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Ein multi-lokales Ausstellungsprojekt beim
steirischen herbst thematisiert ein weiteres Mal »das Netz« als zentrale
Plattform, als »testing ground« zukünftiger gesellschafticher
Veränderungen. Und ein weiteres Mal muss die Frage gestellt werden, ob es
sich tatsächlich um eine Antizipation zukünftiger kultureller Verhältnisse
handelt oder um das fortdauernde Zelebrieren eines Netz-Hypes. Unter
welchen Bedingungen werden die Bedingungen des Netzes verhandelt?(1)
Technologie hatte scheinbar immer schon mit Zukunft zu
tun. Jedes neue Gadget, jedes neue Medium gibt dabei immer nur einen
weiteren Blick frei auf Potenziale, Möglichkeiten und Entwicklungen. Sie
erscheinen oftmals zunächst als Botschaften, als Metaphern - als
Medienviren? Geht es zunächst um singuläre Phänomene wie den
mythenumrankten Computer Eniac, so lässt sich erst mit dem Entstehen eines
Verbundes solcher Gadgets von einem Medium oder einer technologischen
Formation sprechen. Als prototypisch für diese Entwicklung wurde in den
letzten Jahren verstärkt das Netz angesehen: ein mittlerweile weltweiter
Verbund von technologischen Apparaten - ein Computernetzwerk. Doch sind es
niemals nur die »Maschinen«, die ein Medium prägen, es sind vielmehr die
dadurch etablierten und sich durchsetzenden Kulturtechniken und
Alltagspraktiken, die Medienverhältnisse als Medienverhältnisse
kennzeichnen. Aus diesem Grund ist gerade auch im Zusammenhang mit »dem
Netz« viel von gesellschaftlichen Utopien im Sinne neuartiger kultureller
Praktiken die Rede: Kommunikation und Information als gleichermaßen
subversive wie emanzipatorische Handlungsfelder, begleitet von
Unabhängigkeitserklärungen (John Perry Barlow) und den Visionen eines
entstehenden globalen Bewusstseins (Pierre Henry Lévy). Daneben ist die
nicht zu leugnende Ausdehnung »des Netzes« ebenso von kritischen Analysen
begleitet, die gerade im »Netz« eine Verlängerung pankapitalistischer
Praktiken und Mechanismen sehen (Critical Art
Ensemble).
»net_condition: Kunst im Online-Universum«(2)
wurde von Peter Weibel konzipiert und in Zusammenarbeit von steirischem
herbst, Graz, ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe,
Inter Communication Center in Tokio und Media Centre d'Art i Disseny in
Barcelona zeitgleich an diesen Orten realisiert. Die BesucherInnen des
temporär als Ausstellungsort adaptierten AVL Art Gates in Graz werden auch
gleich einmal auf die Zukunft verwiesen: Der Katalog »net_condition: Art
and Global Media«, der im Frühjahr 2000 bei MIT Press als Koproduktion der
genannten Institutionen erscheinen soll, »wird erstmals die
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und künstlerischen
Konsequenzen dieser globalen Medien untersuchen, die unseren Erdball nicht
nur mit ihren Botschaften umspannen, sondern auch mit ihrer versteckten
historischen Genealogie« - so die Besucherinformation zur Ausstellung. In
der Zukunft wird es sich also erwiesen haben, dass der Mediendiskurs, der
seit gut fünf Jahren den deutschsprachigen Raum geradezu überschwemmt, gar
nicht stattgefunden hat: Ist doch bisher - so Peter Weibel und Timothy
Druckrey im Handout zur Ausstellung - niemand auf die Idee gekommen, »die
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und künstlerischen
Konsequenzen« von (globalen) Medien anzudenken, zu reflektieren, zu
untersuchen.
