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dieStandard.at | Kultur 
05. September 2007
12:07 MESZ
Teil zwei
Spiderwoman mit Freiheitsgefühlen 
Foto: Mary Kelly; Roman März / documenta GmbH
Love Songs: Multi-Story House, 2007
Holzrahmen, Acrylguss-Paneele, Bauglas-Boden, fluoreszierendes Licht
Courtesy Postmasters, New York

Foto:  Mary Kelly; Julia Zimmermann / documenta GmbH
Love Songs: Flashing Nipple Remix, 2005
3 s/w-Diapositive in Leuchtkästen
Courtesy Postmasters, New York

Foto: Mary Kelly; Julia Zimmermann / documenta GmbH
Love Songs: WLM Demo Remix, 2005
Video (DVD), s/w, ohne Ton
Courtesy Postmasters, New York

Romantisches feministisches Glashäuschen
Mary Kelly zeigt auf der documenta in Kassel, dass der Feminismus der 70er nicht nur nett war, sondern schon im Museum zu finden ist

Die US-Künstlerin Mary Kelly zeigt auf der documenta in Kassel, dass der 70er Jahre-Feminismus nicht nur nett war, sondern auch schon im Museum zu finden ist. Eine Reportage von Kerstin Kellermann.


Durch Kunst kommt Freude auf und Kunst macht (un)glücklich: "Geld raus schmeißen, juhu!", ruft der kleine Junge, der mit Sturzhelm auf dem Kopf auf dem Schoß seiner Mutter sitzt. Die Cafés in der Nähe der documenta-Spielorte sind teuer. Ein "Wasser", wie es hier heißt, kostet 3.30 Euro - und es gibt meistens kein Pfand zurück.

Kassel, die Stadt, die wegen ihrer Waffenfabriken zu Ende des Zweiten Weltkrieges von den Alliierten bombardiert und deren alte Häuser zu achzig Prozent zerstört wurden, zeigt sich von der schönsten Seite. In der Ferne sieht man grüne Hügelketten ziehen, das Mohnblumenfeld von Sanja Ivekovic leuchtet mit seinen roten Farbtupfern an zentraler Stelle. Obwohl es an den Krieg in Afghanistan und die seither erhöhte Opium-Produktion erinnern soll, sieht das Feld äußerst freundlich und friedlich aus. Das in der Zeitschrift "Der Spiegel" so heftig kritisierte Exklusivitäts-Karussel "Politik des ausgeschlossenenen Vierten" von Andreas Siekmann dreht sich direkt daneben und bringt einen Anflug von Kirmes-Stimmung. Unmengen an "Spießbürgern" in hellgrauen Jacken und Bildungsbürgerinnen mit Handtäschchen sind unterwegs. Die Schlange vor den Damenklos ist natürlich die längste.

Feministische Lichtspiele

Ein durchsichtiges Häuschen mit weiß mattierten Scheiben steht im zentralen Raum, quasi im Herzen der "Neuen Galerie". "Everything was so clear then", ist in Schönschrift in die Scheibe ganz oben am Giebel geschnitten, darunter gleich "My mother was a feminist". Die US-Künstlerin Mary Kelly amüsiert sich hier mit einem ironisch-liebevollen Schrebergarten-Häuschen (für ein Hexenhäuschen ist es zu neonbeleuchtet) und ergeht sich in Erinnerungen an den Feminismus der 70er Jahre.

Das "Multi-Story House" wurde extra für die documenta 12 konzipiert. Die Museumswärterin, die am Eingang des Häuschens steht, ist die einzige der WächterInnen mit der umgebundenen weißen documenta-Kinderschürze, die ein breites Lächeln im Gesicht trägt. Es gefällt ihr, wie die Leute vorsichtig über die am Boden befestigten Neonröhren steigen, obwohl eine Glasplatte über dem Licht angebracht ist. Blendender Feminismus, Feminismus blendet. Auch in den Fotos der Performance, die Mary Kelly am Eröffnungstag mit hundert Frauen durchführte und ursprünglich ein Protest gegen den Miss World-Wettbewerb war. Sie wurde 1971 in der Royal Albert Hall in London aufgeführt. An Brüsten und in Hüfthöhe angebrachte bzw. gehaltene Taschenlampen wurden von vielen Frauen im Dunkeln schleunigst hin und her geschwenkt. "Flashing Nipple. Remix 2005" heißt das Werk.

