich in dieser wie in
früheren Serien als Schöpfer einer Welt, die kaum etwas ausschließt.
Selbst Jesus bekommt in diesem Kosmos statt des Lendenschurzes die Fahne
umgehängt und mutiert so scheinbar zum Symbol für die Verschwisterung
von Staat und Kirche.
Freakshow voller Grotesken
Hölzern tänzelt das Anzugduo an anderer Stelle durch sein
computergeneriertes Universum, das in der Realität kaum über die Grenzen
des eigenen Viertels hinausreicht. Das Konzept der lebenden Skulpturen
gelangt in den Bildern, deren Rasterstrukturen an Kirchenfenster
erinnern, zur Höchstform: Monströs verformt treten die Gesichter und
Körper von Gilbert & George in Erscheinung, verschmelzen mit
diversen Versatzstücken im Bild, allen voran dem Union Jack.
Im Gegensatz zu früheren Zyklen umschiffen die Künstler in ihrer
aktuellen Präsentation Themen wie Rassismus oder Sex. Katholizismus und
Nationalstolz erscheinen als das vordergründige Angriffsziel in den
"Jack Freak Pictures". Eine kritische Reflexion über Religion und
Nationalismus mag sich dennoch nicht einstellen. Vieles gerinnt hier zum
reinen und durchwegs herrlichen Exzess von Formen und Farben, zur
Freakshow voller Grotesken und Absurditäten. Die Auseinandersetzung mit
dem Chaos des Lebens selbst kommt angesichts dessen allerdings ziemlich
geglättet daher.
Ausstellung
Gilbert & George Jack Freak Pictures
Lentos Kunstmuseum Linz
Bis 9. Oktober
Printausgabe vom Freitag, 17. Juni 2011
Online seit: Donnerstag, 16. Juni 2011 18:21:00