Panoramen, Territorien,
Game-Konsolen
Bevor man sich also auf die - man muss es
vorwegnehmen: großteils bekannten Projekte - einlassen könnte, wird man
schon mit einem Diskurs über diese Projekte konfrontiert, der sich
rhetorisch als bestimmender Diskurs über die darin repräsentierten
künstlerischen und kulturellen Praktiken in Szene setzt. Michel Foucault
hätte dies als »Verknappung der sprechenden Subjekte« bezeichnet. »Die
Disziplin [hier: Medientheorie, Netztheorie] ist ein Kontrollprinzip der
Produktion des Diskurses.«(3)
Es geht bei diesem kritischen Einwurf nicht darum, die Macht hinter den
Diskursen zu thematisieren, sondern einen im vorliegenden Fall
spezifischen Bruch zwischen Diskurs und Signifikat: Der »panoramische
Überblick über die Geschichte, Theorie und Praxis der Telekommunikation« -
die Geschichte, nicht Geschichten; die Theorie, nicht Theorien; die
Praxis, nicht Praktiken - richtet sich im konkreten Fall auf ein mediales
Handlungsfeld, das jenseits der utopistischen oder kritischen Perspektive
durchwegs als heteronom, diskontinuierlich, zerstreut, multilokal, durch
»Heterogenese« (Andreas Broeckmann) gekennzeichnet beschrieben wird. Im
vorliegenden Fall wird es aber gerade in und durch die theoretische
Zurichtung als einheitliches Phänomen darstellbar gemacht. In einer
paradoxen - und was schlimmer ist: oberflächlichen - Verkehrung wird aus
dem Rhizom eine Baumstruktur. Es geht also bei einem Projekt wie
»net_condition« nicht nur um Vermittlung künstlerischer Praktiken und
ihrer spezifischen Soziotope, nicht nur um Reflexion dieser Praktiken, um
die Reorganisation von Geschichten, Theorien und Disziplinen im Hinblick
auf eine hegemoniale Kunstgeschichtsschreibung, die immer noch dazu neigt,
»Medienkunst« zu marginalisieren. Es geht darum, und das wird an der
leichtfertigen Terminologie leider allzu deutlich, selbst eine
Diskurshegemonie zu installieren, um das Abstecken und Annektieren von
Territorien einer diskursiven Topografie.
Damit genug von
Kunstpolitik und Machtagglomeration. Freuen wir uns also auf dieses Buch,
das uns - endlich! - die Augen öffnen und einen »panoramischen Überblick
über die Geschichte, Theorie und Praxis der Telekommunikation« geben wird.
Womit wir wieder beim Thema wären: die - manche sagen unselige, manche
unvermeidliche - Verquickung von Technologie (aka pankapitalistische
»War-«, »Sight-« und »Flesh-Machine«, um nochmals mit dem Critical Art
Ensemble zu sprechen) und Kunst. Unbestritten ist die Notwendigkeit und
die Ernsthaftigkeit, mit der sich Festivals wie der steirische herbst
dieser Thematik annehmen: Gerade der herbst hat in den letzten Jahren mit
Projekten wie »Zonen der Verstörung«, »Endoscape Technoscope«, »on
dis/place/ment«, »Made in Hongkong« und »Kunst und globale Medien«, in
dessen Zusammenhang auch »net_condition« anzusetzen ist, immer wieder
Medienverhältnisse und die Rekonfiguration der Medienlandschaft
thematisiert, Fragen über kulturelle Austauschverhältnisse, die
Zirkulation von (Medien-)Signifikanten und die Konsolidierung einer
Techno-Kultur gestellt. Von dieser Perspektive aus erscheint die
Präsentation von Netzwerkprojekten als Teil des Programms des diesjährigen
Festivals logisch und zwingend. Betritt man die Ausstellungsräume des
Grazer AVL Art Gate, so erscheinen die Anordnung und das Setup der
Projekte durchaus erfreulich und gelungen - ganz im Gegensatz etwa zu
vielen Environments auf der Ars Electronica in den letzten Jahren: Cafe,
Büchertisch, Videopräsentationen und Installationen ergänzen die
unvermeidlichen Web-Terminals zu einem durchaus abwechslungsreichen und
adäquaten Medienenvironment.
