![Venedig blickt auf die Welt und die Welt auf Venedig. Hier durch die Fenster von Spencer Finch.](00085775-Dateien/fenster_1.jpg)
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Freitag, 03. Juli 2009, 17:24:23 Uhr, NZZ Online
Samuel Herzog
Eine Insel, einsam im südpazifischen Ozean. Grün das Meer, blau der Himmel, perlweiss der Brandungsschaum, ein paar fahrig schwarze Striche die Palmen. Und mittendrin ein Bunker, ein Labor aus Stahlbeton. Im Innern ein Professor, so genial wie verrückt wie ungekämmt, so wie es sein Berufsstand will. Mit einer Pipette verrichtet er Geheimnisvolles an kolbenförmigen Glastanks – wie wir später erfahren, füttert er kleine Welten, die er selbst gezüchtet hat, in sich abgeschlossene Systeme, bewohnt von so etwas wie intelligenten Mikroben. Jede dieser Welten bekommt ihren ganz eigenen Drogencocktail – das hält sie am Leben, und das hält sie vor allem auch im Zaum.
Die Szene aus «Microphobia», einem möglicherweise von der Filmhistorie nicht völlig zu Unrecht vernachlässigten Science-Fiction-Thriller der siebziger Jahre (Dreamport Studios), kommt einem fast notgedrungen in den Sinn, wenn man die 53. Kunstbiennale von Venedig besucht. «Making Worlds, Fare Mondi, Weltenmachen, Faire des Mondes . . . », heisst das Motto, mit dem Kurator Daniel Birnbaum die internationale Ausstellung an der Lagune überschrieben hat. Die These lautet in verkürzter Darstellung ungefähr so, dass ein jedes Kunstwerk seine eigene Welt erschafft – einen kleinen Kosmos, der je nach Hintergrund des Künstlers und des Betrachters etwas anders temperiert ist (deshalb auch die verschiedenen Sprachen, in denen das Wort «Weltenmachen» jeweils eine leicht andere Stimmung erzeugt). So ist es, und also scheint das Motto klug gewählt – ein Thema, eine Einschränkung oder Ausrichtung allerdings generiert es nicht. «Weltenmachen», das kann alles sein oder nichts – doch die eloquente Verweigerung einer thematischen Fokussierung hat bei Biennalen ja Tradition.
Nun, es gibt Arbeiten von gut hundert Künstlern zu sehen, verteilt auf die Räume im Arsenale und im ehemals «italienischen» Pavillon der Giardini. Zu sehen gibt es einen professionell austarierten Mix aus international erprobten, mehrheitlich europäisch-amerikanischen Zeitgenossen der mittleren Generation (Carsten Höller, Ceal Floyer, Dominique Gonzales-Foerster, Rachel und Toba Khedoori, Wolfgang Tilmans, Hans-Peter Feldmann, Tamara Grcic, Philippe Parreno, Simon Starling, Tobias Rehberger usw.), ein paar älteren Herren (Michelangelo Pistoletto, John Baldessari, Cildo Meireles, Gilbert & George) und ein paar prominenten Verblichenen (Öyvind Fahlström, Palermo, Gordon Matta-Clark, André Cadere). Diese Basis wird gewürzt mit ein paar ganz jungen Beiträgen und einem Schuss Weltkunst (Sheela Gowda aus Indien, Huang Yong Ping und Chen Zhen aus China, Paul Chan aus Hongkong – sowie Georges Adéagbo, Moshekwa Langa und Pascale Marthine Tayou, die sich hier mit grosser Auslege- und Assoziationskunst als geistige Bastel-Brüder von Thomas Hirschhorn aus dem schwer verständlichen Afrika präsentieren).
