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10.05.2002 - Ausstellung
Rußlands Rembrandt
Ilja Repins soeben hinzugekommenes Gemälde „Wolgatreidler“ ist die Krönung der Schau „Russland – Repin und die Realisten“ in der Kunsthalle Krems. Nicht zuletzt deshalb sollte man sich diese Ausstellung nicht entgehen lassen.
von Johanna Hofleitner


Mit „Rußland – Repin und die Realisten“ landete die Kunsthalle Krems einen veritablen Coup, gibt die Schau doch erstmals in Österreich einen großen Überblick über die Bewegung der „Wanderkünstler“, die zusammen mit dem Französischen Realismus die international bedeutendsten Beiträge zu dieser Richtung lieferte. Führende Persönlichkeit dieser von St. Petersburg ausgehenden Bewegung, deren zentrales Anliegen die Darstellung der „Schönheit in der Wahrheit“ war, war der Maler Ilja Jefremowitsch Repin (1844–1930). Mit dem Monumentalgemälde „Die Wolgatreidler“ schrieb sich der auch als Kritiker engagierte Künstler in die Kunstgeschichte ein.

Mit Verspätung ist das Bild dieser Tage in Krems eingetroffen, nachdem es zuvor noch Herzstück der großen Repin-Personale im Groninger Museum war, wo der Maler bezeichnenderweise als „russischer Rembrandt“ akklamiert wurde. „Mit diesem Bild wird unsere Ausstellung gekrönt“, zeigt sich Direktor Carl Aigner nun glücklich.

Vier Jahre lang hatte Repin an dem Bild gearbeitet. Ausschlaggebend für ihn war der Anblick der Treidler während einer Ausflugsfahrt auf der Wolga 1868. „Monstren!“ rief er. „Wie furchtbar! Wie Vieh sind diese Menschen aneinandergespannt. Ein unglaublicheres Bild kann man sich kaum vorstellen!“ Was ihn zu malen interessierte und wofür er eine Unzahl von Studien anfertigte, war der Ausdruck des Elends und der Qual, der sich in den Gesichtern der elf Treidler widerspiegelte.

Sozialkritik

Die Wolgatreidler waren in der damaligen Kunst ein beliebtes, weil exotisches Thema. So arbeitete Repins Kollege Wereschtschagin an einem ähnlichen Bild – mit dem gravierenden Unterschied, daß er den Kahn von 250 Personen ziehen ließ – was unter damaligen Gesichtspunkten als Fortschritt erachtet wurde –, Repin hingegen von nur elf. Diese Darstellungsweise rief nicht zuletzt den Zorn des Transportministers hervor, der ihn fragte: „Welcher Teufel hat Sie bloß geritten, daß Sie ein derart unsinniges Gemälde malen konnten? Diese vorsintflutliche Beförderungsart wurde doch von mir selbst aus der Welt geschafft.“

Repin ging es allerdings nicht bloß um die Dokumentation, sondern um eine Darstellung und Anprangerung des Elends dieser Menschen. Die Malerei erschien ihm das geeignetste Mittel, diese Kritik auszudrücken. „Unsere Aufgabe ist der Inhalt. Das Gesicht, die Seele des Menschen, das Drama des Lebens, die Eindrücke der Natur, ihr Leben und Sinn, der Atem der Geschichte. Das sind unsere Themen, wie mir scheint. Die Farben aber sind unsere Waffen. Sie sollen unsere Gedanken ausdrücken…“ (Repin an Iwan Kramskoi).

Repins „Wolgatreidler“ rüttelten die Zeitgenossen auf. Die einen verdammten ihn, empfanden sein Werk als „Entweihung der Kunst“. Für die anderen war er der Herold eines neuen, progressiven Umgangs mit Kunst. Mit der Beteiligung der „Wolgatreidler“ an den Weltausstellungen in Wien und Paris gelang Repin der internationale Durchbruch. Zumal in Frankreich stand seine Position nie in Zweifel. In Osteuropa war Repin ebenfalls Teil des Kanons. Im übrigen West- und Mitteleuropa setzt die Rezeption jetzt erst ein.

Kunsthalle Krems: „Russland – Repin und die Realisten“, bis 7. 6. „Paul Klee – Meisterwerke der Sammlung Djerassi“, 16. 6.–29. 9. Info: 02732/90 80 10; http://www.kunsthalle.at/



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