Das ändert allerdings nichts an der
virulenten Paradoxie, die sich beim Aktivieren der Projekte in der Grazer
Ausstellung einstellt: Gerade das Setup der Ausstellungsräume nimmt - als
mögliches Handlungsfeld für die BesucherInnen - eine grundsätzliche These
über die präsentierten Arbeiten, über Netzkultur im Allgemeinen und
»net.art« im Besonderen vorweg - dass es sich bei diesen Projekten nämlich
grundsätzlich um das Initiieren und Generieren von Handlungsfeldern dreht,
um Projekte, die nicht nur als Interaktion zu werten sind und schon gar
nicht als Repräsentation, sondern die gleichzeitig ein soziales Feld
installieren. Wobei postuliert wird, dass der Begriff soziales Feld nur
mehr als ein Verbund von Mensch-Maschine-Interaktionen kennzeichenbar ist.
Es entsteht eine (scheinbar) logische Kette von Kommunikation/Interaktion
zu sozialem/öffentlichem Raum. Wurde »net.art« zuweilen etwas emphatisch
als ein Thematisieren von netzspezifischen Bedingungen beschrieben, die
sich oftmals als rein technologische Basis des Netzes selbst
herausstellen, etwa Protokollmodalitäten, Auflösungen oder
Routing-Logistik,(4)
so erscheinen mittlerweile der »kollektive Cyberspace«, die »verteilten
virtuellen Realitäten«, die MUDs und MOOs - der »telematische Horizont« -
als bestimmende (teleologische?) Eigenart dieser nicht-homogenen, um nicht
zu sagen: hybriden Medienlandschaft. Mit einem Wort: Kunst wird soziales
Handlungsfeld, weil maschinenbasierte Austauschverhältnisse soziale
Relevanz erhalten und Kunst (zumindest »net.art«) sich maschinenbasiert
definiert. In einem Zirkelschluss werden Online-Game-Konsolen als soziales
Paradigma inauguriert und Mensch-Maschine-Interaktionen als soziales
Testfeld präsentiert.
Dieser Zirkelschluss führt zu einem viel
wichtigeren zurück: Indem sich die Beschreibung zeitgenössischer Kultur
immer mehr Vokabel aus dem technologisch/wissenschaftlichen Diskurs
aneignet, erscheint Gesellschaft »überraschenderweise« immer mehr analog
zu technologisch/wissenschaftlichen Systemen zu funktionieren. In den
vielfachen Verknüpfungen von Individuum und technologischem Gadget/Medium,
im Angeschlossensein des Subjekts an medientechnische Verfahrensweisen
zeigt sich der kulturelle Turn-over der letzten Jahrzehnte - ohne dass es
jedoch ausschließlich Technologien und Medien wären, die Kultur
hervorbringen, definieren und weiterentwickeln. Denn dabei handelt es sich
keineswegs um eine schlichte Einübung in Medienverhältnisse durch das
Individuum, sondern um verschlungene, sich ständig ausdifferenzierende und
auch umkehrende Prozesse der Aneigung und Umarbeitung, um eine »Kunst des
Handelns«, um mit Michel de Certeau zu sprechen. Wo aber bleiben - wenn es
um Netzbedingungen geht, um diejenigen Bedingungen, die das Netz überhaupt
erst zu einer kulturellen Maschine machen - die Diskurse über das
Implantieren von Medien und Technologie in kulturelle Austauschsysteme, um
die jeweils spezifischen kulturellen und sozialen Kontexte und
Widerstände, innerhalb derer Medien ihre je spezifische Potenzialität
entfalten? Setzt ein Begriff wie »Global Media« bereits so etwas wie
»Global Culture« voraus? Und ist nicht gerade die Annahme einer »Global
Culture« eine ungeheuerliche - und im übrigen neo-koloniale - Perspektive
auf Kultur überhaupt? Befestigen nicht derartige Diskurshegemonien gerade
kulturelle Verhältnisse, die zu unterlaufen, ein Anliegen künstlerischer
Praktiken darstellt. Fragen, die an der »Oberfläche« der Ausstellung nicht
sichtbar werden.