Sicher gibt es grosse Linien in dieser Schau, Bögen, Kurven, Ellipsen – indes drängen sie sich einem nicht wirklich auf. Überhaupt, und das ist vielleicht das Irritierendste beim Spaziergang über das Gelände dieser Weltmacherei, gibt es kaum etwas, das sich einem in den Weg stellt, das sich vor einem aufbläst – kein Sex, kaum Gewalt, nichts Dummes und nichts Schnöselhaftes, keine Peinlichkeiten und keine Privatpassionen. Nicht, dass einem solches unbedingt fehlen würde – aber es irritiert, wenn es nicht da ist, weil es zum Leben gehört wie Verkehrslärm, lautes Gelächter oder unangebrachte Gerüche.
Auf jeden Fall ist «Weltenmachen» alles andere als eine Wunderkammer, in der einer seine Passionen auslebt oder den eigenen Neurosen ein Denkmal setzt, in der Argumente versammelt werden für eine absurde Theorie über die Welt oder gegen den lieben Gott. «Weltenmachen» wirkt eher wie eine gut sortierte Gemeindebibliothek: Bei jedem Buch, das man herauszupft, versteht man sofort, warum es in den Bestand aufgenommen wurde – nur stehlen möchte man keines.
Trotzdem, und jetzt kommt der Satz, auf den man auch als Verfasser immer wartet – man kann seine Entdeckungen machen. Da gibt es zum Beispiel die Figuren aus amerikanischen Comic-Heftchen, die Jan Håfström ausgeschnitten, aufgeblasen und zu neuen Sinnzusammenhängen arrangiert hat: «The Eternal Return». In ihrer bornierten Absurdität ganz wunderbar sind auch die leicht dadaistisch angehauchten Videos des jungen spanischen Duos Bestué/Vives: Wenn sich die zwei in wechselnder Verkleidung als «Mensch», «Pferd» und «Maschine» über einen trüben Parkplatz bewegen, dann glaubt man plötzlich wieder an die grosse Transformationskraft der kleinen Kunst. Schön ist das farbige Fenster von Spencer Finch, witzig der schwabbelnde Baum von Koo Jeong A., aberwitzig das ins Wasser gesetzte Häuschen von Mike Bouchet, irritierend die im Gebüsch versteckte Ecke eines Tennisplatzes von Dominique Gonzales-Foerster.
Eine Art Höhepunkt ist sicher auch die Installation von Nathalie Djurberg im Keller des Padiglione d'Italia, die in jeder Beziehung über jeden Strang schlägt: Mit viel Pappmaché und glitzerndem Acryl hat die Nordländerin hier einen dunkel-farbigen Grusel-Garten eingerichtet, in dem Blumen ausbluten und Frösche verschleimte Augen exkrementieren. Dazwischen laufen ihre Filme, bringt sie ihren aus bemalter Klebmasse geformten Figuren die brutalsten, instabilsten und absurdesten Seiten des Lebens bei.
«Weltenmachen» ist keine schlechte Ausstellung – wahrscheinlich ist sie genau so, wie sie sein soll. Und wenn man ein wenig enttäuscht ist, dann liegt das vielleicht auch an den eigenen Erwartungen, am eigenen Blick, am eigenen Kopf, der zu wenig einfühlsam, zu wenig lustvoll, zu wenig experimentierfreudig an die Dinge herangeht. Denn zweifellos ist echte Aufmerksamkeit eine der Drogen, die Kunst am Leben hält – und die Diskurse, mit denen diese Aufmerksamkeiten geweckt und gesteuert werden, halten alles in Anstand und Zaum.
In «Microphobia» muss der Professor eines Tages eine Reise antreten, um neue Mittel für seine Forschungen zu generieren. Minuziös erklärt er seinem Assistenten die Einzelheiten der Welten-Fütterung. Natürlich wird der junge Mann dann bei der Arbeit von einer Inselschönheit abgelenkt, bringt prompt die Pipetten durcheinander, und schon entwickeln sich die Dinge anders, als sie sollten. Im Film führt das selbstverständlich an den Rand einer die ganze Welt bedrohenden Katastrophe. Und doch ist es vielleicht genau das, was man sich von dieser Biennale immer wieder erhofft: dass sie einmal nicht so sei, wie sie eigentlich sein sollte.