11.10.2001
20:23 MEZ
  Flieger und heilige Herzen
"Die Naive - Aufbruch ins verlorene Paradies" im KunstHausWien
Foto: Museum Zander/KunstHausWien
Max Raffler (1902-88)
Porträt Gisela Pfeiffer, 1971
Ausschnitt


 Von
 Doris Krumpl



WEB-TIPP:

kunsthaus
wien.at

Bis 3. 2.

 

"Die Naive - Aufbruch ins verlorene Paradies": Das KunstHausWien präsentiert etwa 200 Arbeiten aus der gut 4000 Objekte umfassenden Privatsammlung der Münchner Galeristin Charlotte Zander.


Wien - Globalisierung war für sie ein Fremdwort. Demzufolge sind sie ausgestorben, die Künstler der Naive. Demzufolge leb(t)en sie noch im "verlorenen Paradies". Dahin bricht derzeit das KunstHausWien auf, mit menschenfreundlicher, zumeist herzenserwärmender Kunst im 10. Bestandsjahr in Folge - ohne Subvention und mit 45 Fixangestellten, wie man nicht ohne Stolz berichtet.

Nun also "Die Naive"? Ein Terminus, den Charlotte Zander als Begriff wie "Die Moderne" in die Kunstgeschichte implementieren will. Um das zu untermauern, eröffnete die charismatische, über 70 Jahre alte Dame 1996 ein gleichnamiges Museum in Schloss Bönnigheim bei Stuttgart. Gleichzeitig verachtet sie aber auch den Terminus im Deutschen, der leicht mit "dumm" oder "tölpelhaft" in Verbindung gebracht wird. Sympathisch ist ihr der amerikanische Begriff "the self-taught", obwohl nicht alle Autodidakten sind.

Allein das Lesen der unterschiedlichen Biografien versetzt in Staunen. Viele der Maler konnten weder lesen noch schreiben, begannen ihre Werke in späten Jahren, verdingten sich als Viehhirten, Briefträger oder Ringkämpfer. Die deutsche Emma Stern emigrierte 1935 nach Paris, ihre Söhne kamen in Auschwitz um. Im Alter von 70 Jahren begann sie zu malen. Skurril der Karosseriebauer Alois Sauter, Erfinder des Flugzeugs "Sauteral".

Zentrale Stücke von Sammlung wie Ausstellung sind einerseits die französischen "Maler des heiligen Herzens", allen voran drei typische Henri Rousseaus, der Zentralfigur der "Bewegung", andererseits die um Ivan Generalic gruppierte "Schule von Hlebine", dem an der ungarischen Grenze gelegenen kroatischen Bauerndorf. Letztere hatte Epigonen der Epigonen, wie Sammlerin Zander feststellt, "sechs bis acht Motive auf Hinterglas, en masse. Das hat den Markt kaputtgemacht". Was "Die Naive" keinesfalls sei: Hausfrauenmalerei oder religiöse Kunst.

Zander muss es ja wirklich wissen: Ihre Liebe zu dieser Kunst, auch zur verwandten "Art Brut", hat sie bis 1995 als Galeristin - Galerie Charlotte, München - ausgelebt. Votivgaben hatten einst ihre Sammeltätigeit angestachelt. Nach deren diebstahlbedingtem Verlust wandte sich Zander zunächst den Malern des heiligen Herzens zu, von denen im KunstHaus Louis Vivin und Camille Bombois ganze Räume bestückt wurden. Der Gruppenname stammt vom Entdecker, dem deutschen Kunstschriftsteller Wilhelm Uhde, der die Vorliebe der Künstler für das Sacre-Coeur-Motiv damit andeutete.

Die Ränder zu anderen Stilrichtungen wie Neuer Sachlichkeit, modernistischen Tendenzen oder zur Art Brut sind fließend, und auch dem Vorurteil, dass die Naive heiter und unbedarft sei, stehen hier geradezu düstere bis surreale Bildschöpfungen entgegen. Die symbolische Bildhaftigkeit vieler Werke geht über die dekorative Einfalt und erzählerische Einfachheit, mit denen "die Naive" immer verbunden wir, hinaus. Kandinsky nannte sie zu Recht das "Große Reale".
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12. 10. 2001)

 

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