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  67  Reinsberg: Gemeinsame Sache Martin Strauß  
   
   


Am Kirchplatz spielt die Blasmusik, Gläser mit Sekt werden gereicht, Reden geschwungen. Die Stimmung ist trotz der Kälte an diesem windigen Oktobernachmittag prächtig. Die Honoratioren sind zugegen und werden applaudiert, Herr Landrat, Herr Kommerzialrat, auch der Pfarrer läßt sich sehen und macht gute Miene. Dann geht die kleine Zeremonie über in eine lose Prozession durchs Dorf, die Blasmusik spielt einen Marsch nach dem anderen und führt von Station zu Station. Und bei jedem Halt werden die Versammelten neuerlich bewirtet: Schnäpse hier, Most und Brote dort. Welches Fest wird begangen, was wird da gefeiert? Nicht einer der üblichen Anlässe aber ist der Grund für die fröhliche Zusammenkunft, sondern ein Kunstprojekt wird vorgestellt, das scheints auf sehr freundliche Aufnahme stößt. Warum dieser Einklang, woher diese, wie jeder weiß, seltene Umarmung der Kunst durch eine ländliche Gemeinde? - frägt sich der hinzugekommene Gast, der mit einer Handvoll anderer ambitionierter Besucher eigens den weiten Weg aus Wien ins niederösterreiche Reinsberg gemacht hat.

Eine der Ursachen für die positive Akzeptanz lag wohl an der grundsätzlichen Haltung, mit der Iris Andraschek und Hubert Lobnig, die beide dann auch mit künstlerischen Beiträgen dabei waren, die Aktion angelegt und ausgerichtet hatten. Im Unterschied zu vergleichbaren temporären Gruppenprojekten auf dem Land - wie vor kurzem etwa im Rahmen des Steirischen Herbsts, wo die Künstler aus der Stadt eine mögliche Provokation erhofften, eine "Reibung, die im urbanen Raum längst verloren gegangen ist" (so der Kommentar einer Beteiligten) -, wurde hier dezidiert auf Konsens, auf ein Miteinander, ein Mittun der Leute vor Ort gesetzt. "Gemeinsame Sache" war denn auch das Motto des Experiments, das die Frage nach dem Für wen?, die für jede Kunst im öffentlichen Raum wesentliche, häufig aber auch prekäre Frage nach ihren Rezipienten, zu allererst im Auge hatte. Das Projekt wurde gestartet im Bewußtsein darüber, daß hier, mehr als dies je in einer städtischen Situation der Fall ist, die künstlerische Arbeit sich einem ganz präzise abgegrenzten Publikum präsentiert. Und man war offenbar von Anfang an darum bemüht, den Menschen der kleinen Gemeinde, bei denen eine auch nur vage Kenntnis zeitgenössischer Kunst kaum zu erwarten war, nicht einfach zu servieren, was höchstens Befremden und Unverständnis auslösen würde.

Für die sieben KünstlerInnen bedeutete diese konzeptuelle Entscheidung allerdings eine gehörige Steigerung des zeitlichen Aufwands, der bei manchen - selbst für kulturell Arbeitende, denen mitunter eine gewisse Selbstausbeutung vertraut ist - ein unübliches Maß an Idealismus zur Voraussetzung hatte. Iris Andraschek zum Beispiel nahm wochenlang in Reinsberg Quartier, um zusammen mit Familienmitgliedern einiger Bauernhöfe eine Fotoserie zum Thema Lebensmittel, Nahrung etc. zu erstellen. Am Ende wurden die Bilder zu mehreren schmalen Büchern, einer Art Fotoroman, verknüpft. Einige ausgesuchte Fotos wurden, bearbeitet und vergrößert, im Dorf an Hausmauern, Schuppen o.ä. angeschlagen. Besonders diese veröffentlichten Bilder machten die künstlerische Position anschaulich, aus der heraus vorgegangen worden war - und vermittelten zudem, daß der Einsatz sich bezahlt gemacht hat. Nicht ein Störfaktor sollte der ländlichen Konvention entgegengesetzt, sondern zunächst eine Einbindung vorgenommen werden. Aus der Distanz, beim Schlendern durchs Dorf, fielen auf den ersten Blick die Fotos gar nicht weiter auf, so bedacht waren das Format der Abzüge und ihre Plazierung im Ortsbild gewählt. Erst beim Nähertreten zeigte sich, daß hier, hinsichtlich der Sujets wie auch der Form der Präsentation, eine höchst ungewöhnliche Art des öffentlichen Bildes inszeniert wurde. Gerade den ortsansässigen Betrachtern, deren soziale Wirklichkeit ansonsten meist nur stereotyp verzerrt, als Werbeklischee von der bäuerlichen Welt, gesellschaftlich verhandelt wird, offerierte sich eine neue poetische Reflexion über die eigenen Lebensumstände.

Auch die Videoarbeiten von Moira Zoitl orientierten sich an den potentiellen Bedürfnissen oder Interessen der Anwohner. Zoitl lieferte unter anderem ein sehenswertes, professionell geführtes Feature über Geschichte und Status quo der Raiffeisen-Organisation, einer nach wie vor den landwirtschaftlichen Raum ökonomisch dominierenden Größe. In den letzen Jahren machte ja bekanntlich das Ideologem von einer brauchbaren oder nützlichen Kunst in Teilen des Kunstmilieus wieder von sich reden, wobei freilich jene Funktion der Dienstleistung nicht selten eher betriebsintern phantasiert wurde, als daß sie draußen in der sozialen Realität tatsächlich eingelöst worden wäre. Daß die gut gemeinte Hinwendung an die Rezipienten auch problematische Effekte mit sich bringen kann, wurde an einigen anderen Projektbeiträgen deutlich. Unter solchen Vorgaben scheint für die KünstlerInnen offenbar eine Gefahr zu bestehen, die eigenen ästhetischen Ansprüche herunter zu setzen. Leo Kandl etwa stellte eine Gruppe von Fotos aus, die er im Laufe des Sommers in Reinsberg aufgenommen hatte. Die Bilder, die sich da im Gemeindesaal aneinanderreihten, zeigten Szenen, wie man sie aus dem Familienalbum kennt - die Kinder am Küchentisch, Feuerwehrfest usw. -, und sie waren auch formal in der üblichen Anmutung familiärer Schnappschüsse gehalten. Abgesehen davon, daß derlei zumindest für jeden Außenstehenden reichlich langweilig ist, rätselt man, welchen Zweck eine solche Wiederholung oder Doppelung dessen, was die Leute ohnehin schon haben, erfüllen könnte. Wie auch immer, den Reinsbergern hat´s gefallen. Das Dorf hat die Gelegenheit genutzt - es hat sich selbst gefeiert.

 
     

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