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Wieder da: Optische Hysterie!

21.02.2007 | 18:09 | JOHANNA DI BLASI (Die Presse)

Die Schirn-Kunsthalle erinnert an den Siegeszug der Op-Art. Manche Kunstwerke waren seit den Sechzigerjahren nicht mehr zu sehen.

Guck mal, guck mal!“ Mit offenem Mund bestaunen Knirpse eine große rotierende Scheibe, mit Kreisen, die schwindlig machen. „Was ist das?“, rufen die Kinder. „Das ist Kunst“, sagt eine Erzieherin. „Darf man die betreten?“

Man darf die Rotunde, die sich vor der Frankfurter Schirn-Kunsthalle dreht, nicht nur betreten, man soll sogar! Die Italienerin Marina Apollonio hat sie in den swingenden Sechzigerjahren zu diesem Zweck kreiert. In Muster versinken, in Spiegel stürzen, Nachbilder, Farbvibrationen oder Augenflimmern erzeugen lassen: Das kann die Op-Art (Optical Art), die unsere Wahrnehmung foppende Kunstrichtung, die ein Jahrzehnt lang die Welt in „optical hysteria“ versetzte.

So taucht man in der Schirn ein in dunkle Labyrinthe mit rhythmischen Blitzen, stroboskopischen Projektionen und Lichtballetten, watet durch farbige Lichttunnel, bodenlos scheinende Spiegelkabinette. Christian Megerts „Spiegelraum“ (1968) verschaffte in der Minirock-Ära freilich noch interessantere Einblicke als heute, alte Fotografien belegen es. Der strapazierte Kommentartopos des „Irritierens“ und „Aufbrechens“ von Sehgewohnheiten – auf die das Auge bis zur Schmerzgrenze reizende Op-Art trifft er zu.


Glaube an Technik und Wissenschaft

Ähnlich wie die Ästhetik der Hippie-Ära, die 2006 in der Schirn mit der „Summer-of-Love“-Schau gefeiert wurde, versetzt auch die Op-Art in leichte Trance. Ihre Protagonisten waren indes so gar keine Romantiker. Sie huldigten der Technik, suchten den Schulterschluss mit der Wissenschaft. Vom Selbstverständnis sind sie der heutigen Design- und Kreativindustrieelite verwandt. Kunsthistoriker Werner Spies über die „omnipotente Präsenz“ von Op-Art-Mastermind Vasarely: „In seinem großen, wie ein Laboratorium organisierten Atelier in Annet-sur-Marne gaben sich die illustren Besucher die Türklinke in die Hand. Kybernetik, Computer gehörten zum ständigen Vokabular. Im Studio war von Recherche und Prototypen die Rede, hier kam es zu aufregenden Diskussionen, zu denen Mathematiker, Physiker, Ärzte, Politiker und Verhaltensforscher mehr beisteuerten als die Exegeten der Kunst.“

Fortschrittsglaube verband sich – wie einst beim „Bauhaus“ – mit sozialistischen Idealen. „Ich träume von einer sozialen Kunst“, sagte Vasarely schon 1953: „Schluss mit den Mystifikationen!“ Weitere Parolen der Op-Art-Avantgarde: „Der Begriff des originären und inspirierten Künstlers ist ein Anachronismus“; „das beständige, einmalige, endgültige, unersetzbare Werk widerspricht der Entwicklung unseres Zeitalters“. Bilder an Wänden zu fixieren galt als hoffnungslos gestrig. Die Werke der neuen Ära sollten sich bewegen. So ließ Alberto Biasi (Gruppo N, Padua) 1964 in seiner „Strutturazione dinamica“ bunte Scheiben wabern.

Wie alt erscheint doch die Zukunft von gestern! Heute sind die Dynamisierung und Medialisierung des Alltags so weit fortgeschritten, dass die meisten froh sind, wenn wenigstens die Bilder zu Hause stillstehen.

Auf dem Zenit der Op-Art-Welle Mitte der Sechziger wurden die Augen müde. Das Prinzip war als Kunstform ausgereizt, nicht zuletzt, weil es breiten Eingang in die Lebenswelt fand. Die psychedelische Siebzigerjahre-Tapete, bis vor kurzem Inbegriff von Geschmacksentgleisung, ist heute als „Vintage Tapete“ en vogue; Kleider im Geometrie-Stil erleben ihr Revival. Was wäre das Siebziger-Disco-Retro ohne verspiegelte Kugel und Lichtzerhacker? Die künstlerischen Prototypen sind in der Schirn zu bewundern.

Inline Flex[Faktbox] STIL DER SIXTIES: Op-Art

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2007)

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