Seit den ersten Jahren nach dem Krieg,
Ende 1947-48, kannte ich ihn, und es verband uns eine lebenslange
Freundschaft. Zusammen mit Hubert Aratym (Anm.: am Dienstag verstorben)
waren wir die ersten Emigranten in Paris 1949. Fritz Stowasser änderte
seinen Namen - er deutete ihn, indem er sich Hundertwasser nannte, später
auch Friedensreich anstatt des "preußischen" Fritz.
Von Anfang an war er inspiriert von der Kunst Schieles und Paul Klees.
Er liebte das Naive, die Zeichnungen der Kinder noch ehe sie "abzeichnen".
Seine Vorliebe galt der Ornament-Kunst des Nahen Ostens und der
Naturvölker im Allgemeinen. Diese Länder und Kultur faszinierten ihn. Er
hörte am liebsten die Musik Arabiens. Ein wissenschaftlich Gebildeter, vor
allem im Bereich der Botanik und Ökologie.
Im übrigen war ihm das intellektuelle Getue um die Kunst ein Greuel.
Ursprünglichkeit, individuelle Selbstverwirklichung waren sein Credo -
seine Religion. Die Erde, das Paradies, das es wieder zu entdecken galt,
und das er im Bereich seiner Möglichkeiten erhalten wollte. Seine Kinder,
das waren die zahllosen Bäume, die er pflanzte und deren Leben er
schützte, indem er sie so manchem Bauern, der "Abholzen" wollte, abkaufte.
Wasser war ein göttliches Element, der Geist des Paradieses. Hundertwasser
glich einem uralten Gnostiker aus der Schule der Manichäer. Sein Lob galt
den Menschen, die den Mut hatten, Konventionen zu verlassen und sich der
persönlichen, schöpferischen Selbstbestimmung hinzugeben. Jeder Mensch
sollte seinen Lebensraum selbst gestalten. So lebte er einfach, schlicht,
im "Selbstgemachten". Sein Bett - eine Matratze am Boden ausgerollt. Bunte
Flickwerk-Decken, von Bildern, Postkarten, Andenken umgeben im
schöpferischen Chaos, das eine faszinierende Heimeligkeit vermittelte, wo
immer er sein Quartier hatte.
Wir bewohnten, gemeinsam mit Rene Bro, dem er anfangs auch stilistisch
einiges verdankte, eine kleine ebenerdige Werkstatt an der Porte de
Charenton am Rande von Paris in äußerst ärmlichen Verhältnissen.
Bescheidenheit war das Gebot, dem er sein Leben lang treu blieb. Kunst
sollte vor allem den Lebensraum der Menschen verändern und bereichern.
Lange vor allen "Grünbewegungen", schon Anfang der Fünfziger Jahre, war er
ein Prophet dieser Weltanschauung.
Sein Wesen war poetisch, sanftmütig, doch als Verfechter seiner
Naturphilosophie, die vor allem seinen eigensten Empfindungen und Bedenken
entstammte, kannte er keine Gnade. Er hasste die Quadratur der modernen
Lebensgefängnisse, auch wenn er sich in späteren Jahren so manchen Zwängen
der Bauordnungsgesetze beugen musste, um überhaupt einen Ansatzpunkt für
seine "Lebensraum-Gestaltungsvorschläge" verwirklichen zu können.
Erst diese Facette seiner vielfältigen und eigenartigen Begabung haben
einer breiten Öffentlichkeit die Bedeutung seiner Kunst vor Augen geführt
und seinen Weltruhm begründet. Er war - so wie ich - überzeugt (von Anfang
an), dass das Staffeleibild (an der Wand als Schmuck- oder Sammelstück)
nur eine Keimzelle der Weltveränderung im Sinne einer schöpferisch tätigen
Menschheit sein könne.
Doch sind auch heute noch seine Ideen den Menschen ein "Querdenken",
das zu bedenken vielen nicht der Mühe wert erscheint. Das beste Beispiel
ist sein Humusclo. Er verabscheute die Verunreinigung des Wasers (wie die
Manichäer hielt er das klare Wasser gleich einer Gottheit). Wasser und
Humus könnten das ökologische Gleichgewicht auf unserem Planeten
wiederherstellen.
Dies war in Kürze seine Weltanschauung: Zurück zu den Wurzeln - zum
schöpferischen Wesen, von der Kindheit her.
Den meisten Menschen erschien er als Sonderling - ein einsamer Rufer in
der technokratischen Wüste.
Wissend, dass es keinen Weg zurück gab - zumindest in dieser seiner
Gegenwart, wurde er nicht müde, den scheinbaren "Fortschritt" in Frage zu
stellen. Wir trafen uns alljährlich, denn er kam nur selten nach Wien,
lebte zurückgezogen in seinem "Paradies" auf Neuseeland. Kein Zufall, dass
gerade in der Zeit seines Ablebens die schweren Bedenken, die er gegen das
"vereinte" Europa hatte, sich bewahrheiten sollten. Er ahnte, dass die
Individualität der Völker, der Mangel einer gemeinsamen Sprache,
faschistoide Methoden der Herrschaft erwecken würden - Links- und
Rechtsimperialisten einem Euro-Faschismus entgegenstrebten.
Er war kein Freund der Massenhysterie von Mehrzahl-Ja-Sagern, wie alle
Künstler, die so wie er als Jüngling den Einmarsch Hitlers in Österreich
erlebt hatten. Er blieb skeptisch, wo immer er Gewaltherrschaft witterte.
Ob Israelis oder Palästinenser - wo immer kriegerische
Auseinandersetzungen sich breit machten, wo schöpferisches Wirken zum
Wohle der Menschheit in Gefahr waren, stellt er seinen Namen wie ein
Schild dazwischen: Friedensreich.