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21. August 2009
17:37 MESZ

Peter Gorsen, Das Nachleben des Wiener Aktionismus, Ritter Verlag 2009. Gorsen, geb. 1933 in Danzig, wirkte ein Vierteljahrhundert lang als Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität für angewandte Kunst.

 

Peter Gorsen: "Passösterreicher, immer pflichtschuldigst mit seiner Gastrollen-Existenz konfrontiert".


"Der Aktionismus kam zu mir"
Der Kunsthistoriker Peter Gorsen im Gespräch über das Nachleben des Wiener Aktionismus, das Kulturklima der Stadt und den Niedergang der Kritik

Standard: Sie widmen Ihr neues Buch dem "Nachleben des Wiener Aktionismus" . Das klingt nach einem Untoten.

Peter Gorsen: Der Wiener Aktionismus hat ja keine zehn Jahre existiert. Um 1970 war mit Brus' Zerreißprobe der Endpunkt erreicht. Was heute als performativ erweiterte Kunstform Karriere macht, war ein komplizierter eklektischer Knoten aus vielen Strängen: Ästhetik, Kunstgeschichte, Philosophie, Psychoanalyse.

Standard: Wie beurteilen Sie die Entwicklung im Rückblick?

Gorsen: Der Wiener Aktionismus war eine Kampfeinheit gegen die kulturelle Repression, das Versagen von Fortschritt und Vernunft, den Sumpf des parteipolitischen Demokratismus. Mit Nietzsche erschien der Leib weiser als die Eschatologie der Vernunft, daher auch die große Sprachskepsis des Aktionismus, sein Rückgriff auf das Registrieren von Empfindungen, Gefühlen, körpersprachlichen Zuständen. Der Verzicht der Materialaktion auf Worte und Begriffe, die im Verdacht standen, nichts Wirkliches, sondern bloße Namen und nachträgliche Abstraktionen der Dinge zu sein, war der Versuch, die uranfängliche Wertfreiheit des Lebens und mit ihr eine Kunst ab ovo zu begründen.

Standard: Wie sind Sie mit den Künstlern in Kontakt gekommen?

Gorsen: Der Aktionismus kam zu mir, nicht ich zu ihm. Ich schrieb zwei Bücher über Kunst und Sexualität. Der im gleichen Verlag veröffentlichende Gerhard Rühm meldete dies nach Wien, daraufhin kamen 1966 die ersten Briefe der Aktionisten, zunächst von Mühl. Dann besuchte mich Nitsch. Ich wusste damals noch nichts über sie.

Standard: Wie unterschieden sich die Aktionen der Wiener von den Happenings der Hippies?

Gorsen: Durch Radikalität und fehlende Friedfertigkeit. Anders als die Hippies waren die Aktionisten darin progressiv, dass sie ihre Aggressionen psychisch und künstlerisch integrierten, anstatt sie moralisch auszugrenzen, wodurch ihnen viele Verdrängungen und Identitätskonflikte erspart blieben. Ich habe mich ja zunächst mit der Wiener Kulturkrise um 1900 angefreundet, mit Machs Psychologie ohne Seele, Hofmannsthals Frau ohne Schatten, dem Krankenbericht an Lord Chandos und Schieles Lyrik. Das waren insgesamt Verlusterfahrungen. Die Aktionisten gingen einen Schritt weiter, die Verluste wurden zu Selbstbefreiungen verkehrt.

Standard: Welcher Zeitgeist spiegelt sich darin?

Gorsen: Wenn Sie aus den Museen alle Gewaltdarstellungen eliminieren, bleiben 20 Prozent langweilige Dekorationsmalerei. Eine spannungslose Kunst ist heute das Problem Nummer eins. Wir haben überall monochrome Neosexualitäten, in denen alles eingeebnet wird, was an erotischen Spannungen zwischen Verbot und dessen Übertretung früher da war. Das perverse Spektrum der Sexualität ist nahezu vergesellschaftet und bedroht die Imagination mit einer mechanischen Sinnlichkeit ohne Passionen und Obsessionen.

Standard: Welche Rolle spielte die Frau im Aktionismus?

Gorsen: Ich habe am Beispiel der Aktions-Gespanne (V.Export/S. Widl/P. Weibel; A. Brus/G. Brus / R.Schwarzkogler; H.Koeck/H. Nitsch/O.Mühl) gezeigt, dass auch die Frau eine emanzipative Rolle in der rigiden Hierarchie sexueller Differenz gespielt hat. Mann und Frau waren frei zusammengeschlossen in einer gemeinsamen Erfahrung der Bemächtigung.

Standard: Sie haben jetzt das Drehbuch zur Aktion "Scheiß-Kerl" , das Ihre Frau Hanel Koeck und Otto Mühl 1969 in Frankfurt realisiert haben, erstmals veröffentlicht. Warum erst jetzt?

Gorsen: Der Film darüber ist auf internationalen Festivals gezeigt worden. Nur mein Drehbuch blieb in der Schublade. Ich war mir lang nicht sicher, ob die Aktions-Gespanne eine Bereitschaft zur Umverteilung normativer Männlichkeit erkennen lassen. Dies öffentlich zu thematisieren hätte auch meine beginnende akademische Karriere beendet. Mein Literaturprofessor entlarvte mich in seiner Vorlesung vor 400 Personen als jemand, der über pornografische Literatur schreibt und damit für immer erledigt sei. Was man heute problemlos als Ekel-Kunst durchgehen lässt, war in den 60ern eine ungeheure Provokation.

Standard: Die Rückschau wird heute stark von der fotografischen Dokumentationen geprägt.