Ein anderes, das eine Frauendemonstration zeigt, verwischt das Bild immer wieder, die Projektion wird klarer oder undurchsichtiger. "Love Song: WLM Demo Remix" handelt von Erinnerungen und Träumerei. Obwohl die Mary Kelly-Werke rein optisch oder ästhetisch betrachtet in das momentane unpolitische Feminismus-Revival passen, werden einige italienische Aktivistinnen in der Neuen Galerie sentimental: "Früher war Feminismus schon sehr nett, und diese Aktionen, die wir gemacht haben!" Die jungen Feministinnen von heute haben schon etwas verpasst. Auf der Tür des Häuschens steht: "In the eighties everyone kept insisting feminism was over. That just made me more determinded to find out what it was all about." Und daneben, ebenfalls in schönster Tagebuchschrift: "I finally felt connected to something, that made personal as well as political sense. The high point for me was being with other women and knowing we were part of something bigger than ourselves." Die umliegenden Wände strahlen lachsfarben die Träumereien und die hoffnungsfrohe Naivität zurück. "This house is TOO nice", sagt die stämmige Italienerin, die vorhin die Warteschlange am Damenklo abkürzte und nach dreimaligem Anlauf das Männerklo beehrte.

Konzept als Pferd

Irgendwie scheint Documenta-Leiter Roger M. Buergel noch eine Rechnung mit deutschen KunstkonsumentInnen offen gehabt zu haben: BesucherInnen suchen Tafeln und Erklärungen zur gezeigten Kunst zumeist vergebens. Die Täfelchen befinden sich oft meterweit vom Ort des Geschehens und es steht nicht besonders viel drauf. Alte und neue Kunst soll in neuem Kontext direkt vom Betrachter ästhetisch erfahren werden, ohne störende Ein- und Zuordnungsmöglichkeiten.

Doch der Bildungs-Frust, die Unmöglichkeit sich durch Texte zu orientieren, steht zeitweise wolkendick im heißen Aue-Pavillon mit den silbernen Vorhängen, der speziell für diese documenta erbaut wurde. Dass die manchmal vierstündigen Führungen von jungen, zum Teil migrantischen, KünstlerInnen durchgeführt werden, die ihre "Lieblings-Kunstwerke" präsentieren und besprechen, erzeugt auch ratlose Gesichter und eifriges Knabbern auf Brillengestellen. "Auf der documenta 12 überwiegt die Konzeptkunst", erklärt eine junge, vom Akzent her osteuropäische Kunstführerin vorwurfsvoll einer eifrigen, bildungsbeflissenen Frau, die viel fragt. "Wenn man nur so schaut und das Konzept mit den drei erarbeiteten Themenblöcken nicht berücksichtigt, kriegt man nicht alles mit." Konzeptkunst, die zugleich "schön" und "politisch" sein sollte. Womöglich auch noch assoziativ und verständlich? Ein schwieriges Unterfangen.

Im dicken documenta-Katalog wird ein Experiment von Cosima von Bonin so beschrieben: "Hinter stilisierten Stalltüren aus Styropor, aus denen Plastikfolie quillt, ist die Silhouette eines Pferdes sichtbar. Als Inhalt ohne Inhalt führt das Pferd jede allein an der Form ebenso wie jede allein am Inhalt orientierte Betrachtung ad absurdum, um stattdessen ihr Verhältnis in Bewegung zu versetzen. Auch so ein Ergebnis: Konzept kann (...) durchaus Pferd bedeuten." Draußen auf der Wiese gibt es Curry-Würstchen und die Sonne brennt heiß. Der chinesische Künstler Ai Weiwei filmt vor Erschöpfung in gelben Liegestühlen eingeschlafene BesucherInnen.


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