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Ausstellung: Aus dem väterlichen Genital direkt an die Wand

20.01.2009 | 18:23 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Anish Kapoor, Superstar der indischen Kunst, lässt im MAK rotes Wachs von hartem Metall formen. Er schießt sie mit einem phallischen Kanonenrohr an die Museumswand.

Lässig schreitet der junge Mann im schwarzen Overall zum Urknall-Ritual: Erst einmal vom Stapel den Stoff geholt, elf Kilo wochenlang gerührtes, rot gefärbtes, vaselinerweichtes Wachs. In die Röhre des Druckluftkompressors geschoben – stopfen, zünden, zack. Schon schleudert's den Batzen mit 50 km/h ins Eck der MAK-Ausstellungshalle. Etwas eklig klebt er dort dann kurz an der Wand, rutscht herunter, verschmiert sich und verschmilzt mit seinen vielen Vorläufern zum Ganzen, einem 20-Tonnen-Wachsberg, der hier bis April entstehen soll.

Was das ganze Spektakel soll? Erst einmal Spektakel sein, uns sinnlich beeindrucken, mit Farbe, Kraft, Erlebnis. Das ist durchaus gelungen. „Shooting in the corner“, die jüngste Arbeit von Anish Kapoor, dem britischen Kunstmarktstar mit indischen Wurzeln, hält, was sie verspricht. Natürlich verbirgt sich hier aber mehr, wird auch hier die Kunst zur „Rutschbahn ins Unbestimmte“ (MAK-Direktor Peter Noever).

Erkunden wir es ein bisschen: Spielerisch mit Indien assoziiert, könnte die Installation die hypertrophe Kompensation des im Westen nicht so schicklichen Betelkauens und -schlatzens sein, schick kombiniert mit dem westlichen Paintball-Phänomen. Nein, zu dumm. Ist es vielleicht politisch gemeint – ein weiches, rotes Wachsbatzenmassaker? Auch nicht. Ein Antikriegsmonument? Angesichts der Wahl der wenig pazifistischen Mittel absurd. Die Demonstration einer Ars ex Machina? Wie langweilig.

Besser auf die Schliche kommt man Kapoor, vernimmt man, dass nur männliche Assistenten die Kanone bedienen werden. Und eine Kanone, vor allem diese hier im MAK, ist natürlich phallische Symbolik wie sie im Buche steht. Jetzt wird es interessant– und analytisch. Denn Schöpfung bedeutet hier auf Erden immer auch Geburt, nur dass hier im MAK das Blutigrote nicht dem Mutterleib entschlüpft, sondern direkt aus dem väterlichen Genital, noch dazu in produktionstechnisch optimiertem 15-Minuten-Takt ins Leben gedonnert wird.

Man muss jetzt nicht C.G.Jung bemühen, der die Selbstgeburt, also den Ersatz der Mutter, als höchstes Ziel der Männer beschreibt. Aber es hilft vielleicht bei der nie ermüdenden Überlegung, warum die Genies in der Kunst immer männlich waren (und sind). Bei Kapoor beschleicht einen zwar bald die Ahnung, dass es ihm mit seinen gewaltigen Plastiken (es kommt Material dazu) und Skulpturen (es kommt weg) nicht unbedingt um eine kritische Hinterfragung dieser Tradition geht. Aber das hindert ja trotzdem niemanden daran, sie in diese Richtung zu interpretieren.

So ist etwa die durchgängige Kombination aus kantigem, metallenem Bügel, der motorbetrieben aus Lippenstiftmasse runde weiche Formen schafft, auffällig. In „Past, Present, Future“ etwa streicht einer dieser Bügel unendlich langsam eine rote Viertelkugel glatt. In „Shadow Corner“, höhlt er einen Wachsquader aus. Und bei „Push-Pull II“ hat er mit nur ein paar wenigen Auf- und Abfahrten den perfekten halben Diskus geformt. Schelmin, die hier gesellschaftliche Machtverhältnisse, die hier überall „männlich“ und „weiblich“ assoziieren muss. Aber die Kunst ist eben eine Rutschbahn, wie Noever sagt, manchmal auch ins Unbewusste.

Bis 19. April. Di, 10–24h, Mi–So, 10–18h. MAK, Weiskirchnerstr. 3, Wien 1.


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