Brick 5 zeigt die Ausstellung "Manina - Von Hollywood zum
Surrealismus. Eine erzählte Zeitreise"
Ein Schicksal mit gutem Timing
Von Claudia Aigner
Ihr Hund war in Kalifornien mit einer
Urenkelin von Rin Tin Tin liiert, ihr Vater ging in Paris mit Marc Chagall
jeden Morgen frische Baguette kaufen, ihre Tochter Nina war
väterlicherseits ein entfernter Abkömmling jenes Rabbi Löw, der
nachgesagter Weise den Golem geknetet hatte, Egon Erwin Kisch, der rasende
Reporter, raste an ihr vorbei, nachdem sie in Mexiko Frida Kahlo besucht
hatte, Charlie Chaplin spielte ihr - ohne Zuhilfenahme eines
Filmprojektors und einer Filmleinwand, also quasi auf dem Trockenen und
aus dem Stegreif - seinen neuesten Film vor. Für ihren ersten Flirt
hatte sie sich übrigens 1932 ausgerechnet das allererste österreichische
NSDAP-Mitglied, Hermann von Rademacher, "ausgesucht". (Ach ja: Sie ist
Jüdin.) Und ich muss, glaub' ich, nicht eigens erwähnen, dass sie
"natürlich" auch eine Privataudienz beim Papst hatte (bei Pius XII.). Dann
hat Albert Einstein auch noch ihrer Tochter Nina auf seiner Geige
vorgespielt. Nein, also jetzt geht's aber wirklich zu weit! So was kann ja
nur Hollywood einfallen. Falsch. Manina, von der hier schon die ganze Zeit
die Rede ist, hat zwar geraume Zeit in der Gegend, wo die Traumfabrik
steht, gewohnt und war in erster Ehe mit einem Drehbuchautor verheiratet,
trotzdem: So etwas kann nur dem Leben selbst einfallen. Es kommt nämlich
noch dicker. Zum Beispiel war sie vier Jahre glücklich vereint mit dem
Bruder von Otto Weininger, der sich (also Otto, nicht Bruder Richard)
nicht lange nach Vollendung seines Opus "Geschlecht und Charakter" selbst
"gerichtet" hatte. Manina: "Ich musste Richard auch versprechen, dieses
Werk niemals zu lesen." Und nicht zuletzt konnte sie (die so fotogen war,
dass kein Geringerer als Man Ray sie ablichtete, und die als Kind in
Wien-Döbling so fantasievoll schauspielerte, dass sie herbstlichen
Blättern theatralisch die letzte Ehre erwies und sie beerdigte) es sich
erlauben, so schüchtern zu sein, eine Filmrolle nach der andern
abzulehnen, und die Regisseure, Freunde und eine Filmagentin bettelten
dennoch weiter. Erfolglos. Dieser außergewöhnlichen Frau, die ein
Leben wie in einem Drehbuch führte, die eine Zeitzeugin war der
Emigration, des Zweiten Weltkriegs, der McCarthy-Ära und der Filmindustrie
der 30er und 40er Jahre und die mittlerweile eine Zeichnerin und Malerin
"in Pension" ist, ist - leider nur noch - bis zum 5. Dezember im Brick 5
(Fünfhausgasse 5) eine sehr biografiehältige Schau gewidmet: "Manina - Von
Hollywood zum Surrealismus. Eine erzählte Zeitreise." Kuratiert von Rolf
Kleinschmidt. Es ist anstrengend, durch die Ausstellung zu gehen, ja.
Weil es unerlässlich ist, die vielen mit Biografie vollgeschriebenen
Blätter zu lesen, zwischen die die strichsicheren, faszinierend dichten,
kurz: brillanten surrealistischen Zeichnungen hineingestreut sind. Aber
Maninas Lebenswerk ist eben nicht allein ihre Kunst, sondern auch ihr
spannend turbulenter, regelrecht kreativer Lebenslauf, der geprägt ist von
extrem prominenten Freunden und Bekannten, Reisen, Schicksalsschlägen
(wohl am tragischsten: die Ermordung ihrer Tochter), Neuanfängen und
glücklichen Fügungen. (Von den späteren, geradezu kosmisch mysteriösen
Gemälden, die mir persönlich mitunter fast ein bissl zu "esoterisch" sind,
hängen selbstverständlich auch ein paar da, im Brick 5.) Manina, die
sich selbst ihren exotischen Namen gab (weil ihre kindlichen
Sprechwerkzeuge mit dem Namen Marianne überfordert waren), reiste in der
Weltgeschichte herum: Wien, Emigration nach Paris, dann Hollywood, New
York, erneut Paris und immer wieder Venedig, um schlussendlich dort zur
Ruhe zu kommen und nach 1981 das Malen aufzugeben. Und man kann nicht
anders, als zu glauben, dass nicht einmal die Zufälle noch zufällig sind.
Als der 15-jährige Robert Thorsch (später Robert Thoeren und jener
Drehbuchautor, dem Billy Wilder im Endeffekt seinen Film "Manche mögen's
heiß" verdankt) 1918 in Brünn vom Zuschauerraum aus die Madame Butterfly
alias Mathilde Ehrlich anschwärmte, hatte diese bereits seine zukünftige
Braut Manina im Bauch. Ein Fall von unbewusster pränataler
Heiratsanbahnung. Und dann die Sache mit seinem äußerst kontaktfreudigen
Hund Cash. Zuerst brachte er seinem Herrchen das Frauerl (Manina) mit,
verkuppelte die beiden also aus heiterem Himmel in Paris, 20 Jahre nach
der "Butterfly"-Aufführung. Dann "apportierte" er den beiden, nachdem er
sich auf einen amerikanischen Zerstörer geschlichen hatte, einen gewissen
Commander Bolten, der sie zwei Jahre später, während Maninas Eltern
(Mathilde und Viktor Tischler) in Frankreich interniert waren, in
Hollywood zu einer Party einlud, wo Manina der Sohn des amerikanischen
Präsidenten Roosevelt vorgestellt wurde, der wiederum seine Mutter
Eleonore von der Lage der Tischlers unterrichtete, die schließlich "in
letzter Minute" für deren Freilassung aus dem Internierungslager sorgte.
Maninas Schicksal hatte eben stets ein gutes Timing. Und Anekdoten hat
Manina auch persönlich miterlebt. Einmal auf einem Fest, da legte sich
Charlie Chaplin vor ihr und Arnold Schönberg ordentlich ins Zeug, um ihnen
seinen neuesten Film vorzustellen, spielte den ganzen Film ganz allein -
multimedial (mit Händen, Füßen, Mundwerk und Klavier). Nach gut einer
Stunde fragte er Schönberg gespannt nach seiner Meinung. Der verkündete
das Urteil: "Tut mir leid, aber ich habe mein Hörgerät vergessen!" Und
eigentlich ist die Ausstellung eine Vater-Tochter-Geschichte. Denn Viktor
Tischler (Manina: "meine Augenschule") war ein heute eher unbekannter
expressionistischer Kunstmaler, der 1935 aber sogar den Österreichischen
Staatspreis erhalten hatte. Seine so ganz anderen, nämlich so diesseitigen
Bilder (aus der Sammlung Berger, Jüdisches Museum Wien) sind den
visionären seiner Tochter gegenübergestellt.
Erschienen am: 02.12.2003 |
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