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27. Oktober 2008
17:35 MEZ

Bis 30. August 2009

 

Geschaffen, um jüdische Spuren zu verwischen: "Pièta von Salmdorf" , 1340.


Kinderblut für Propagandamühlen
Kunst, Denunziation: Die Schau "Stadt ohne Juden"- Eine "wechselvolle" Geschichte der Not, die in Wahrheit von der Entmündigung der Opfer handelt

Der großteils gläserne Kubus auf dem Münchner St.-Jakobs-Platz birgt mehr Fragen, als seine reich beschriftete Fassade vermuten lässt. Die Geschichte der Juden in München gleicht nämlich einem zerstörten, unzusammenhängenden Schriftband.

Als die Väter der Isar-Metropole ihre Kulturverwalter einbestellten, um anlässlich der Begehung des 850-Jahr-Jubiläums 2008 zu gemeinschaftlichen Anstrengungen aufzurufen, winkte Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museums, gleich ab: "Wir wurden auch prompt wieder entlassen! Es stellte sich heraus, dass etwa das Mittelalter leichter zu dokumentieren war als die leidvolle Geschichte der jüdischen Gemeinde."

Der Hinweis, der seine Wirkung nicht verfehlte, galt dem Fehlen jeder Kontinuität. In den achteinhalb Säkula einer überwiegend prosperierenden Stadtgeschichte wurden Juden ganze vier Jahrhunderte von der Gemeinschaft ausgeschlossen. Und so markiert auch die von Purin kuratierte Schau Stadt ohne Juden - der Titel wurde bei Hugo Bettauer entlehnt - eine Historie voller Aussparungen und Tilgungen, ein zerschlissenes Band mit Reißstellen, das an die desaströsen Folgen des finstersten Aberglaubens im Namen der Kirche erinnert.

Der Unterbindung jeglicher Kontinuität trägt Purins Schau durch bestürzend nüchterne Askese plausibel Rechnung. Es sind die Zeugnisse und Artefakte einer meistenteils erzkatholischen "Mehrheitskultur" , in denen das Schicksal der Münchner Juden als das von Opfern aufscheint. Die ersten Fanale von 1258 und 1348 folgten auf Ritualmordvorwürfe. Deren entsetzlichen Folgen lag das stets gleiche Behauptungsschema zugrunde: Juden würden Kinder schlachten, um deren Blut für Ritualzwecke zu nützen.

Es sind Memobücher, in denen die Namen der Opfer niedergelegt sind. Sie belegen als dürre Nekrologe das unvorstellbare Leid der Verfolgten, und sie verweisen auf einen monströsen Mechanismus: Mit der "Schändung" christlicher Kinder hätten die Rabbiner Christi Auferstehung gleichsam aufzuheben versucht. Die erfundenen jüdischen "Machenschaften" wurden somit scheinbar rationalisiert: als beliebig abrufbarer Manichäismus, in Dienst genommen von einer unduldsamen Erlösungsideologie.

Trügerische Akzeptanz

Es gehört zu den Vorzügen von Purins Ausstellung, wenige Artefakte zu zeigen, um desto wirkungsvoller auf die Insistenz antisemitischer Argumentationszusammenhänge hinweisen zu können. Als Leihgeber fristeten die Juden immer wieder Phasen einer trügerischen Akzeptanz, und sie mussten zugleich gewärtig sein, von ihren Kunden, den Wittelsbachern, der Stadt und des Landes umgehend verwiesen zu werden. Es verwundert daher nicht, dass die Figur des "Ahasver" nicht nur in Münchner Sagenbüchern auftaucht, sondern dass die Ruhelosigkeit des Ewigen Juden noch in Texten von Apollinaire und Feuchtwanger ihren Niederschlag fand.

Bilder vom "Hostienfrevel vor dem Schwabinger Tor" (1624) mögen durch ihre malerische Meisterschaft paradoxerweise einige Aufmerksamkeit für sich beanspruchen. Wichtiger erscheinen indes die Fakten: etwa die Überbauung aufgelöster Synagogen mit Kirchen; die Bestückung der "neu gewonnenen" Sakralräume mit schmerzlichen Gottesmüttern (Pietà von Salmdorf, um 1340). Und auf der Schauseite - die Ausstellung eines schlichten Familienreisekoffers, der die Verfolgung und Vernichtung der Münchner Juden dokumentiert (3000 Gemeinde-Mitglieder starben in den Vernichtungslagern). Videovorträge ergänzen eine nur dem Begriff nach "wechselvolle" Geschichte der Not, die in Wahrheit von der Entmündigung der Opfer handelt - und vom absichtsvollen Schweigen einer sich leutselig gebenden Mehrheitskultur. (Ronald Pohl aus München, DER STANDARD/Printausgabe, 28.10.2008)

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