Der Reichstag war eine AusnahmeChristo und Jeanne-Claude wollen nicht als "Verpackungskünstler" gelten. Heute feiern sie beide ihren 70. GeburtstagVielleicht gibt es kein Schicksal. Und jede Begegnung zwischen zwei
Menschen läßt sich als Folge alltäglicher, auch geschichtlicher Ereignisse
erklären. Möglicherweise sogar berechnen. Dann wäre die fast märchenhafte
Begegnung zwischen Christo und seiner Frau Jeanne-Claude nichts weiter als
die Folge der Flucht des Christo Vladimorov Javacheff vor dem bulgarischen
Regime, die ihn erst nach Wien und dann nach Paris führte, wo er
Jeanne-Claude Denat de Guillebon kennen lernte. Und daß sie beide am 13.
Juni 1935 geboren wurden, wäre nichts weiter als eine statistisch längst
erfaßte Möglichkeit. Woran man auch glaubt, heute feiert das berühmteste lebende
Künstlerpaar seinen 70. Geburtstag. Gemeinsam natürlich, es sei denn, sie
müssen fliegen. Das tun sie nur in getrennten Flugzeugen, wegen der
Absturzgefahr. "Einer muß übrig bleiben", sagt Jeanne-Claude. Einer muß
die Träume wahr werden lassen. Die Träume von verpackten Brücken (Pont
Neuf 1985), Gebäuden (Kunsthalle Bern 1968, Berliner Reichstag 1995), von
verhüllten Wegen (Kansas City 1978), Bäumen (Basel 1998) und Tüchern im
Wind (The Gates 2005). Über die Symbiose des sehr schüchtern wirkenden Künstlers und seiner
Managerin haben viele gewitzelt. Zu präsent ist die Frau an der Seite des
Künstlers, zu rot ihre Haare, zu selten kommt der Künstler selbst zu Wort.
Doch Christo und Jeanne-Claude haben die ignoranten Lächler besiegt, ihre
Namen zu einer untrennbaren Einheit gemacht und gemeinsam die Träume
Christos verwirklicht. Sie sind zusammen alt und berühmt geworden. Welches
Ehepaar kann das schon von sich sagen? Zwei Leben für die Bilder im Kopf. Zwei Leben für die Kunst. Selten
läßt sich dieser Satz mit so gutem Gewissen sagen, wie bei Christo und
Jeanne-Claude. Man kann das Paar für seine Ideen bewundern, man kann sie banal finden,
obwohl das angesichts ihrer poetischen, beeindruckend sinnlichen,
massenwirksamen Projekte mit den Jahren immer schwieriger geworden ist.
Für ihre Konsequenz aber muß man ihnen zu Füßen liegen. 24 Jahre haben
sie die Verhüllung des Berliner Reichstags geplant, 26 Jahre lagen
zwischen der Idee, den Central Park in New York mit wehenden Stoffbahnen
zu schmücken und dem wunderbaren, vergänglichen Moment, den das Kunstwerk
in diesem Winter existierte. Christo und Jeanne-Claude haben nie aufgegeben und sich niemals
verkauft. Ihre Träume, die ihre Projekte wurden, haben sie immer selbst
mit dem Verkauf von Christos Grafiken und Zeichnungen finanziert. Keine
Sponsoren, keine finanziellen Kompromisse. Absolute Unabhängigkeit. Dabei
hätten sie richtig reich werden können, hätten mehr als gute Geschäfte mit
ihrer Kunst machen können. Doch sie haben immer darauf verzichtet. Auch
kürzlich, als ihnen ein cleverer Finanzjongleur anbot, die 7500 Tore aus
dem Central Park für 50 Millionen Dollar zu kaufen. Insofern sind sie nicht nur die konsequentesten und geduldigsten
sondern auch die saubersten Künstler. Ihre Projekte, oder deren Relikte,
werden keine Museen vermüllen, sie werden nur in den Erinnerungen weiter
existieren - wie alle erfüllten Träume. Natürlich arbeiten sie weiter: Christo 17 Stunden am Tag, sieben Tage
die Woche, ohne jemals Urlaub zu machen und Jeanne-Claude, 13 Stunden
täglich, wie sie auf ihrer Internetseite (http://www.christojeanneclaude.net/) verkünden. Als
nächstes planen sie, den Arkansas in Colorado mit hellen, durchscheinenden
Stoffbahnen für zwei Wochen zu überdecken. Die Idee ist gezeichnet, die
Konstruktion entworfen, nur der Termin steht noch nicht fest. Eine Ära geht zu Ende. Das sagt man nicht gern anläßlich des 70.
Geburtstages eines Künstlerpaares. Doch die größten, publikumswirksamsten
Projekte sind realisiert, die meisten Ideen verwirklicht. Nur eines gibt
es noch zu erledigen: Christo und Jeanne-Claude müssen sich vom "total
idiotischen" Verpackungskünstler-Label befreien, wie sie selbst sagen. Die
einzigen Gebäude, die sie verpackt ("wrapped") haben, waren die Kunsthalle
in Bern (1968), das Museum für zeitgenössische Kunst in Chicago (1969) und
der Berliner Reichstag (1995). Doch das wird wahrscheinlich das Einzige sein, was ihnen in ihrem Leben
nicht gelingen wird. Längst ist das kunstvolle Verpacken und Verschnüren
zum Synonym für die Künstler geworden. Artikel erschienen am Mo, 13. Juni 2005 |
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