29.06.2001 01:05:00 MEZ
Die positiven Aspekte der Reibungshitze, oder: Kein Turm, ein Zeichen
Wolfgang Waldner und Gerald Matt im STANDARD- Streitgespräch

Wolfgang Waldner, Chef des Museumsquartiers, und Gerald Matt, Direktor der Kunsthalle, streiten gerne über das Konzept des Areals. Im Gespräch mit Thomas Trenkler waren sie sich zumindest in einem Punkt einig: Das MQ braucht keinen Turm. Aber ein Zeichen.


STANDARD: Herr Direktor Matt, Sie haben die Geschichte des Museumsquartiers seit über einem Jahrzehnt mitverfolgt und mitbestimmt: Ist das MQ jenes Kulturzentrum, das man sich einst erhoffte?

Matt: Es gibt von Novalis den Satz: "Fängt nicht überall das Beste mit Krankheit an?" Wenn ich mir die Geschichte der Zwiste, der Intrigen, der Rückschläge vergegenwärtige, ist immer noch ein international vorzeigbares Projekt herausgekommen. Es ist das Modell einer Museumslandschaft für das 21. Jahrhundert: ein Modell des Pluralismus, der Konkurrenz und der Ergänzung. Diese Vision des Pluralismus unterscheidet uns massiv von der Tate Gallery und auch von einem Museum in Bilbao. Wir haben hier nicht einen schwerfälligen, zentralisierten Tanker, sondern ein Mosaik schillernder kultureller Institutionen, die auch Reibungshitze entfalten und kreative Funken sprühen.

STANDARD: Sie haben des Öfteren für Reibungshitze gesorgt: Sie warfen Waldner vor, er würde versuchen, zentralistisch zu agieren. Wie ist nun das Verhältnis zwischen den Nutzern und der Organisation?

Matt: Ich glaube, dass ein kritischer Dialog auch neue Inputs bedeutet. Er ist sicher im Sinne des Modells Museumsquartier erfolgt und hat zu guten Ergebnissen geführt: Es gibt jetzt eine Zustimmung, die kleinen Kulturinitiativen bestehen zu lassen.

Waldner: Da muss ich widersprechen. Das haben wir seit Monaten angekündigt, schriftlich, das ist nachweisbar. Die Nutzer bekommen dieser Tage verbindliche Vorverträge - und dann ist es Sache dieser Nutzer, diese zu akzeptieren oder nicht. Ich sehe es aus meiner Position heraus natürlich noch optimistischer als du, Gerald: Das Museumsquartier ist, international betrachtet, geradezu hervorragend geworden, weil die Reaktionen ansonsten nicht so wären, wie sie sind. Die überwiegende Zahl der Kommentatoren ist erstaunt, dass heutzutage überhaupt noch so etwas in Zentrumsnähe entstehen kann. Das ist vielleicht der positive Effekt dessen, dass man 23 Jahre gebraucht hat. Und das sehe ich als die große Errungenschaft der letzten Jahren: Dass man die unabhängigen Initiativen hereinnimmt, dass man Kritik, Irritation zulässt, Kreativität institutionalisiert, ohne sie in ihrer Entfaltung zu behindern.

STANDARD: Dennoch stammt das Konzept aus den 80er-Jahren. Gibt es nicht schon wieder neue Ansätze, wie Kunst näher gebracht werden kann?

Waldner: Die letzte Variante des Konzepts stammt aus dem Jahre 1996, und das versuchen wir mit dem Quartier 21 weiterzuentwickeln: Die Erträge aus der wirtschaftlichen Nutzung stecken wir - das ist ein großes Zugeständnis der Eigentümer - in die kulturelle Infrastruktur. Das ist ein ganz neuer Ansatz, der nichts mit Subvention zu tun hat. Das ist immer ein Missverständnis in der Diskussion mit den Drittnutzern, die glauben, wir müssten die geringen Mieten noch mehr senken, weil der Staat die Pflicht hat, sie zu unterstützen. Das ist ein Denkfehler, würde ich fast sagen. Weil ja das Zugeständnis von einem Ministerium kommt, das gar nicht für Subventionen zuständig ist.

