Ich wollte eine Welt machen

Kurator Harald Szeemann im Gespräch mit kultur.ORF.at.


Frage: Nach welchen Kriterien haben Sie die Künstler für diese Ausstellung ausgewählt?

Harald Szeemann
Harald Szeemann

Harald Szeemann: Ich habe mich an die geografische Ausdehnung gehalten. Im Grunde genommen gehört ja der Süden Ungarns auch zum Balkan. Aber die Ungarn haben dann protestiert. Auch ein paar Künstler aus Ljubljana und einer aus Zagreb fanden, sie möchten nicht in einer geopolitischen Ausstellung teilnehmen. Ich habe dann gesagt: Es gibt keine geopolitische Ausstellung. Es gibt ein lustvolles Aufzeigen einer Möglichkeit der Kunst in diesen elf Ländern, die man als Balkan oder Südosteuropa bezeichnet.

Frage: Was ist in Ihren Augen das Verbindende dieses geografischen Raumes?

Szeemann: Mich interessieren diese normalen Gruppenausstellungen nicht. Ich habe von Anfang an gesagt, die Ausstellung müsste in Wien beginnen, weil ja große Teile zu Österreich-Ungarn gehört haben und weil Wien immer sehr rezeptiv gewesen ist für meine Art des Assoziierens. Auch die Fragen, die hier vor einer Ausstellung gefragt werden, sind vollkommen anders als in Westeuropa.

Bis Wien wieder "flashy" wurde und in Mode kam, war das ja für uns der "Osten". Die Wiener Aktionisten in ihrer Frühphase, das war eine Kunst aus dem Osten. Erst als die Möglichkeit kam, einen Titel zu haben wie "Blut und Honig" - und nicht etwa "30 Künstler aus dem Balkan" -, gab es die Dramatik, die ich suchte. Ich habe mich einerseits bemüht, ganz extreme Positionen reinzunehmen und sie auf der anderen Seite über das Medium der Ausstellung zu harmonisieren, damit diese Künstler vom Balkan eine Möglichkeit haben, anders wahrgenommen zu werden.

Ich wollte daher den ganzen Raum des Museums haben. Jetzt kann man so einen Ablauf machen, von der albanischen Ironisierung der eigenen Vergangenheit zu ganz starken künstlerischen Aussagen, die durchaus im westlichen Konzert ihren Platz hätten, dann wieder Entdeckungen aus Moldawien. Ich wollte jetzt nicht eine politische Geschichte hervorkehren. Ich wollte aus diesen 73 Künstlern eine Welt machen.

Frage: Was sehen Sie für Gemeinsamkeiten zwischen den Künstlern dieses Raumes?

Szeemann: Das Gemeinsame ist auch etwas sozial-ökonomisches. Es gibt dort keinen Kunstmarkt, es gibt dort keine Galerien. Infolge dessen sind sie sehr aufeinander angewiesen. Wenn man in einer lokalen, regionalen oder nationalen Situation aufeinander angewiesen ist, dann versucht man, wenn man Künstler ist, an den Grenzen zu rütteln oder an den Tabus, die noch existieren. Das wissen wir ja alle, da gibt's die Orthodoxen und die Moslems, es gibt die Katholiken und so weiter. Wir haben das alles ja auch miterlebt. Die Schweiz ist 1848 zum Bundesstaat geworden, nachdem die letzten Religionskriege waren, das ist auch nicht so weit weg.

Frage: Finden Sie die Kunst dieser Region stärker, als die des Westens?

Szeemann: Ich find's einfach subversiver. Das gibt mir mehr. Ich habe ja immer Kunst gesucht oder Ausstellungen gemacht, wo ich hoffte, dass durch die Assoziation, die ich beim Hängen entwickelt habe, die Leute merken, dass dahinter noch etwas anderes ist. Aber ich kann es nicht verlangen, ich kann es nur hoffen. Natürlich habe ich gesagt: Über die Kunst dieser Gegend will ich, dass diese Ausstellung wieder den Eindruck vermittelt, das ist eine Welt. Mehr kann ich nicht mit meinem Medium.

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