Einst trug er den Titel: „Meistgehasster
Österreicher“ wie eine Auszeichnung. Nun wird er offiziell in Wien
geehrt: Dem Aktionskünstler Günter Brus ist in der Albertina eine
umfangreiche Werkschau gewidmet. HELMUT SCHÖDEL
Als Günter Brus bei der Eröffnung seiner
Ausstellung „Werkumkreisung“ in der Wiener Albertina gefragt wurde,
ob er etwas sagen wolle, sagte er nichts. Das hieß wohl: Ich bin
nicht der Esel, ich bin der Bürgermeister von Wesel. Brus steht für
ein Werk wie ein Schrei aus einer rätselvollen, grausamen und
wahnhaften Welt – und nicht für dessen Echo. Außerdem begann Brus in
einer Zeit erst berüchtigt und dann berühmt zu werden, als man den
Werkbegriff demontieren wollte und der Verstehsucht der Exegeten den
Boden entzog. Die Avantgarde war gegen ihre Auslegung konzipiert: Es
ging um einen Weg, dessen Ziel auf keinen Fall die Albertina war.
Gerade deshalb wurde Brus jetzt zu seinem 65. Geburtstag in Wiens
Bildertempel zu Recht geehrt. Ein unscheinbarer, schmaler älterer
Herr, den die Medien Ende der sechziger Jahre zum „meistgehassten
Österreicher“ erklärt hatten.
» Schmerz
gebündelt, Seele nackt! «
Um das Protestjahr 1968, als in Deutschland
die Studenten revoltierten, schockten Wien die Aktionisten. Sie
hießen Otto Mühl, Hermann Nitsch, Rudolf Schwarzkogler oder Günter
Brus, der schon drei Jahre vorher zu seinem „Wiener Spaziergang“
aufgebrochen war: Gesicht, Hände, Kleidung weiß bepinselt, dazu von
Kopf bis Fuß ein schwarzer Strich, als wäre der Mann aus zwei Teilen
zusammengenäht. Der Maler hatte sich von der Leinwand gelöst, und
der Körper des Künstlers wurde selbst zum Thema. Außerdem hatte die
Kunst die Galerie verlassen – und damit die Wiener Polizei
alarmiert.
Bei der berüchtigten „Uniaktion“ kam es ‘68
vollends zum Eklat, als Brus eine weitere „Körperanalyse“
durchführte. Er schnitt sich im Hörsaal 1 der Wiener Uni in Brust
und Oberschenkel, urinierte, defäkierte und sang onanierend die
Bundeshymne. So zog er sich den Hass der Österreicher zu, wurde
verhaftet, zu sechs Monaten „schweren Arrests“ verurteilt und floh
nach Westberlin, wo er (zusammen mit Gerhard Rühm und Oswald Wiener)
als Protest gegen die Repressionen eine „österreichische
Exilregierung“ gründete, deren publizistisches Organ, die
Zeitschrift „Die Schasdrommel“, zum Forum der österreichischen
„Exilavantgarde“ wurde.
» Ich fühle mich
als ein Traumfleisch, das durch sein Nachthemd schritt.
«
Obwohl Brus seine „Körperanalysen“ bereits
mit Ende der sechziger Jahre abschloss, sah man in ihm weiterhin den
Wiener Aktionisten und Bürgerschreck aus der Steiermark.
Andererseits wurde, was er später zeichnete und schrieb, eher als
Raffinesse gehandelt. Brus’ Kunst war aufs Papier zurückgekehrt, auf
einmal bunt, artistisch und witzig. Er hatte die Methode verändert,
aber nicht sich selber. Brus war als Provokateur ein Künstler und
blieb als Künstler ein Provokateur. Das zeigt die Ausstellung in der
Albertina, die um ein umfassendes Bild von Günter Brus bemüht ist.
An die Zeit des Aktionismus wird mit Zeichnungen und
großformatigen Fotografien der Aktionen erinnert. In einer Kinokoje
am Ende der Ausstellung sieht man, komponiert von Günter Brus und
Peter Kasperak, Filmematerial aus der Aktionszeit. Da steht dann:
„Strangulation 68“, und schon kriecht der Körper des Künstlers nackt
über den Boden eines kahlen Gangs auf eine weiße Tür zu, an der er
sich kopfunter befestigen wird. Anders als bei den Fotografien fällt
es einem bisweilen schwer, dem tiefen Ernst und hohen Pathos der
dokumentierten Szenen zu folgen: Schmerz gebündelt, Seele nackt!
Manches sieht heute aus wie das 68er-Trainingsprogramm für den
Märtyrer zu Hause. Aber damals war vieles komisch verbiestert, die
Roten Zellen genauso wie die weißen Männer.
Mit dem Ende
der Aktionen begann die bunte Märchenwelt der „Bild-Dichtungen“, ein
Weg zurück zur Fantasie. Farbenfrohe Kreidezeichnungen, fantastische
Motive. Alles nach dem Brus’schen Motto „Realität war schon vor dem
Urknall antiquiert“. Es ist jetzt nicht mehr der Körper des
Künstlers, sondern seine Sprache, die wichtig wird: Erst getippte,
später handschriftliche Texte neben, unter, über den Bildern, die
oft märchenhaft grausam sind. Auch in den Bild-Dichtungen fehlt es
nicht an Sex, Wut, Blut und Folter, verstärkt durch das
Gedankengewimmel der Spontanprosa, die sich bisweilen zum Lyrischen
aufschwingt. Da liest man in roten Versalien: „Meine Jahre werden
alt und ich leibe mit. Ich fühle mich als ein Traumfleisch, das
durch sein Nachthemd schritt. Euphemia, ich liebe dich.“ Hört sich
an wie das erste Wetterleuchten eines beginnenden Altersfrohsinns.
Aber Brus ist immer ein Mensch in Aktion geblieben.
„Unsere Aufgabe heißt, uns zu erfinden. Bis jetzt waren wir nicht“,
schreibt Brus, der mit seinen Bildern nach dem „verdrängten
Stampfen, Schreien und Pfauchen“ der Existenz sucht. „Physisch
sichtbar werden“ soll es im Körper des Bildes des Künstlers.
Die Ausstellung in der Albertina ist nicht nur eine
gelungene Werkumkreisung, sondern nebenbei ein Stück österreichische
Vergangenheitsbewältigung. Selbst die Kronenzeitung, einst führend
im Kampf gegen das „Uniferkel“ findet Brus nun „zu Recht
international berühmt“. Jetzt ist alles Geschichte: die Aktionen,
die Bilder und der Zoff. Man ist stolz auf den weit über die Grenzen
hinausreichenden Ruhm eines großen Künstlers. Das ist das
Internationale an Österreich.
Bis 8. Februar
2004. Der Katalog (Buchhandlung Walther König) kostet 29 Euro.
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