Sein Credo war Ursprünglichkeit

Im Gedenken an Friedensreich Hundertwasser hat Künstlerkollege Ernst Fuchs der APA einen Nachruf für den am Samstag im Alter von 71 Jahren verstorbenen lebenslangen Freund übermittelt. Der Text repräsentiert die Meinung des Autors.


Seit den ersten Jahren nach dem Krieg, Ende 1947-48, kannte ich ihn, und es verband uns eine lebenslange Freundschaft. Zusammen mit Hubert Aratym (Anm.: am Dienstag verstorben) waren wir die ersten Emigranten in Paris 1949. Fritz Stowasser änderte seinen Namen - er deutete ihn, indem er sich Hundertwasser nannte, später auch Friedensreich anstatt des "preußischen" Fritz.

Von Anfang an war er inspiriert von der Kunst Schieles und Paul Klees. Er liebte das Naive, die Zeichnungen der Kinder noch ehe sie "abzeichnen". Seine Vorliebe galt der Ornament-Kunst des Nahen Ostens und der Naturvölker im Allgemeinen. Diese Länder und Kultur faszinierten ihn. Er hörte am liebsten die Musik Arabiens. Ein wissenschaftlich Gebildeter, vor allem im Bereich der Botanik und Ökologie.

Im übrigen war ihm das intellektuelle Getue um die Kunst ein Greuel. Ursprünglichkeit, individuelle Selbstverwirklichung waren sein Credo - seine Religion. Die Erde, das Paradies, das es wieder zu entdecken galt, und das er im Bereich seiner Möglichkeiten erhalten wollte. Seine Kinder, das waren die zahllosen Bäume, die er pflanzte und deren Leben er schützte, indem er sie so manchem Bauern, der "Abholzen" wollte, abkaufte. Wasser war ein göttliches Element, der Geist des Paradieses. Hundertwasser glich einem uralten Gnostiker aus der Schule der Manichäer. Sein Lob galt den Menschen, die den Mut hatten, Konventionen zu verlassen und sich der persönlichen, schöpferischen Selbstbestimmung hinzugeben. Jeder Mensch sollte seinen Lebensraum selbst gestalten. So lebte er einfach, schlicht, im "Selbstgemachten". Sein Bett - eine Matratze am Boden ausgerollt. Bunte Flickwerk-Decken, von Bildern, Postkarten, Andenken umgeben im schöpferischen Chaos, das eine faszinierende Heimeligkeit vermittelte, wo immer er sein Quartier hatte.

Wir bewohnten, gemeinsam mit Rene Bro, dem er anfangs auch stilistisch einiges verdankte, eine kleine ebenerdige Werkstatt an der Porte de Charenton am Rande von Paris in äußerst ärmlichen Verhältnissen. Bescheidenheit war das Gebot, dem er sein Leben lang treu blieb. Kunst sollte vor allem den Lebensraum der Menschen verändern und bereichern. Lange vor allen "Grünbewegungen", schon Anfang der Fünfziger Jahre, war er ein Prophet dieser Weltanschauung.

Sein Wesen war poetisch, sanftmütig, doch als Verfechter seiner Naturphilosophie, die vor allem seinen eigensten Empfindungen und Bedenken entstammte, kannte er keine Gnade. Er hasste die Quadratur der modernen Lebensgefängnisse, auch wenn er sich in späteren Jahren so manchen Zwängen der Bauordnungsgesetze beugen musste, um überhaupt einen Ansatzpunkt für seine "Lebensraum-Gestaltungsvorschläge" verwirklichen zu können.

Erst diese Facette seiner vielfältigen und eigenartigen Begabung haben einer breiten Öffentlichkeit die Bedeutung seiner Kunst vor Augen geführt und seinen Weltruhm begründet. Er war - so wie ich - überzeugt (von Anfang an), dass das Staffeleibild (an der Wand als Schmuck- oder Sammelstück) nur eine Keimzelle der Weltveränderung im Sinne einer schöpferisch tätigen Menschheit sein könne.

Doch sind auch heute noch seine Ideen den Menschen ein "Querdenken", das zu bedenken vielen nicht der Mühe wert erscheint. Das beste Beispiel ist sein Humusclo. Er verabscheute die Verunreinigung des Wasers (wie die Manichäer hielt er das klare Wasser gleich einer Gottheit). Wasser und Humus könnten das ökologische Gleichgewicht auf unserem Planeten wiederherstellen.

Dies war in Kürze seine Weltanschauung: Zurück zu den Wurzeln - zum schöpferischen Wesen, von der Kindheit her.

Den meisten Menschen erschien er als Sonderling - ein einsamer Rufer in der technokratischen Wüste.

Wissend, dass es keinen Weg zurück gab - zumindest in dieser seiner Gegenwart, wurde er nicht müde, den scheinbaren "Fortschritt" in Frage zu stellen. Wir trafen uns alljährlich, denn er kam nur selten nach Wien, lebte zurückgezogen in seinem "Paradies" auf Neuseeland. Kein Zufall, dass gerade in der Zeit seines Ablebens die schweren Bedenken, die er gegen das "vereinte" Europa hatte, sich bewahrheiten sollten. Er ahnte, dass die Individualität der Völker, der Mangel einer gemeinsamen Sprache, faschistoide Methoden der Herrschaft erwecken würden - Links- und Rechtsimperialisten einem Euro-Faschismus entgegenstrebten.

Er war kein Freund der Massenhysterie von Mehrzahl-Ja-Sagern, wie alle Künstler, die so wie er als Jüngling den Einmarsch Hitlers in Österreich erlebt hatten. Er blieb skeptisch, wo immer er Gewaltherrschaft witterte. Ob Israelis oder Palästinenser - wo immer kriegerische Auseinandersetzungen sich breit machten, wo schöpferisches Wirken zum Wohle der Menschheit in Gefahr waren, stellt er seinen Namen wie ein Schild dazwischen: Friedensreich.

Radio …sterreich 1