Salzburger Nachrichten am 9. März 2006 - Bereich: Kultur
Der Verletzung ins Gesicht sehen "Face It": Ab Freitag
widmet das Linzer Kunstmuseum Lentos Gottfried Helnwein die erste
umfassende Retrospektive in Österreich seit mehr als 20 Jahren.
CLEMENS PANAGLLINZ (SN). Das Etikett des "Schockmalers" haftet noch
immer fest an Gottfried Helnwein. Auch wenn es 30 Jahre her ist, seit der
Wiener Künstler mit seinen Illustrationen verletzter, deformierter und
bandagierter Menschengestalten im Nachrichtenmagazin "profil" erstmals
einer breiten Öffentlichkeit einen Schrecken einjagen konnte - Helnwein
sei nicht zuletzt als Provokateur "im kollektiven Gedächtnis Österreichs
gespeichert", erklärte Lentos-Leiterin Stella Rollig am Mittwoch. Mit einer umfassenden Schau will das Linzer Kunstmuseum nun ab Freitag
eine neue Betrachtung des Helnwein-Œuvres möglich machen. Das
Lentos widmet Gottfried Helnwein unter dem Titel "Face It" die erste große
Retrospektive seiner Werke in Österreich seit mehr als 20 Jahren. Mit der Ausstellung, in der 40 Werke des Hyperrealisten aus drei
Jahrzehnten zu sehen sind, sei "ein großer Coup" gelungen, sagte die
Leiterin des Museums, das im Herbst wegen schwindender Besucherzahlen für
Debatten gesorgt hatte. Auch der Zeitpunkt für eine Neubewertung sei gut
gewählt: Einerseits sei in der Kunstwelt ein wieder erwachtes, "starkes
Interesse an politischen Statements" zu verzeichnen, zugleich passiere ein
"visual turn", eine "Rückkehr zur Auseinandersetzung mit dem Bild an
sich". Deformation, Verletzung, Missbrauch - Helnweins zentrale Themen
spiegeln sich in den meisten der groß dimensionierten Bilder, von Arbeiten
wie "Der Eingriff" (1971) über die Selbstdarstellungen des bandagierten
oder von medizinischen Instrumenten malträtierten Künstlerkopfes in den
Fotografien "Glückspilz" und "The Last Days of Pompeij" (beide 1987), bis
zu der Serie "Sleeping Angels" aus den 90er Jahren, Bildern in
fotografisch-malerischer Mischtechnik, die leblose Kindergesichter
zeigen.Verletzte Gestalten, zerschnittene Bilder Als künstlerischer
Schocker hat sich Helnwein indes selbst nie gesehen. Das Thema der Gewalt
gegen Schwächere habe ihn seit jeher so stark beschäftigt, "dass ich keine
Ahnung hatte, wie ich darauf reagieren kann". Mit seinen Bildern habe er
zunächst "auch gar nicht beschlossen, Künstler zu werden, sondern mich dem
Thema zu stellen. Schockiert war ich anfangs, dass jemand diese Bilder
kaufen wollte". Verletzungen waren bei den ersten Ausstellungen auch Helnweins Bilder
selbst ausgesetzt: "Manche Werke wurden zerschnitten und zerstört - aber
die Reaktionen des Publikums sind immer ein wesentlicher Bestandteil des
Werkes." Weniger explizite, wenngleich nicht weniger plakative
Darstellungsweisen hat Helnwein, der "Comics, das triste Nachkriegs-Wien
und die katholische Kirche mit ihrer Ikonografie des Leidens und der Idee
der Erlösung durch Schmerz" als künstlerische Beeinflussungen nennt, in
seinen jüngsten Arbeiten gewählt. In Bildern wie "Der Schwur" (2000) oder
"Epiphany" inszeniert Helnwein großformatige Bedrohungsszenarien, indem er
Bildelemente des Nationalsozialismus zitiert und verfremdet einsetzt. Zu Helnweins jüngsten Projekten zählte auch das Bühnenbild für
Maximilian Schells Inszenierung des "Rosenkavaliers" in Los Angeles im
Vorjahr. Seinen Hauptwohnsitz hat der Globetrotter von seinem langjährigen
Lebensmittelpunkt L. A. mittlerweile nach Irland verlegt. Nirgendwo als in
L. A. werde deutlicher, "dass die westliche Welt in ihrer Dekadenz
untergeht, dass Rom ein zweites Mal fällt", erklärt Helnwein seine dennoch
andauernde Faszination für die Stadt, und nirgendwo liege "Kitsch und
Independent-Kunst näher beisammen". Apropos: Auch vier Porträts des US-Schockrockers Marilyn Manson sind in
der Schau "Face It" zu sehen. Der Seelenfreund des Wiener Künstlers habe
ihm einmal offenbart, dass er schon seit seinem 13. Lebensjahr ein
Helnwein-Verehrer sei - als er zum ersten Mal ein von Helnwein gestaltetes
Schallplattencover der "Scorpions" in den Händen hielt."Gottfried Helnwein
- Face It", 10. März bis 5. Juni 2006; tgl. außer Di. 10-18 Uhr, Do. 10-22
Uhr; www.lentos.at |