Gorsen: Ja, vor allem Mühl hat gesagt, Filmer und Fotografen dokumentieren uns die Aktion kaputt. Mit der Entdeckung der Inszenierten Fotografie wurde der Zeitablauf der Aktion vor dem Kameraauge objektivier- und kontrollierbar.

Standard: Was hat letztlich zum Ende des Aktionismus geführt?

Gorsen: Er ist an sich selbst ermattet, eine selbst verordnete Sprachverweigerung konnte kein Dauerzustand sein. In den politischen Zock-Exercises unter Peter Weibel und Oswald Wiener und der mit dem Sozialistischen Studentenverband veranstalteten Uni-Aktion kunst und revolution wurden wieder Texte verständlich verbalisiert, zugleich aber durch einen clownesken, paranoisch simulierten Vortragsstil ad absurdum geführt. Die ursprüngliche Viererbande wurde durch einen Zustrom künstlerischer Sympathisanten gestärkt und aufgelöst zugleich. Wege trennten sich. Der nachlebende Aktionismus machte Mühl zum Begründer einer Kommune, die scheiterte. Brus übersetzte seine autodestruktiven Körperanalysen in bild-textliche Expressionen. Nitsch blieb den späten politaktionistischen Agitationen fern. Sein O.M. Theater orientierte sich seit langem an einer pantheistischen Lebensmetaphysik.

Standard: Ihre Begeisterung für das Thema scheint ungebrochen. Hatten Sie wegen der persönlichen Partizipation am Aktionismus Wien zum Lebensmittelpunkt gemacht?

Gorsen: Nein, es gibt einfach einen deutschsprachigen Markt für Aspiranten akademischer Fächer. Ich hätte genauso gut in Berlin oder Bremen landen können. Ich reüssierte in Wien als Sympathisant des Kreisky-Systems. Auf der anderen Seite saß die Staatspolizei in meinen Vorlesungen. Man hielt mich politisch für undurchsichtig.

Standard: Wie hat sich das kulturelle Klima seit 1977 verändert?

Gorsen: Wien ist heute nicht mehr so reformfeindlich. Bis Ende 1980 war das studentische Publikum ausgehungert. Ich habe Seminare zum Feminismus eingeführt, habe als Dekan Maria Lassnig und Valie Export für die Ausbildung von Lehramtskandidaten zu begeistern versucht. Als Passösterreicher, als Nichtabgänger eines österreichischen Gymnasiums, als Nichtfreimaurer und als nur Hochdeutsch Sprechender ist man ständig pflichtschuldigst mit seiner Gastrollen-Existenz konfrontiert.

Standard: Unter den Kultur-sparten gewinnt die bildende Kunst in den letzten Jahren Terrain gegenüber Musik und Theater.

Gorsen: Ja, aber immer noch zu wenig. Als FAZ-Kritiker konnte ich etwas mehr Interesse für Galerien und Ausstellungshäuser wecken. Heute schwingt das Pendel in die andere Richtung aus: Es gibt eine Überproduktion an moderner Unterhaltungskunst, an Kunstmarktkunst mediokrer Art, während aufzuarbeitende Problem-Themen marginalisiert werden. Mir geht es darum, den Kreis der Kunstkenner zu erweitern und nicht den Müllberg der Kunst.

Standard: Im touristischen Städtewettbewerb wird Wien als genuin kultureller Ort vorgeführt ...

Gorsen: ... nur mit den Glanzstücken, der Musik, den Museumsschätzen der habsburgischen Dynastien. Wien greift nicht genügend in internationale Diskurse ein. Hier wäre ein gutes Gelände für neue Museumspolitik. Ich bin gar kein Anhänger eines zentralistischen Museumskonzepts wie es der Louvre vertritt. Die multiple Seite der Wiener Museumsszene hat ihren Reiz. Als Flaneur, der man hier wird, fasziniert mich die Verteilung ähnlicher Sachen auf viele Häuser. Anderseits machen die dezentralisierten Archive und Sammlungen wissenschaftliches Arbeiten sehr schwierig.

Standard: Sie leben das dritte Jahrzehnt in einer Hietzinger Jugendstil-Villa. Fühlen Sie sich schon als Wiener?

Gorsen: Man wird hier als Klugscheißer aus dem Ausland nicht gern aufgenommen. Als ich kam, stand ich im Verdacht, Marxist und Feminist zu sein, das Misstrauen ist geblieben. Ich lebe in Wien, wie viele andere deutsche Publizisten, als Einsiedler, bin kulturell nicht wirklich integriert. Ich weiß nicht, ob ich mir das wünschen sollte.

Standard: Wie wichtig ist Kunstkritik für einen lebenden Künstler?

Gorsen: Sie war als aufklärerisches Instrument für Öffentlichkeit und Kunst immer konstitutiv. Heute ist sie zur Akklamation des Beliebten und Durchgeboxten korrumpiert. Das Kritiker-Völkchen konnte früher sehr gut sein, heute setzen die Redaktionen nur noch auf große Namen. Für das Feuilleton allein zu schreiben ist finanzieller Selbstmord. Was mich besonders stört, ist, dass die Kritik heute noch vor dem Ereignis, das sie bespricht, erscheinen soll. Da gibt es Vorvor-Presseberichte und Previews für Prominente. Schnelligkeit und Exklusivität sind zur Ware geworden.

Standard: Was macht eine gelungene Kritik aus?

Gorsen: Langsamkeit und Länge, der Blick für Phänomene und nicht das spekulative Schreiben über Tendenzen und Karrieren. Der Kritiker soll stets ein negatives Urteil riskieren. Wenn er sich wirklich in die Waagschale wirft und stringent zur Sache spricht, hat er am nächsten Tag einen Brief vom Künstler in der Hand.

(Wolfgang Koch, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 22./23.08.2009)

 

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