Salzburger Nachrichten am 18. Mai 2006 - Bereich: Kultur
Herzen hören Das Projekt "5000
Liebesbriefe" der Wiener Festwochen lädt das Publikum in Wiener
Kaffeehäuser zum amourösen Lauschangriff.
ERNST P. STROBLWIEN (SN). "Ich liebe nur Dir, und Ohne Du kann ich
nicht bin", schreibt "Dein Christoph Rauter" aus Tulln an seine Jenny.
Diese muss eine unheimliche Anziehungskraft haben, 26 Briefe erhält Jenny
innerhalb von drei Monaten von "Fünf Burschen". Ob sie Christoph erhört
hat, damals 1988? Die Wiener Festwochen haben mit dem Projekt "5000 Liebesbriefe" von
Barbara Pulli und Mats Staub eine Offenbarung für Romantiker im Angebot.
In fünf Wiener Kaffeehäusern - Korb, Prückel, Stein, Weingartner und
Westend - kann man Liebesbriefe aus rund einem Jahrhundert hören. Zum Walkman erhält man eine Auswahl an Kassetten und muss sich mit 75
Hörminuten beschränken. Die Gesamtaufnahme der ausgesuchten Liebesbriefe
würde 14 Stunden betragen. Man muss kein Audiovoyeur sein, um am
Hörerlebnis Gefallen zu finden und die Geräuschkulisse eines geschäftigen
Kaffeehauses, die auch durch die Kopfhörer dringt, zu vergessen. Der
"Spitzeldienst" macht Spaß, die "Love Letters" faszinieren in ihrer
ungeschminkten Authentizität. Fünfzig verschiedene Kassetten stehen zur Wahl, die älteste
Korrespondenz ist von Flora und Wenzel aus dem Jahr 1894. "Als ich das
Glück hatte, Sie am Schützenballe das erste Mal zu sehen, ward ein Gefühl
in meinem Herzen rege, das ich noch für kein anderes weibliches Wesen
empfand", so startet der Sohn aus wohlhabendem Manufakturgeschäft die
Eroberung seiner Flora Binder, die sich als "armes Mädchen" outet. Der
Herr Chef wird zum "Mitwisser", und am Ende des Jahres wird von Hochzeit
gesprochen. Toll gemacht, Wenzel. Unter "Hans an Fräulein" hört man einen Brief aus Laibach. Der
Feldwebel, der 1894 davon träumt, "Sie mein Eigen nennen zu können",
windet sich mit vornehm gedrechselten Fragen an sein Fräulein heran und
möchte wissen, woran er ist: "Haben Sie die Güte, mir Ihre Gesinnung
bekannt zu geben." Da ist der Jenny-Briefwechsel in Tulln 1988 schon
direkter gehalten. Gregor, einer der fünf Verehrer, will auch Gewissheit:
"Kreuze bitte an: ich mag Dich/ich mag nicht/ich will es mir überlegen."
Ob es dadurch einfach wurde für die bestürmte Jenny? Der Austausch von wogenden Gefühlen, übermütigen Hitzegraden und
verzweifelter Verlassenheit, erotischen Anspielungen, schwülstigen
Beschwörungen und angeheiterter Balz-Lyrik hat mittlerweile auch die
Medien SMS und E-Mail erreicht, die schöne Sprache der früheren
Generationen ist in den Hintergrund gerückt. Briefwechsel überdauerten
auch Kriegsjahre, und ein Walter, der 1930 um seine Traudl warb, schreibt
1942 aus dem Osten, aus dem "schweren gegenwärtigen Dienst" eher am Rande,
"so schwere Bombenangriffe hatten wir noch nie". Der Brief transportiert
aber - wie die anderen davor - vor allem eines: brennende Eifersucht samt
Verbotsregeln.Info: Tägl. 18-22 Uhr, So. und Feiertag 15-22. Bis 15. Juni.
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