Pluralismen, Geschichten,
Perspektiven
Wenn es auch scheinen mag, dass hier Diskurse über
die Ausstellung geblendet werden, dann hat dies auch mit der Logik der
Projekte zu tun: Es geht hier nicht um die Vermittlung einer
Interpretation oder die kritische Analyse der Projekte, weil sich diese
gar nicht ausschießlich auf ein Publikum vor Ort beziehen. Der Kritiker
(und der Kurator!) ist - gerade wenn man die Rede von der multilokalen
Präsenz und der verteilten Autorenschaft ernst nimmt - keine alleinige
Instanz mehr, über die sich künstlerische und kulturelle Praktik
vermittelt: Sie wendet sich direkt an die RezipientInnen und deren
Aktivierung, ihre Interventionen, die je spezifischen Pfade und
Navigationsmuster, die sie vornehmen und einschlagen. Fragen sie das
»Berkeley-Orakel« von Jochen Gerz ihre eigenen sinnlosen und irrelevanten
Fragen, testen Sie Ihre datavarischen Fähigkeiten an »LinX3D« von
Margarete Jahrmann und Max Moswitzer und überprüfen Sie derart die
Soziabilität dieser Projekte und deren Potenzial zur Überformung dessen,
was wir als sozialen Raum zu bezeichnen geneigt sind. Nur so viel sei
verraten: Angesichts der ebenso oft proklamierten Hybridisierung von
Medien und Kontexten, von Codes und Zeichensystemen erschien das
»net.art.archive« von Marina Grzinic und Aina Smid als die überzeugendste
Arbeit - ortsspezifisch, trashig und in respektlosem Umgang mit Medien und
Materialen wird darin eine Geschichte erzählt und eine Perspektive
vermittelt. »net.art.archive« präsentiert im Untergeschoß des AVL Art Gate
keinen objektivierten Signifikanten »net.art«, sondern eine durch konkrete
historische Bezüge und individuelle Ansätze geprägte künstlerische
Praktik: Die Videos »Post-socialism + IRWIN«, 1997, und »On the Flies of
the Market Place«, 1999, »vermessen« einen kulturell-künstlerischen und
politischen Raum und handeln von der »Idee des europäischen Raumes, wie er
geteilt und geopfert wird« (Grzinic, Smid). Daneben finden sich im
»net.art.archive« gescannte, kopierte und überarbeitete Texte und Bilder
aus Magazinen, Enzyklopädien und Büchern, die Teil des ideologischen,
politischen und sozialen Raumes des einst als Jugoslawien bekannten
Staates waren. Das Archiv, das sich in der Gegenwart in keinem festen
geografischen und/oder historischen Kontext befindet, spiegelt dadurch die
Perspektive der Reflexion seiner eigenen Voraussetzungen und Genealogien.
Damit hebt sich das Projekt wohltuend vom insgesamt vorherrschenden
technologischen Imperativ der Ausstellung und der Präsentationsräume ab.
Um dies zu sehen, musste man allerdings doch wieder nach Graz reisen. Es
gibt eben keine Medientheorie, es gibt nur Medientheorien. Das Stichwort
lautet »Inklusion«, nicht »Exklusion«.
- Diese und andere Fragen sollen in der nächsten Ausgabe im Hinblick
auf das gleichnamige Projekt am Karlsruher ZKM gestellt werden. - back
- 25. September bis 24. Oktober 1999; www.xspace.at, http://www.zkm.de/, http://www.nttice.or.jp/,
www.mecad.org; steirischer herbst: http://stherbst.adm.at/- back
- Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt am Main 1991, S. 25. - back
- Vgl. Institut für moderne Kunst Nürnberg (Hg.): Jahrbuch 98/99 -
netz.kunst. Nürnberg 1999. - back
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