|
Da grosse Kunst meist nicht
von wohlmeinenden und netten Leuten, sondern von Sonderlingen entsteht,
ist das neue Lied, das Saskia Bos anstimmen möchte, ein spätromantisches
‹Du sollst dein Leben ändern›, ohne aber die imaginative Kraft und formale
Strenge, die den Effekt überhaupt erst zum Affekt machen würde, ins Kalkül
zu ziehen. Während der Eröffnungstage spielten solche Einwände keine
Rolle. Wie kein Kunstereignis zuvor hatte die 2. Berlin Biennale im
Vorfeld eine soziale Kraft entwickelt, die sich im Reigen der
Voreröffnungen und Parallelveranstaltungen entlud. Allein diese produktive
Eigenschaft sichert die Geldgeber für die nächste Biennale. Aber nach der
Eröffnung zählt nun die Ausstellung: eine Ansammlung kleiner
Merkwürdigkeiten hier und da.
Im Postfuhramt blenden Videozimmer
das heruntergekommene Interieur ins Dunkel. Bei der 1. Biennale 1998 blieb
hier vor allem der Kuppelsaal in Erinnerung, in dem Tobias Rehberger eine
Kaskade frischer Blumen in handgefertigte Vasen stellte und Olafur
Eliasson einen Propeller kreisen liess. Nun teilen sich Ayse Erkmen und
Alicia Framis dieses Zentrum. Ihre Beiträge sind für sich genommen
triftig, doch ohne Verbindung: Erkmen projeziert Ideogramme für ‹Stop› und
‹Go› der E-Mail-Übermittlung Eudora in das Mittelmedaillon. Framis stellt
ein Gehäuse ‹Nur für Frauen› auf. Jonathan Monk hat aus der stillen Devise
‹kleine Beiträge› ein gewitztes Meisterwerk gemacht. Er filmte ein Buch
mit Werken Gerhard Richters und ein weiteres mit Werken Sol LeWitts mit
Super-8 ab und projizierte sie als Endlosschleife in Postkartenformat auf
die Wand. Je länger die Ausstellung dauert, desto zerschlissener
erscheinen die Werke: eine symbolische Auslöschung. Doch Monk ist eine
Ausnahme.
In den weissen Hallen der Kunst-Werke fallen die Defizite
grell ins Auge. Zwei grosse Künstler der jüngeren Generation, Henrik
Håkansson und Dan Peterman, bekamen nur ein kleines Plätzchen zugewiesen.
So stellte Peterman, der ästhetische, wirtschaftliche, ökologische und
sozialgemeinschaftliche Aspekte in seinem Werk zusammenbringt und in jeder
Hinsicht den Stichworten der Kuratorin Präsenz und Sichtbarkeit hätte
geben können, neben zarten Landschaftsgemälden von Qui Shihua, einem
prägnanten Doppelvideo fliessenden Wassers von Fiona Tan, Fotos von
Hinterköpfen von Rosangela Rennó und Wüstenpflanzen auf Telefondrähten von
Håkansson eine kleine Pasta-Küche in den zentralen Oberlichtsaal. Sie
wirkt verwaist und steht unverbunden im Raum wie eine drop sculpture. Zwei
Etagen höher kann man sich nach Anleitung von Surasi Kusolwong massieren
lassen. Was will die Kuratorin mit dem Allerlei? Der Rahmen war gross,
doch alles zu klein gedacht. Sie zitiert Baudelaire. Ihr ginge es um
‹luxe, calme et volupté›. Leider gewinnt man keine Ahnung von der
Schönheit erster Ordnung, zu der manche Künstler bereit wären, würde man
sie nur lassen.
Bis 20.6.2001
|