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Am Kirchplatz spielt die Blasmusik, Gläser mit Sekt
werden gereicht, Reden geschwungen. Die Stimmung ist trotz der Kälte an
diesem windigen Oktobernachmittag prächtig. Die Honoratioren sind zugegen
und werden applaudiert, Herr Landrat, Herr Kommerzialrat, auch der Pfarrer
läßt sich sehen und macht gute Miene. Dann geht die kleine Zeremonie über
in eine lose Prozession durchs Dorf, die Blasmusik spielt einen Marsch
nach dem anderen und führt von Station zu Station. Und bei jedem Halt
werden die Versammelten neuerlich bewirtet: Schnäpse hier, Most und Brote
dort. Welches Fest wird begangen, was wird da gefeiert? Nicht einer der
üblichen Anlässe aber ist der Grund für die fröhliche Zusammenkunft,
sondern ein Kunstprojekt wird vorgestellt, das scheints auf sehr
freundliche Aufnahme stößt. Warum dieser Einklang, woher diese, wie jeder
weiß, seltene Umarmung der Kunst durch eine ländliche Gemeinde? - frägt
sich der hinzugekommene Gast, der mit einer Handvoll anderer
ambitionierter Besucher eigens den weiten Weg aus Wien ins
niederösterreiche Reinsberg gemacht hat.
Eine der Ursachen für die
positive Akzeptanz lag wohl an der grundsätzlichen Haltung, mit der Iris
Andraschek und Hubert Lobnig, die beide dann auch mit künstlerischen
Beiträgen dabei waren, die Aktion angelegt und ausgerichtet hatten. Im
Unterschied zu vergleichbaren temporären Gruppenprojekten auf dem Land -
wie vor kurzem etwa im Rahmen des Steirischen Herbsts, wo die Künstler aus
der Stadt eine mögliche Provokation erhofften, eine "Reibung, die im
urbanen Raum längst verloren gegangen ist" (so der Kommentar einer
Beteiligten) -, wurde hier dezidiert auf Konsens, auf ein Miteinander, ein
Mittun der Leute vor Ort gesetzt. "Gemeinsame Sache" war denn auch das
Motto des Experiments, das die Frage nach dem Für wen?, die für jede Kunst
im öffentlichen Raum wesentliche, häufig aber auch prekäre Frage nach
ihren Rezipienten, zu allererst im Auge hatte. Das Projekt wurde gestartet
im Bewußtsein darüber, daß hier, mehr als dies je in einer städtischen
Situation der Fall ist, die künstlerische Arbeit sich einem ganz präzise
abgegrenzten Publikum präsentiert. Und man war offenbar von Anfang an
darum bemüht, den Menschen der kleinen Gemeinde, bei denen eine auch nur
vage Kenntnis zeitgenössischer Kunst kaum zu erwarten war, nicht einfach
zu servieren, was höchstens Befremden und Unverständnis auslösen
würde.
Für die sieben KünstlerInnen bedeutete diese konzeptuelle
Entscheidung allerdings eine gehörige Steigerung des zeitlichen Aufwands,
der bei manchen - selbst für kulturell Arbeitende, denen mitunter eine
gewisse Selbstausbeutung vertraut ist - ein unübliches Maß an Idealismus
zur Voraussetzung hatte. Iris Andraschek zum Beispiel nahm wochenlang in
Reinsberg Quartier, um zusammen mit Familienmitgliedern einiger Bauernhöfe
eine Fotoserie zum Thema Lebensmittel, Nahrung etc. zu erstellen. Am Ende
wurden die Bilder zu mehreren schmalen Büchern, einer Art Fotoroman,
verknüpft. Einige ausgesuchte Fotos wurden, bearbeitet und vergrößert, im
Dorf an Hausmauern, Schuppen o.ä. angeschlagen. Besonders diese
veröffentlichten Bilder machten die künstlerische Position anschaulich,
aus der heraus vorgegangen worden war - und vermittelten zudem, daß der
Einsatz sich bezahlt gemacht hat. Nicht ein Störfaktor sollte der
ländlichen Konvention entgegengesetzt, sondern zunächst eine Einbindung
vorgenommen werden. Aus der Distanz, beim Schlendern durchs Dorf, fielen
auf den ersten Blick die Fotos gar nicht weiter auf, so bedacht waren das
Format der Abzüge und ihre Plazierung im Ortsbild gewählt. Erst beim
Nähertreten zeigte sich, daß hier, hinsichtlich der Sujets wie auch der
Form der Präsentation, eine höchst ungewöhnliche Art des öffentlichen
Bildes inszeniert wurde. Gerade den ortsansässigen Betrachtern, deren
soziale Wirklichkeit ansonsten meist nur stereotyp verzerrt, als
Werbeklischee von der bäuerlichen Welt, gesellschaftlich verhandelt wird,
offerierte sich eine neue poetische Reflexion über die eigenen
Lebensumstände.
Auch die Videoarbeiten von Moira Zoitl orientierten
sich an den potentiellen Bedürfnissen oder Interessen der Anwohner. Zoitl
lieferte unter anderem ein sehenswertes, professionell geführtes Feature
über Geschichte und Status quo der Raiffeisen-Organisation, einer nach wie
vor den landwirtschaftlichen Raum ökonomisch dominierenden Größe. In den
letzen Jahren machte ja bekanntlich das Ideologem von einer brauchbaren
oder nützlichen Kunst in Teilen des Kunstmilieus wieder von sich reden,
wobei freilich jene Funktion der Dienstleistung nicht selten eher
betriebsintern phantasiert wurde, als daß sie draußen in der sozialen
Realität tatsächlich eingelöst worden wäre. Daß die gut gemeinte
Hinwendung an die Rezipienten auch problematische Effekte mit sich bringen
kann, wurde an einigen anderen Projektbeiträgen deutlich. Unter solchen
Vorgaben scheint für die KünstlerInnen offenbar eine Gefahr zu bestehen,
die eigenen ästhetischen Ansprüche herunter zu setzen. Leo Kandl etwa
stellte eine Gruppe von Fotos aus, die er im Laufe des Sommers in
Reinsberg aufgenommen hatte. Die Bilder, die sich da im Gemeindesaal
aneinanderreihten, zeigten Szenen, wie man sie aus dem Familienalbum kennt
- die Kinder am Küchentisch, Feuerwehrfest usw. -, und sie waren auch
formal in der üblichen Anmutung familiärer Schnappschüsse gehalten.
Abgesehen davon, daß derlei zumindest für jeden Außenstehenden reichlich
langweilig ist, rätselt man, welchen Zweck eine solche Wiederholung oder
Doppelung dessen, was die Leute ohnehin schon haben, erfüllen könnte. Wie
auch immer, den Reinsbergern hat´s gefallen. Das Dorf hat die Gelegenheit
genutzt - es hat sich selbst gefeiert.
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