Matt: Das sind ein bisschen technokratische Argumente, weil ich glaube, da geht es nicht um Zuständigkeiten, sondern um die Frage, welchen Platz räumt das Museumsquartier autonomen Kulturinitiativen ein. Aber ich glaube, dass man auf dem richtigen Weg ist.

Waldner: Also die Frage ist zur Genüge geklärt: Die Initiativen dürfen, die müssen sogar herein. Die Frage, wie das organisiert wird, würde ich nicht so leicht mit "technokratischen Argumenten" abtun: Die Gesellschaft ist gesetzlich verpflichtet, das Areal zu bewirtschaften. Und so sind wir auch dazu verpflichtet, Einnahmen zu erzielen. Aber diese Einnahmen werden nicht abgeführt, sondern in die Infrastruktur gesteckt.

STANDARD: Die Eröffnung zeigt vor allem eines: Das Museumsquartier ist das Areal. Und wann immer irgendjemand etwas im Areal veranstalten will, braucht er Ihre Zustimmung beziehungsweise jene Ihres Beirats. Sie können da schon sehr autoritär agieren ...

Waldner: Ich glaube, dass es viel besser ist, wenn darüber ein Expertenbeirat entscheidet - und nicht ein Kulturpolitiker oder Beamter.

STANDARD: Der Beirat fällt die Entscheidungen?

Waldner: Nein, es sind Empfehlungen. Die Letztverantwortung trägt die Geschäftsführung. Um das kommt man nicht herum. Bezüglich der Flächen in den Innenhöfen, da bin auch ich der Meinung, dass man ein Mitspracherecht der Nutzer etablieren wird müssen.

STANDARD: Manche Kritiker warnen vor einer drohenden Verkommerzialisierung.

Waldner: Diese Gefahr kann gar nicht bestehen. Weil ja 95 Prozent der Flächen mit Kulturanbietern belegt sind, die gar nichts mit seichtem Entertainment am Hut haben. Der Vorwurf "Shopping City der Kultur" geht absolut ins Leere.

Matt: Letztlich aber gilt: Die Leute werden nur wegen der Qualität der künstlerischen Programme kommen.

STANDARD: Man könnte auch wegen der Anlage kommen.

Matt: Das ist am Beginn ein wichtiger Effekt. Aber dann muss eine entsprechende künstlerische Qualität folgen, sonst sind wir beim Bilbao-Syndom: Im Verwertungsort der Guggenheimschen Expansionsinteressen bekommt man nur mehr Armani und Motorräder zu sehen.

Waldner: Auch ich sehe diese Gefahr nicht. Wir wissen aus Untersuchungen, dass wahrscheinlich 30 Prozent der Besucher gar nicht wegen der Kunst kommen werden, aber ich glaube, dass das dem Gesamten auch wieder nützt: Als Gegenentwurf zu den Themenparks, den Shopping-Malls, den Massenspektakeln.

STANDARD: Ursprünglich war ein weit größeres Museum moderner Kunst geplant, es war auch ein größeres Leopold-Museum vorgesehen. Besteht nicht die Gefahr, dass die großen Institutionen irgendwann mehr Platz haben wollen - und die kleinen zurückdrängen?

Matt: Ganz wichtig ist, dass es den Ortners gelungen ist, die Häuser von ihrem Erschei- nungsbild her klar voneinander abzugrenzen und damit Identitäten zu schaffen. Die Kunsthalle hat kein Interesse, in andere Flächen hinein zu diffundieren, das würde die Identität verwässern.

STANDARD: Letzte, unausweichliche Frage: Soll der Turm gebaut werden?

Waldner: Man soll sich nicht auf den Turm fixieren. Aber ein Zeichen nach außen ist notwendig: um zu zeigen, dass Zeitgenössisches hinter den Mauern passiert. Und wenn ein Designcenter auf dem Vorplatz errichtet wird, ist das genauso so viel wert, als wenn der Turm drinnen gebaut wird - nur aus Justament.

Matt: D'accord! Ein Zeichen, dass das Museumsquartier als Kunstviertel markiert! Und da ist die Lösung außen sinnvoller, weil: Wenn es innen steht, ist es von außen betrachtet zur Hälfte verdeckt.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29. 6. 2001)


Quelle: © derStandard.at