01.07.2003 13:51
Referenz an die 60er Jahre
Retrospektive "Marcel Broodthaers" in der Kunsthalle Wien - Foto
Wien - Nach Samuel Beckett, Bruce Nauman und Robert Smithson
widmet sich die Kunsthalle Wien wieder einer "Referenzfigur der sechziger
Jahre". "Marcel Broodthaers" ist die erste Schau in Österreich, die das
vielseitige Werk des relativ unbekannten Belgiers (1924 - 1976) präsentiert.
Erst mit vierzig Jahren entschied sich der bis dahin als Autor und Journalist
tätige Broodthaers, bewusst Kunst zu machen. Eines seiner Hauptthemen war die
Entlarvung des Kunstbetriebes durch Ironie (2. Juli bis 26. Oktober).
"Er
gehört zu jenen Künstlern dieser Zeit, die auch heute noch großen Einfluss auf
die jungen Kunstschaffenden haben", so Direktor Matt. Broodthaers Eintritt in
den Kunstbetrieb war strategisch geplant und Resultat seiner Reflexion über die
Kunstszene.
"Auch ich habe mich gefragt, ob ich nicht etwas verkaufen
und im Leben Erfolg haben könnte...Schließlich kam mir die Idee in den Sinn,
etwas Unaufrichtiges zu erfinden..." verkündete er auf der Einladungskarte zu
seiner ersten Ausstellung 1964. Das zentrale Objekt dieser Schau war eine
"Recycling-Skulptur": fünfzig in Gips gegossene, unverkaufte Exemplare seines
Gedichtbandes "Pense-Bete".
Politique magique
Broodthaers
entwarf seine Vision der "Politique magique, die über das Wagnis der Fiktion die
Realität zu erfassen versucht", wie es im Pressetext heißt. Vom Strukturalismus
beeinflusst, wechselte er zwischen Medien Film, Fotografie, Druckgrafik, Texte,
und der formelle Aspekt seiner Arbeit, das Material, war ihm mindestens so
wichtig wie der Inhalt. In der Schau wird besonders auf zwei thematische
Bereiche eingegangen: die Reise und der Kunstbetrieb. Im Objekt "Un jardin
d'hiver" kommt der Zimmerpalme eine zentrale Bedeutung zu, die als "Inkunabel
einer domestizierten Exotik", so Matt, im Museum endgelagert wird. "Musee d'Art
Moderne á Vendre - Pour Cause de Faillité" bietet ein Museum wegen Konkurs
ironisch zum Verkauf an.
Komplexe Wirklichkeit
Dieses
fiktive Museum hatte Broodthaers 1968 in seiner Brüsseler Wohnung gegründet, mit
sich selbst in der Rolle des Direktors. Er wollte damit exemplarisch zeigen, wie
rund um eine Behauptung komplexe Wirklichkeit entsteht. Damit stellte er die
Rolle des Museums als künstlerische Wertschöpfungsmaschinerie in Frage. In der
aktuellen Ausstellung, kuratiert von Sabine Folie und Gabriele Mackert, wird
versucht, "einzelne Arbeiten in neuen Bedeutungszusammenhängen zu präsentieren",
so Matt.
Die ebenfalls auf der Pressekonferenz anwesende Witwe
Broodthaers', Maria Gilissen, zeigte sich sehr erfreut über die Möglichkeit, das
Werk ihres lang verstorbenen Mannes "ausgerechnet in Wien, das ich immer als
besonders spannend empfunden habe", zeigen zu können. "Ich war ein ganz junges
Mädchen aus einem kleinen Dorf, und er hat mir physisch und psychisch das Leben
gerettet", sagte sie.
(APA)